Das große Lkw-Plündern

Ende November 2021, 22:30 Uhr, Rastplatz Wonnegau an der A 61: Der Fahrer macht eine nur 30-minütige Pause und telefoniert im Fahrerhaus mit seiner Frau. Die Standbeleuchtung ist eingeschaltet. Währenddessen macht sich jemand hinten am gesicherten Kofferauflieger zu schaffen - mit der Flex. Vergeblich, die Sicherheitseinrichtung hält. Dieser zum Glück gescheiterte Einbruchversuch zeigt einmal mehr: Frachtdiebe, hinter denen meist hochprofessionell agierende Banden stehen, sind an Dreistigkeit kaum mehr zu übertreffen. Sie schlagen auch an belebten und vermeintlich sicheren Rastplätzen zu, selbst wenn der Fahrer an Bord ist. Auch wenn dieser Fall damit endete, dass der Frachtdieb nach wenigen Minuten unverrichteter Dinge wieder abzog, bedeutet das erst einmal für den Inhaber des Fahrzeugs: Beschädigungen an Stangen und Türgriff des Aufliegers und natürlich ein nicht unerheblicher Verwaltungsaufwand - zumal eine angemessene Reaktion der Polizei auf sich warten ließ: "Ein Polizist hat mir am Telefon erklärt, ich solle die Anzeige online stellen. Das habe ich gemacht - und bislang nichts weiter gehört", sagte eine Vertreterin der betroffenen Spedition, die ungenannt bleiben will, der Redaktion aber bekannt ist, rund zwei Wochen nach dem Vorfall. Das Unternehmen überlegt nun, bei den ohnehin sehr hohen Sicherheitsstandards weiter aufzurüsten, etwa mit Kameras an der Rückwand des Aufliegers. Alleine in Deutschland zählte die Transported Asset Protection Association (TAPA) im Jahr 2020 insgesamt 1727 Vorfälle in Zusammenhang mit Cargokriminalität (2019: 2905). "Auch wenn die Statistiken einen rückläufigen Trend an Frachtdiebstählen vermuten lassen - die Dunkelziffer ist hoch", sagt Markus Prinz, Senior Manager Standards & Training EMEA bei der TAPA. Zum einen brächten Betroffene längst nicht jeden Diebstahl zur Anzeige, zum anderen erfassten die einzelnen Bundesländer Frachtdiebstähle ganz unterschiedlich. "Hier dürften einige Zahlen auf der Strecke bleiben", so Prinz. Hotspot West-Ost-Achse Der "Hotspot" war zuletzt Niedersachsen mit 481 Vorfällen, vor Nordrhein-Westfalen (403). Hier verläuft die hoch frequentierte Achse Amsterdam-Polen, "traditionell ein Magnet für die organisierte Frachtkriminalität", so Prinz. Zumindest einer Bande, die ihr Unwesen vorzugsweise an Rastplätzen auf dieser Strecke trieb, wurde Ende November das Handwerk gelegt: Bei konzertierten Razzien gegen Planenschlitzer in Gütersloh und Rumänien wurden große Mengen an Diebesgut sowie Bargeld sichergestellt. Der Wert der Beute liegt nach Polizeiangaben bei über zwei Millionen Euro - vom Schaden für die Transportfirmen ganz zu schweigen. Insgesamt 15 Männer wurden in Untersuchungshaft genommen. Dem Zugriff ging eine eineinhalbjährige Ermittlungsarbeit voraus. "Die Banden starten ihre Rundläufe mit reellen Touren und machen auf dem Rückweg ihre ganz speziellen Zwischenstopps. Die Fahrzeuge haben Seitentüren oder entsprechende Öffnungen und parken in unmittelbarer Nähe ihrer Opfer, um schnell umladen zu können. Genau das ist an der A 30 bei Osnabrück passiert", erklärt Prinz das Vorgehen auch dieser Bande. Laut TAPA-Statistik finden Frachtdiebstähle mehrheitlich auf nicht näher klassifizierten Parkplätzen (59 Prozent) statt. Beim Planenschlitzen liegt laut Prinz übrigens auch das Einsteigen übers Dach des Aufliegers im Trend. "Das ist zwar aufwendiger, aber für den Fahrer bei der Abfahrtkontrolle meist kaum zu bemerken, weil Seitenplanen oder Plomben ja noch intakt sind." Ein Einfallstor, das Diebe immer öfter nutzen, seien zudem Frachtenbörsen: "In diesen Zeiten werden Frachten gehandelt, die bislang in Festkontrakten transportiert wurden. Das wissen auch die Diebe und versuchen solche Frachten unter dem Wettbewerbspreis und mit gefälschten Dokumenten zu ergattern", sagt Prinz. Er könne nur jedem Logistiker ans Herz legen, hier gründliche Hintergrundchecks zu betreiben. Und auf was haben es Diebe abgesehen? "Während es früher vor allem Unterhaltungselektronik, Spielekonsolen oder Mobiltelefone traf, gerät nun alles ins Visier, was sich leicht veräußern lässt", sagt Prinz. Von Rasierklingen und Windeln über Kleidung bis hin zu Spielen und Sportartikeln. Umso wichtiger ist es also, dass Unternehmen konsequent Sicherheitsstandards befolgen. "Mit Fahrertraining und strukturierten Prozessen ist schon viel gewonnen", sagt Prinz und verweist etwa auf die Frachtsicherheitsstandards, die die TAPA frei zugänglich bereitstellt. Je mehr auf Parkplätzen und auch Rasthöfen passiert, desto lauter werden aber auch die Rufe nach mehr sicheren Parkplätzen, jedenfalls seitens der eingangs genannten Spedition: "Hier sollte sich Deutschland ein Beispiel an Großbritannien nehmen. Da ist fast alles überwacht", sagt deren Mitarbeiterin. Dass solche Parkplätze nicht zum Nulltarif zu haben sind, sollte keine Ausrede sein: "Im Vergleich zu den Kosten, die beschädigte Fahrzeuge nach sich ziehen, sind die zehn Euro gut investiertes Geld", betont sie. Mehr zum Thema finden Sie unter #Kriminalität www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Erst kürzlich gelang der Polizei zwar ein beachtlicher Ermittlungserfolg gegen eine international agierende Bande von Frachtdieben - dies dürfte aber nur die Spitze des Eisbergs sein. Die Kriminellen werden immer gerissener und dreister. Umso wichtiger ist das konsequente Befolgen der Sicherheitsstandards.

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