Zwischen Bangen und Hoffen

Noch sind Elektroautos auf der Straße eher die Exoten. Das könnte sich aber bald ändern. So stellten auf der jüngsten Internationalen Automobil-Ausstellung IAA in Frankfurt/Main allein die deutschen Automobilhersteller gleich eine ganze Palette neuer emissionsfreier Fahrzeuge vor. Mehr als 150 Elektromodelle wollen VW, Audi, BMW, Daimler & Co. in den kommenden Jahren auf den Markt bringen, meldet aktuell der Verband der Automobilindustrie VDA. Wenn das so kommt, könnte das die Wende bedeuten. Denn bislang war das Ziel der bisherigen Bundesregierung, bis zum Jahr 2020 eine Million E-Autos auf die Straße zu bringen, eher Wunschdenken statt klare Vorgabe. Mit der Folge, dass in Deutschland aktuell nach wie vor weniger als 100.000 Autos mit E-Antrieb auf Straßen unterwegs sind - trotz der Kaufprämie für Elektroautos. Wenn es die Grünen aber schaffen, in einer Jamaika-Koalition zusammen mit CDU und FDP zu regieren, könnte der Umstieg auf das E-Fahrzeug schneller kommen als bislang gedacht. Bei den Zulieferern sowie Speditions- und Logistikdienstleistern, die für die großen Hersteller tätig sind, könnte ein möglicher E-Auto-Boom allerdings zu dramatischen Veränderungen führen. Insbesondere auf die Zulieferer sieht Professor Ferdinand Dudenhöffer, Leiter Center Automotive Research CAR der Universität Duisburg-Essen, große Schwierigkeiten zukommen. Demnach gefährdet der Elektromotor das Geschäftsmodell einiger Zulieferer und damit indirekt auch die Geschäfte der Speditions- und Logistikunternehmen, die für diese Firmen tätig sind. Denn viele Zulieferer sind der CAR-Analyse zufolge nach wie vor stark vom Verbrennungsmotor abhängig: So würde allein bei Bosch, Continental oder ZF zwischen einem Viertel und knapp einem Drittel des Gesamtumsatzes an der bisherigen Motortechnologie hängen, heißt es. Bei Schaeffler sei sogar die Hälfte des Konzernumsatzes gefährdet. Denn noch machen die genannten Unternehmen einen Großteil ihres Umsatzes mit Teilen, die in Zukunft nicht mehr benötigt werden. "Ein Achtzylindermotor besteht aus etwa 1200 Teilen, ein Elektromotor benötigt dagegen rund 20", rechnet Ruud Vossebeld, Director Business Development des Logistiksoftware-Anbieters Inform vor. So würden komplexe Motoren mit Abgasnachbehandlung und aufwendige Getriebe wegfallen; die Produktion der Akkus für die E-Autos läuft weitgehend automatisiert. Und auch sonst verringert sich die Komplexität. So sind Komponenten wie Vergaser, Katalysatoren, Auspufftöpfe, Kraftstoffpumpen oder Tanks beim E-Auto überflüssig. Zulieferer ElringKlinger aus Dettingen stellt auf der IAA zum Beispiel eine komplette Achse vor, die Getriebe und Elektromotor samt Elektronik beinhaltet. Weniger Teile, weniger Lieferanten Weniger Teile bedeutet aber auch, dass sich die Zahl der Lieferanten verringert und sich damit fallweise auch die Lieferketten verkürzen werden. "Sollte es zu einer Verringerung der Komplexität der Wertschöpfungskette kommen, werden sich die Strukturen von Transportnetzwerken ändern", lässt denn auch das Unternehmen Bosch auf Anfrage mitteilen. Generell müssten die Logistikdienstleister flexibler werden und sich auf verändernde Anforderungen einstellen, fordert der Zulieferer. Das mahnt auch Inform-Experte Ruud Vossebeld an. "Die Unternehmen müssen prüfen, wie sie sich künftig strategisch aufstellen wollen, um konkurrenzfähig zu bleiben." Automobilexperte Dudenhöffer rät Logistikunternehmen zudem, vor allem im Blick zu haben, wie sich die Batterietechnik entwickelt und wo in Zukunft demzufolge die Hersteller sitzen würden. In Deutschland tue sich hier aber noch recht wenig, sagt er. Firmen aus Asien wie LG, Panasonic und Samsung sind dagegen bei der Herstellung von leistungsfähigen Batterien führend. Deren Produktion findet aber nach wie vor überwiegend in Asien statt, wenngleich die Unternehmen zunehmend auch in Europa Werke aufbauen. So errichtet die Samsung-Tochter SDI zusätzlich zu ihren Standorten in Südkorea und China auch in Ungarn ein Batteriewerk. LG baut eine Fabrik in Polen. Nissan hat in Großbritannien seine Produktion eingerichtet, diese aber im August an einen Finanzinvestor verkauft. "Wo die deutschen Hersteller dagegen ihre Werke bauen werden, ist noch nicht klar", sagt Vossebeld. Er rechnet allerdings damit, dass diese vorzugsweise in Asien entstehen werden. Entstehen neu: Batteriefabrik-Standorte Als einer der wenigen hat Mercedes-Benz bekannt gegeben, dass auch in Deutschland eine Batteriefabrik errichtet wird. Etwa 500 Millionen Euro will der Konzern in den Aufbau einer Produktion für Lithium-Ionen-Batterien in Kamenz investieren, rund 50 Kilometer von Dresden entfernt. Mitte kommenden Jahres soll das Werk den Betrieb aufnehmen und die bestehende Batteriefabrik erweitern. Weitere Produktionsstätten entstehen am Stammsitz in Stuttgart-Untertürkheim, in Tuscaloosa im US-Bundesstaat Alabama und in Peking. Doch auch Mercedes sieht die Chancen eher im Ausland. In Tuscaloosa sollen künftig Elektrofahrzeuge der Marke EQ vom Band laufen. Investiert wird zudem in den Ausbau der Logistikaktivitäten am Standort. Von Tuscaloosa aus plant Mercedes, Fahrzeug-Bausätze und Ersatzteile in die Montagewerke in Übersee zu verschicken. Damit aber droht Speditions- und Logistikunternehmen in Deutschland, dass ihnen im Wesentlichen nur der Import der Komponenten aus Asien bleibt. Und vielleicht noch nicht einmal das. Denn auch die deutschen Autobauer und ihre Zulieferer sind dabei, in den Ländern zu investieren, in denen der Umstieg auf das E-Auto schneller gehen wird als in Deutschland. Vor allem in China werden derzeit deutlich Produktionskapazitäten aufgebaut. So will Schaeffler in China in den Bau von Elektroantrieben investieren. Das Land ist als größter Automarkt der Welt der Vorreiter in Sachen Elektromobilität. Geringe Veränderungsbereitschaft Entscheidend wird sein, wie schnell sich die Zulieferer auf die anstehenden Herausforderungen einstellen werden. Schließlich werden etwa 70 Prozent der Wertschöpfung bei der Herstellung eines Autos von Zulieferern erbracht, im Bereich Elektronik sind es sogar bis zu 90 Prozent, rechnet die Unternehmensberatung Staufen vor. Schaeffler selbst geht nach einer eigenen Untersuchung davon aus, dass im Jahr 2030 rund 30 Prozent aller neu produzierten Autos rein elektrisch angetrieben werden, während der Anteil der Verbrenner bis dahin auf 30 Prozent sinke und der Rest der Fahrzeuge mit hybriden Antrieben ausgestattet sei. Darum werde die Firma Schaeffler denn auch die Entwicklung von Teilen für Elektroautos ab 2018 in dem Unternehmensbereich E-Mobilität zusammenfassen. Die neue Abteilung soll Komponenten für Hybrid- und reine Elektroantriebe entwickeln und fertigen. Bei vielen Zulieferern sieht Professor Dudenhöffer allerdings wenig Veränderungsbereitschaft. Viele Unternehmen würden zwar darüber reden, von außen sei aber wenig erkennbar, wie gut die Firmen auf die neue Welt eingestellt seien, so der Automobil-Experte. "Die Zulieferer haben die Thematik mit uns noch nicht aufgenommen, wir werden das Thema jedoch bei den nächsten Gesprächen einfließen lassen", bestätigt Christian Mainhardt, Abteilungsleiter Automobillogistik bei der Donau-Speditions-Gesellschaft Kiessling in Regenstauf. Zulieferer Bosch dagegen betont, man sei mit den Partnern in regelmäßigen Gesprächen über strategische Themen. Neben dem Risiko, dass etablierte Zulieferer wegfallen oder deutlich weniger Transportleistungen benötigen könnten, bietet der Wandel zum Elektroauto den Speditionen auch Chancen. Davon ist Michael Hahn, Branchenexperte Automotive der Unternehmensberatung Staufen, überzeugt und begründet das damit, dass die Autohersteller in Zukunft mit ganz anderen Lieferanten arbeiten. Allein deshalb, weil sie neben E-Motoren zum Beispiel auch Teile wie Stecker für die Ladesysteme, Kabel und Steuerungsgeräte benötigen. Diese wiederum stammen laut Hahn oft von kleinen Firmen, die bislang keine Erfahrungen in der Automobilindustrie haben. Und ebendiesen Firmen fehlt meist auch das logistische Netz - eine interessante Option, die Speditions- und Logistikbetriebe im Blick haben sollten. Bisher wenig beachtete Zulieferer könnten so zu bedeutsamen Kunden aufsteigen, wie etwa die österreichische Firma Polytec, die Abdeckungen für Batterien und Leichtbauteile liefert. Auch ElringKlinger könnte mit seinen Leichtbauteilen und Batteriekomponenten ein neues Geschäftsfeld aufstoßen. Bisher hängt das schwäbische Unternehmen als Weltmarktführer für Zylinderkopfdichtung noch stark am Verbrennungsmotor. Neue Player und damit neue Chancen Hinzu kommen ganz neue Kunden. So experimentieren branchenfremde Konzerne wie Google oder Apple seit Längerem mit Elektro- und selbstfahrenden Autos. Zuletzt kündigte überraschenderweise der britische Staubsaugerhersteller Dyson an, ein eigenes Elektroauto entwickeln zu wollen. Und in Deutschland ist die Deutsche Post DHL Group binnen kürzester Zeit mit dem Streetscooter zu einem der großen Hersteller von E-Autos geworden und will nun bis Ende des Jahres sogar seine Produktion auf 20.000 Fahrzeuge verdoppeln - inklusive eines zweiten Produktionswerks in Nordrhein-Westfalen. Ein anderer neuer Anbieter ist das Münchener Start-up Sono Motors, das im vergangenen Jahr gegründet wurde und nun mit einem viersitzigen Billig-Elektroauto den Markt aufmischen will. Mitte 2019 soll das Fahrzeug auf den Markt kommen. Und die positive Nachricht für alle Speditions- und Logistikdienstleister ist: Mit Ausnahme der Deutschen Post haben alle diese neuen Player bislang meist eher wenige Berührungspunkte zur Logistikbranche und zu den Transportstrukturen. Neue Geschäfte sind also in Aussicht! Mehr zum Thema im Dossier Automobillogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Praxislösung Kühne + Nagel setzt auf den Akku-Kreislauf Mit dem Erfolg der Elektromobilität werden sich die Anforderungen an die gesamte Transportkette deutlich verändern. Das gilt etwa für die höheren Sicherheitsanforderungen bei den Batterien. Das Schweizer Logistikunternehmen Kühne + Nagel (K+N) hat bereits darauf reagiert und auf der IAA in Frankfurt/Main soeben eine neue Lösung für Lithium-Batterien vorgestellt. Unter der Bezeichnung "KN BatteryChain" will das Unternehmen künftig zusammen mit seinen Logistikpartnern die gesamte Versorgungskette von den Zulieferern von Komponenten für die Zellen bis hin zum Recycling abdecken, kündigte der Dienstleister an.So werden die einzelnen Komponenten zu den Batteriewerken transportiert und die fertigen Akkus zu den Autobauern oder Händlern. Gleichzeitig werden Verpackungsmaterial und verbrauchte Akkus recycelt oder im Falle der Batterien repariert. Die Wertstoffe aus den recycelten Akkus sollen wieder an die Hersteller der Batterien geliefert werden, heißt es. Die steigende Nachfrage nach Elektroautos werde die Nachfrage für den Transport und die Lagerung von Lithium-Ionen-Batterien befeuern, hofft das Logistikunternehmen. Die großen Batterien stellten allerdings hohe Anforderungen, um die gesetzlichen Auflagen an die Lagerung und den Transport für Gefahrgut zu erfüllen. ah

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