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Interview: Toll Collect über die Mauterhöhung für Lkw

17.06.2022 10:06 Uhr | Lesezeit: 3 min
Interview Toll Collect; Gerhard Schulz
Gerhard Schulz, Vorsitzender der Geschäftsführung von Toll Collect (Mitte), im Interviews mit VerkehrsRundschau Chefredakteur Gerhard Grünig (links) und Rechtsredakteurin Marie Christin Wiens (rechts)
© Foto: VerkehrsRundschau/Jan Scheutzow

In der aktuellen VerkehrsRundschau-Ausgabe 12 äußert sich Gerhard Schulz, Vorsitzender der Geschäftsführung von Toll Collect, unter anderem zum Thema Mauterweiterung. Im digitalen Teil Zwei geht es um Themen wie Bemautung von Euro 6 und die Privatisierung des Konzerns.

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>> Den ersten Teil des Interviews finden Sie in unserem digitalen Heftarchiv auf VerkehrsRundschau plus

VR: Wer weiterhin Euro 6 und sei es Euro 6e fährt, wird in jedem Fall bestraft, auch wenn es keine Alternative gibt?

Schulz: Ich habe schon in meiner Zeit im Verkehrsministerium vor Jahren darauf hingewiesen, dass die Wegekostenrichtlinie revidiert werden wird, und dass sich das Gewerbe darauf einstellen muss - auch die OEM, weil es absehbar war, dass es eine CO2-Bemautung geben wird! Das ist nicht von heute auf morgen gekommen.

Die EU-Kommission hat ihren Richtlinienentwurf vor fünf Jahren auf den Tisch gelegt. Da muss man schon auch die Lkw-Hersteller und ihre technischen Entwicklungspotenziale kritisch hinterfragen. Vielleicht hätte das Gewerbe auch noch mehr treiben müssen. Die Politik kann nicht ewig warten. Und wenn wir alle gemeinsam die Pariser Klimaschutzziele einhalten wollen, dann muss der Verkehrsbereich seinen Beitrag leisten. Die CO2-Effizienzgewinne durch die technische Entwicklung wurden aufgezehrt vom zusätzlichen Verkehr. Dennoch muss der Verkehrsbereich, insbesondere der Güterverkehr auf der Straße, seinen Anteil liefern.

VR: Aber man kann doch das Gewerbe nicht dafür bestrafen, dass die Wirtschaft boomt?

Schulz: Das nicht. Aber wenn die Wirtschaft boomt, gibt es auch gute Gewinne. Und die müssen wir nutzen, um unter anderem durch technische Entwicklungen CO2 zu reduzieren. Das hat im Pkw-Bereich auch funktioniert. Da gibt es heute eine Riesenpalette von E-Fahrzeugen. Politik kann auf jeden Fall nicht sagen: ‚Wir warten jetzt noch mal zehn Jahre‘. Nicht, wenn wir ernsthaft 2050 klimaneutral sein wollen.

„Die Industrie ist gefordert, Lösungen zu bringen“

VR: Denken Sie, dass sich alle der Tragweite dessen bewusst sind, was die nächsten Jahre auf uns zukommt – Stichworte: Batterieelektrik, Wasserstoff, Ladeinfrastruktur …?

Schulz: Ich gebe Ihnen Recht, dass wir an vielen Stellen noch nicht soweit sind, wie wir eigentlich sein sollten. Das darf uns aber nicht daran hindern, trotzdem diesen Weg zu gehen. Umweltkosten, die entstehen, sollten dem Nutzer angelastet werden. Die Industrie ist gefordert, Lösungen zu bringen. Das wird im Nahverkehr wahrscheinlich leichter sein. Da sehen wir ja schon viele Leuchtturmprojekte. Im Fernverkehr liegt die große Herausforderung. Da kann es vielleicht die Brennstoffzelle sein. Dann natürlich die Frage der Ladeinfrastruktur. Aber noch einmal: die Politik kann meines Erachtens nicht mehr warten!

VR: Das heißt aus unserer Sicht, Lkw-Verkehr wird um den Faktor 4 bis 5 teurer.

Schulz: Ob es so teuer wird und ob alles über die Maut finanziert wird, das weiß ich nicht und davon gehe ich auch nicht aus. Klar ist aber, dass heute die verursachten externen Kosten nicht in voller Höhe und die CO2-Kosten noch gar nicht über die Maut abgedeckt ist, sondern nur die Infrastrukturkosten für Bau, Ausbau und Erhaltung des Straßennetzes sowie ein Teil der Lärm- und Luftverschmutzungskosten.

Oberleitungs-Lkw als Lösung?

VR: Also doch Oberleitung, die gehört dann zur Infrastruktur?

Schulz: Das ist tatsächlich eine Frage, die man stellen kann. Die Oberleitung könnte als Bestandteil der Infrastruktur bei den Infrastrukturkosten angelastet werden. Wobei ich persönlich kein Fan des Oberleitungs-Lkw bin. Es ist sicher sinnvoll, auf ausgewählten Strecken das Konzept zu testen. Aber Oberleitungs-Lkw sind Hybridfahrzeuge mit zwei Antrieben, die viel Gewicht verursachen. Das ist aus meiner Sicht kein zukunftsfähiges Konzept. Zudem sehe ich weder eine Akzeptanz bei den Bürgern für eine Elektrifizierung der Autobahnen, noch in den übrigen Mitgliedstaaten, dieses Konzept europaweit auszubreiten. Insellösungen bringen uns aber nicht weiter. Da baut man besser gleich eine Schienenverbindung.

Was der Ukraine-Krieg und die Corona-Pandemie mit den Mauteinnahmen zu tun haben

VR: Machen wir mal einen thematischen Sprung. Was besagen die Mauteinnahmen eigentlich über die Entwicklungen während der Pandemie und jetzt während des Krieges?

Schulz: Wir haben im letzten Jahr gesehen, dass die Einnahmen aus der Maut gegenüber 2020 gestiegen sind. Die Pandemie hat insofern nicht dazu geführt, dass weniger Verkehre stattfanden - ganz im Gegenteil haben wir in der zweiten Jahreshälfte eine deutliche konjunkturelle Erholung gesehen. Wir haben bisher auch keine Anzeichen, dass die Anzahl der Insolvenzen steigt. Was wir aus dem Gewerbe schon hören ist, dass die kleinen und mittleren Unternehmer eher Probleme bekommen – während die Großen wegen bestehender Preisgleitklauseln oder Dieselfloatern, aber auch wegen ihrer starken Stellung in der Lieferkette kaum zusätzliche Kosten haben, auf denen sie hängenbleiben.

Wir hören auch, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Lage zu einem Verdrängungswettbewerb führen kann, einer Neuaufteilung des Marktes. Möglicherweise kommt es auch zu einer gewissen Marktbereinigung.

Wird Toll Collect bald Datentreuhänder?

VR: Kommen wir zum Thema Zusatzleistungen. Da wurden Neuerungen angekündigt. Können Sie uns dazu etwas verraten?

Schulz: Unser Kerngeschäft ist und bleibt die Maut. Aber wir sind nicht mehr der einzige Anbieter in Deutschland. Seit zwei Jahren gibt es den Einheitlichen Europäischen Mautdienst EETS (European Electronic Toll Service). Es gibt EETS-Anbieter, die auch in Deutschland ihren Kunden die Erhebung der Maut als Dienstleistung anbieten dürfen. Grundsätzlich finden wir EETS sehr gut. Wenn ein Unternehmen in ganz Europa fährt, ist das über einen EETS-Anbieter mit einem Fahrzeuggerät und einem Vertrag ein großer Vorteil.

Wir sind Partner der EETS-Anbieter für die deutsche Mauterhebung und betreiben im Auftrag des BAG mit dem Mauterhebungsdienst die technische Plattform für eine einheitliche Erkennung und Tarifierung der Lkw-Maut. Wir haben sozusagen unser bestehendes Mautsystem für die Nutzung durch Dritte geöffnet. Das macht auch aus wirtschaftlicher Sicht sehr viel Sinn. Die Nutzung des Dienstes ist ab 1. Januar 2026 für alle EETS-Anbieter in Deutschland verpflichtend. Letztlich verlieren wir damit Anteile an den direkten Kundenbeziehungen und an den direkt vereinnahmten Mauteinnahmen, aktuell werden rund 23 Prozent über EETS-Anbieter abgerechnet.

Toll Collect könnte aufgrund seiner besonderen Stellung als Bundesunternehmen künftig vielmehr als Datentreuhänder agieren. Die Unternehmen übermitteln uns Daten, die wir kontrolliert an Überwachungsbehörden weitergeben dürften, um zum Beispiel Vor-Ort-Kontrollen zu vermeiden. Das könnte bei der Umsetzung des digitalen Frachtbriefes von Vorteil sein. Wir wären die neutrale Plattform und schaffen eine Basis-Infrastruktur, denn als staatliches Unternehmen haben wir kein Interesse an den Daten in wirtschaftlicher Hinsicht.

VR: Das heißt auch, das Thema Privatisierung von Toll Collect ist vom Tisch?

Schulz: Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Bund seine Anteile mittel- oder langfristig wieder veräußert. In Deutschland ist die Maut eine Gebühr und unterliegt dem Abgabenrecht. Das ist der Unterschied zu vielen anderen Staaten, wo die Maut ein privates Entgelt ist. Dort bekommen Privatfirmen eine Konzession für die Errichtung und den Straßenbetrieb und refinanzieren sich über die Maut.

Toll Collect wird auch künftig als Grundversorger die Einnahmesicherheit der Lkw-Maut für den Bundeshaushalt gewährleisten und für eine einheitliche und gerechte Berechnung sorgen. Zudem denken wir darüber nach, uns mit unseren besonderen Kompetenzen im Bundesinteresse weitere Geschäftsfelder zu erschließen. Als Dienstleister unterstützen wir bereits das BAG bei seinen Kontrolldiensten und mit unserer Tochter, der Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft, unterstützen wir die Bundesregierung bei der Umsetzung der Digitalstrategie. (gg/ste)

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