Neuer Actros-Generation im Lkw-Test der VerkehrsRundschau

Neu gegen alt? Eine solche Überschrift wäre für dieses hausinterne Duell wenig fair. Denn tatsächlich rollten beide im oberen Bild dargestellten Actros-Sattelzugmaschinen frisch vom Band. Nur wirkt die auslaufende Vorgängergeneration des Actros L plötzlich recht altbacken, sobald sie neben ihrem Nachfolger parkt. Bei dessen Design entschied sich Daimler Truck nämlich für eine bewusst futuristische Gestaltung, an der sich die Geister durchaus scheiden. Wir wollen hier jetzt nicht in die Diskussion einsteigen, ob der neue Actros nun schön ist oder nicht. Fakt ist aber: Die neue geschlossene Kunststofffront gewährt deutlich mehr Raum für eine individuelle Firmenbeschriftung, worüber sich viele Transportunternehmen freuen dürften. Robust gegenüber Steinschlägen? Gleichzeitig drängt sich dem VR-Tester aber die Frage auf, wie es um die Robustheit der großen lackierten Kunststoffflächen gegenüber Steinschlägen steht? Hier bemühen sich die Verantwortlichen bei Daimler Truck um Entwarnung, ohne allerdings konkrete Versprechen abzugeben. Endgültig lässt sich die Frage damit wohl erst in ein paar Jahren klären, wenn die ersten Exemplare des neuen Actros L ihr erstes Lastwagen-Leben hinter sich gebracht haben. Dann dürfte die neue Front für den Erstbesitzer auch ihre Hauptaufgabe erfüllt haben. Schließlich ist sie mit ihrer kleinen Verlängerung um acht Zentimeter nach vorne deutlich strömungsgünstiger gestaltet, was sich im Kraftstoffverbrauch entsprechend widerspiegeln soll. Dazu kommen neue "segelförmige" Seitenflaps, Gummilippen oben und unten an den Rahmenverkleidungen, zusätzliche Verschalungen der vorderen Radkästen sowie die aerodynamisch optimierten Vollradblenden aus weichem Kunststoff. Letztere dürften optisch bei vielen allerdings durchfallen und gehören auch nicht bei jedem neuen Actros L zur Serienausstattung. Der Mix aus allen genannten Details soll laut Herstelleraussage für bis zu drei Prozent Effizienzsteigerung gut sein - bezogen zum direkten Actros-Vorgänger. Bei der neu gestalteten Hülle ließ es Mercedes-Benz allerdings keinesfalls bewenden, sondern spendierte seinem neuen Fernverkehrsmodell zusätzlich eine Reihe von Detailverbesserungen, die dem Fahrer/der Fahrerin ihren Arbeitsalltag erleichtern sollen. Die erste sticht beim Öffnen der Fahrertür ins Auge: Eine neue Dichtung soll die oberste Trittstufe zuverlässig vor Feuchtigkeit schützen, damit dort abgestellte Schuhe nicht Nass werden - gute Idee! Oder wenden wir einen Blick zur Frontklappe. Diese lässt sich in ihrer Öffnungshöhe jetzt stufenlos justieren, weshalb von kleineren Staturen keine Verrenkungen mehr gefordert sind, wenn sie die Klappe wieder schließen wollen. Einstieg mit neuem Einzug Zunächst ungewohnt gestaltet sich dagegen das Einsteigen - zumindest wenn man das Vormodell gewöhnt ist. Das Entern der neuen L-Kabinen mit ebenem Fahrerhausboden gelingt zwar weiterhin über fünf Stufen, nach den ersten beiden folgt nun aber ein kleiner Einzug nach innen, was den nach Halt suchenden Fuß etwas irritiert. Schon beim zweiten Mal gelingt die Sache aber deutlich flüssiger und man lässt sich auf den Fahrersitz fallen. An dessen Position hat Mercedes-Benz nichts verändert, man thront trotz der Option "abgesenkte Sitzkonsole", die wir auf jeden Fall ans Herz legen, weiterhin eher hoch. Dafür gefallen die neuen Sitz-bezüge in "Jeans-Optik", welche das bisherige Velours ablösen, das mitunter schon nach kurzer Zeit zur Krümelbildung neigte. Erst beim zweiten Blick nimmt man die kleineren Neuerungen in der digitalen Kommandozentrale wahr. Zum Beispiel die nun schlankeren Bildschirmgehäuse der Mirror-Cams. Womit bei gleicher Bilddarstellung etwas mehr Direktsicht um die A-Säulen herum gegeben ist. Mittels einer veränderten Schnellbedienungsleiste samt neuem darunterliegenden "Fingerabstützsims" bemühten sich die Entwickler zudem, die Bedienung des Sekundär-Touchscreens in der Mittelkonsole zu verbessern. Gebracht hat es unserer Meinung nach wenig, das Bedienkonzept des Mercedes-Benz gehört weiterhin zur komplizierteren Sorte und erfordert entsprechende Übung. Neues Sprachbedienungsmodul Zumindest so lange, bis man in den unendlich erscheinenden Weiten des Bildschirms über den Schieberegler für die neue Sprachbedienung stolpert. Von da an gestaltet sich das Leben im neuen Actros deutlich einfacher. Die Worte "Hey Mercedes" stets vorangestellt, kann man beispielsweise Heizung, Lüftung und Navigation steuern oder sich den aktuellen Wetterbericht ansagen lassen. Und dass, ohne eine Hand vom Lenkrad, geschweige denn den Blick von der Straße nehmen zu müssen. Womit Mercedes-Benz der erste europäische Lkw-Hersteller ist, dem eine zuverlässig funktionierende Sprachsteuerung gelungen ist. Die sich zudem nicht von dialektgefärbter Sprache irritieren lässt und neben dem Deutschen natürlich unzählige weitere Sprachen beherrscht. Einfacher gelingt zusätzlich das Laden modernerer Smartphones, die ihren Akku im neuen Actros per Induktion wiederbefüllen. Unglücklich positioniert Eine weitere Premiere im Actros findet sich weiter hinten in der Kabine. Rechts und links spendiert der Hersteller ab sofort Schwanenhalsleuchten, die dem Fahrpersonal als zusätzliche flexible wie punktuell nutzbare Lichtquelle zur Verfügung stehen. Noch mal überdenken sollten die Entwickler allerdings die Position der Halteklips zur Arretierung bei Nichtgebrauch. Die ist so ungünstig gewählt, dass der Bettkasten beim Herunterklappen der oberen Schlafstatt fast zwangsläufig an der Lampe scheuert. Gestartet werden die OM 470-, OM 471- und OM 473-Reihensechszylinder in beiden Actros per Startknopf. In beiden Testfahrzeugen erwacht so mit dem 12,8 Liter große OM 471 das bislang meistverkaufte Aggregat des Programms zum Leben. Das dürfte sich beim Neuen kaum ändern, interessant ist jedoch, wie charakterlich unterschiedlich sich der Motor in alt und neu präsentiert. Im auslaufenden Actros L lässt der Common-Rail-Diesel den Bereich unter 1100 Umdrehungen pro Minute nach Möglichkeit aus. Lange Hinterachsübersetzung Das ist im neuen Modell unmöglich, denn hier ist die neue 2,278er-Hinterachsübersetzung verbaut, die das Drehzahlniveau bei Reisetempo 85 auf 1020 Touren absenkt. Fragt man sich im Vorfeld noch insgeheim, wie der Mercedes-Motor diese Aufgabe meistern soll, sind diese Bedenken schon auf den ersten Kilometern schnell verflogen. Die 476 PS und dank Top-Torque bis zu 2500 Newtonmeter Drehmoment offenbaren plötzlich einen völlig anderen Charakter. Der Motor akzeptiert das neue Drehzahlniveau, ohne zu murren, und verliert auch vor harmloseren Steigungen nicht die Nerven, sondern zieht brav über die Kuppe, ohne das automatisierte "Powershift-Advanced"-Getriebe um eine Rückschaltung zu bitten. Wir geben der langen Achse damit eine klare Kaufempfehlung, schon allein deshalb, weil unser Sternentransporter mit ihr auf deutschen Autobahnen - unter gewissen Umständen, die der Mercedes-Verkäufer sicher gern benennt - in der besten Mautklasse 3 rollt und so pro Kilometer 0,8 Cent spart. Für Fuhrparkverantwortliche dürfte allein das schon ein Argument sein, nicht länger über die Optik des neuen Actros nachzudenken. Und auch für seinen Fahrer/seine Fahrerin hält der aufgefrischte Stern manches neue Detail bereit, um von sich zu überzeugen. Fazit Gesicht in der Menge Mittlerweile sind auf unseren Straßen die ersten Exemplare des neuen Actros unterwegs. Und egal ob man ihn nun schön findet oder nicht: Tatsache ist, dass der neue Mercedes-Benz optisch aus der Masse aller Lastwagen heraussticht. Was für mich persönlich die wichtigste Innovation am neuen Stern ist? Ganz klar die zuverlässig funktionierende Sprachbedienung.