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Merkel und Medwedew geben Gas-Pipline frei

08.11.2011 17:14 Uhr
Merkel und Medwedew geben Gas-Pipline frei
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Dmitri Medwedew (2.v.r.) in Lubmin
© Foto: dapd/Jens Köhler

Die europäische Politprominenz hat in Lubmin die Inbetriebnahme der Nord-Stream-Pipeline gefeiert

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Lubmin. Gemeinsam dreht Europa am Rad: Dann strömen in bläulich-kühlem Licht die ersten Gasmoleküle durch ein Glasrohr unter der 15 Meter hohen Kuppel eines Zeltes. Es soll mit seinen fünf Gewölben an das Erdgasmolekül CH4 (Methan) erinnern. Bevor Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammen mit Russlands Präsidenten Dmitri Medwedew und Vertretern des Nord-Stream-Konsortiums am Anlandepunkt in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) das Gasventil an der neuen Ostsee-Pipeline Nord Stream öffnet, schickt Physikerin Merkel noch einige beruhigende Worte in die Runde: „Die Gasmoleküle werden sich anständig bewegen, dafür ist Vorsorge getroffen worden."

Seit Dienstag strömt nun erstmals russisches Erdgas direkt - unter Umgehung von Transitländern - nach Deutschland und Westeuropa. Der 1224 Kilometer lange Bypass quer durch die Ostsee - zugleich die längste Unterwasser-Pipeline der Welt - soll die Energieversorgung Westeuropas in den kommenden Jahrzehnten sichern. Russland bekommt im Gegenzug mit der Pipeline einen neuen Zugang zu stabilen Märkten.

„Nord Stream setzt neue Maßstäbe in der Energiepartnerschaft", lobt Merkel das 7,4 Milliarden Euro Projekt, das ihr Vorgänger, Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, vor sechs Jahren zusammen mit dem damaligen russischen Präsidenten Putin auf den Weg brachte. Für Russlands Präsident Medwedew eröffnet die Pipeline eine neue Seite in der Partnerschaft zwischen Russland und der EU. „Wir haben eine helle Zukunft vor uns", sagt er.

Energieexperten sehen im fossilen Brennstoff Erdgas die eigentliche Brückentechnologie zu den erneuerbaren Energien. Der Gasanteil an der Stromerzeugung wird bis 2030 in der EU deutlich wachsen. Russland ist mit einer Fördermenge von jährlich 637 Milliarden Kubikmeter Gas nicht nur der weltweit größte Produzent, sondern zugleich auch der größte Gas-Exporteur. Rund ein Viertel der in den sibirischen Gasfeldern geförderten Menge geht ins Ausland.

Allein die neue Röhre hat im Endausbau eine Kapazität von 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Sie kann damit allein zehn Prozent des im Jahr 2030 prognostizierten Gasbedarfs in der EU decken. Zugleich weckt die Pipeline auch Ängste vor einer wachsenden Abhängigkeit von russischem Erdgas und einem Preisdiktat durch Gazprom, die mit jahrzehntelangen Lieferverträgen westliche Energiekonzerne binden. Der deutsche Energiekonzern ENBW, der in Lubmin nur einen Steinwurf von der Pipeline entfernt ein Gaskraftwerk plant, hält sich die Investitionsentscheidung am Greifswalder Bodden offen - weil ihm ein „wirtschaftlich darstellbarer Gasliefervertrag" fehlt.

Hans-Peter Floren, Vorstand von Nord Stream-Mitgesellschafter Eon Ruhrgas, betont am Rande der Feier in Lubmin zwar, zu den langfristigen Lieferverträgen mit Gazprom stehen zu wollen, fordert aber von dem russischen Energieriesen angesichts des dynamischen Gasmarktes, „die Preisgestaltung dem Marktpreisniveau" anzupassen. Nach Auffassung der Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wird die Preispolitik von Gazprom auch langfristig über den Erfolg der Pipeline entscheiden.

Anders als vor eineinhalb Jahren, als die Bauarbeiten für die Nord-Stream-Pipeline begannen, hat sich der internationale Gasmarkt deutlich entspannt. Dank neuer Fördermethoden für sogenanntes unkonventionelles Erdgas, das durch das Einpumpen einer mit Chemikalien versetzten Fracking-Flüssigkeit das Gas aus tiefen Schiefergesteinen presst, und dem boomenden Handel mit billigem Flüssiggas (LNG - Liquid Natural Gas) gibt es auf einem sich flexibilisierenden Gasmarkt preisgünstigere Alternativen zu Gas aus festen Pipelines. Die EU verfolgt deshalb das Ziel, Energie-Lieferquellen und Transportwege aufzufächern und damit den Markt flexibler und transparenter zu machen.

Doch Kritiker bezweifeln, dass gerade die Nord-Stream-Pipeline zur Diversifizierung beitragen kann. Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn bezeichnete es als einen „schweren strategischen Fehler" der deutschen Politik, dass der Bau der Nord-Stream- nicht an das Schicksal der Nabucco-Pipeline gebunden worden sei. Russland verhindere den Bau von Nabucco nach Kräften, weil es auch die Gasströme aus dem kaspischen Raum nach Europa mit einem eigenen Pipeline-Projekt - der South-Stream - kontrollieren wolle.

Die Konkurrenz zur Nord-Stream-Pipeline rüstet sich nur wenige Kilometer entfernt - auf polnischer Seite. In unmittelbarer Nachbarschaft zum deutschen Anlandepunkt baut Polen derzeit in der Grenzstadt Swinemünde (Swinoujscie) einen Flüssiggas-Terminal für große Tanker aus Algerien oder Katar. Der Terminal, mit dem Polen nach den Worten des polnischen Regierungschefs Donald Tusk „echte Energieunabhängigkeit" erreicht, soll 2014 in Betrieb gehen. Die polnische Hafengesellschaft klagt derzeit vor dem Verwaltungsgericht Hamburg gegen den Verlauf der Nord-Stream-Pipeline, weil sie die Hafenzufahrt kreuzt. Nach dem Willen der Polen muss die Pipeline tiefer verlegt werden, damit künftig Flüssiggas-Tanker den polnischen Hafen erreichen können. (dpa) 

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