Strahlenschutz

Strahlenschutz Was aus Japan ankommt In der globalisierten Welt ist Japan nicht weit entfernt: Radioaktiv belastete Güter könnten bald in Deutschland auftauchen. Strahlenschutz wird daher auch in der Logistik zum Thema. Das Bundesumweltministerium (BMU) gibt Entwarnung: Belas-tungen durch radioaktive Partikel, die in der Atmosphäre aus Japan bis nach Deutschland kommen, seien so gering, dass eine gesundheitliche Gefährdung ausgeschlossen ist. Das gilt allerdings nicht für kontaminierte Waren, die per Flugzeug oder auf dem Seeweg ihren Weg nach Eu-ropa finden. Per Flugzeug aus Japan importierte Fracht wird daher an den deutschen Flughäfen seit der Erdbebenkatastrophe in Japan zu 100 Prozent auf Strahlung hin untersucht. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner ließ sich bei einem Pressetermin am Frankfurter Flughafen die Strahlenmessungen des Zolls in der vergangenen Woche öffentlichkeitswirksam demonstrieren. Am Frankfurter Mega-Hub landen täglich 6 bis 8 Passagier- und Frachtflugzeuge aus Japan. Der Zoll fahndet schon auf dem Vorfeld nach erhöhten Strahlenwerten. Zur Kontrolle von Fracht, Postsendungen und Reisegepäck kommen laut Ronald Mattausch, Vorsteher des Hauptzollamtes Frankfurt Flughafen, hochempfindliche Messgeräte zum Einsatz, die um den Faktor Tausend empfindlicher sind als herkömmliche Geigerzähler. Zusätzlich kontrolliert die Feuerwehr jedes Flugzeug auf erhöhte Strahlung in der Kabine. Eine Eilverordnung des Bundesumweltministeriums vom 19. März legt den Grenzwert für die Kontamination der Außenhaut von Flugzeugen auf 1 Kilobecquerel je Quadratzentimeter fest. Das entspricht einer Dosisleistung von 5 Mikrosievert pro Stunde (siehe Kasten). Zum Vergleich: Die Dosis, die ein Passagier durch Höhenstrahlung bei einem Flug von München nach Japan abbekommt, beträgt bis zu 100 Mikrosievert. Die Frachtairline Lufthansa Cargo führt sicherheitshalber bei Waren aus Japan zusätzliche Messungen am Abgangsflughafen Tokio durch. Laut Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) importierte Deutschland aus Japan im Jahr 2010 Hightech-Produkte im Wert von 3,4 Milliarden Euro. Eine Gefährdung, dass verstrahlte Waren aus Japan nach Deutschland kommen könnten, sieht der Verband derzeit nicht und verweist auf die Kontrollen durch den Zoll an Flughäfen und in den Seehäfen. Seehäfen arbeiten an Plänen Dort bereitet man sich derweil auf die ers-ten Schiffe mit Ladung vor, die in Japan nach der Atomkatastrophe beladen wurden und theoretisch verstrahlte Container an Bord haben könnten. In Rotterdam werden die ersten relevanten Containerschiffe aus Japan nicht vor Mitte April erwartet. Aufgrund der aktuellen Lage in Japan arbeiten die holländischen Behörden und Unternehmen jetzt an einer gemeinsamen Vorgehensweise. Dies beziehe sich insbesondere auf die Schiffseinfahrt in den Hafen, bevor die Ladungen gelöscht würden, sagt Minco van Heezen, Pressesprecher des Hafens. Die meisten angelandeten Container, die das Hafengelände verlassen, würden ohnehin schon seit zehn Jahren mithilfe von Geigerzählern und festen Messstationen auf Radioaktivität untersucht. Im Hamburger Hafen ist die Innenbehörde Hamburg für die Causa „Radioaktivität“ zuständig. Man habe eine Expertenkommission eingerichtet, die über die weitere behördliche Zuständigkeit bei konkreten Verdachtsfällen entscheiden soll, erklärte der Pressesprecher der Innenbehörde, Ralf Kunz. „Bevor Lieferungen bei uns ankommen, werden andere europäische Häfen wie Antwerpen oder Rotterdam angesteuert. Dort wird schon kontrolliert“, beruhigt Kunz. Eine Direktverbindung zwischen Hamburg und Japan gebe es nicht. Der Deutsche Zoll teilte auf Anfrage der VerkehrsRundschau mit, dass Radioaktivitätskontrollen seit Tschernobyl im Jahr 1986 stichprobenhaft durchgeführt würden. „Natürlich sind wir sensibilisiert, aber im Moment wird das Thema aufgebauscht“, glaubt Michael Rietz, Sprecher der Bundesfinanzdirektion Nord, der die Hamburger Zollverwaltung zugeordnet ist. Einen EU-Grenzwert für kontaminierte Schiffe gibt es bislang laut BMU nicht. Allerdings gelte für geladene Waren der aus dem Gefahrgutrecht stammende Grenzwert von vier Becquerel pro Quadratzentimeter. Autohersteller wollen Garantien Um den Import verstrahlter Lebensmittel nach Europa zu verhindern, ist seit Mitte März eine Eilverordnung in Kraft, nach der Lebensmittel aus gefährdeten Gebieten in Japan nur noch nach Kontrolle bereits im Abgangsland exportiert werden dürfen. Zusätzlich wird ein Teil der Lebensmittel in den Empfangsstaaten untersucht. Auch in der Industrie geht man offenbar auf Nummer sicher: Der Autobauer BMW bestätigte, dass Zulieferer vertraglich verpflichtet seien, lediglich Waren und Komponenten an die Unternehmen der BMW Group zu liefern, die nicht kontaminiert sind. „Die Lieferanten wurden aufgefordert, sämtliche erforderliche Maßnahmen zu ergreifen, um dies sicherzustellen“, heißt es in einer Erklärung. Michael Sennwitz, Geschäftsführer des Ingenieurbüros SPIN, Sennwitz & Partner, hatte bereits mehrere Anfragen von Zulieferbetrieben aus der Automobilindustrie für Kontaminationsmessungen. Das Büro in Brühl ist neben dem TÜV Süd eine von zwei Messstellen in Baden-Württemberg, die von der Landesumweltbehörde als offizielle Messstelle benannt sind. Auch gebe es bereits mehrere konkrete Anfragen verunsicherter Unternehmen, die sich um den Schutz ihrer Mitarbeiter sorgten. Wischtests sind genauer Grundsätzlich kommen für die Messung oberflächlicher Kontamination bei Transportsendungen zwei Methoden infrage: Mit mobilen Kontaminationsmonitoren – umgangssprachlich als Geigerzähler bezeichnet – lassen sich Oberflächenkontaminationen schnell erfassen. Eine zweite, etwas genauere Methode ist der Wischtest: Dabei werden definierte Oberflächen mit einem Pad aus saugfähigem Papier abgewischt, um anhaftende Partikel aufzunehmen. Anschließend wird die Probe im Labor analysiert. Grundsätzlich könnten Unternehmen laut Sennwitz die Probennahme selbst durchführen und die Probe zur weiteren Untersuchung an ein Fachlabor schicken. Messungen in Eigenregie mit mobilen Geigerzählern hält der Ingenieur grundsätzlich ebenfalls für möglich, allerdings nur von geschulten Mitarbeitern. Das größere Problem liege in der Verfügbarkeit der Geräte, denn Geigerzähler sind derzeit ausverkauft. Das bestätigt Wilhelm Buttler, Geschäftsführer des Herstellers Automess. Die Geräte seien erst wieder in drei Monaten lieferbar. Preislich liegen die Geigerzähler bei 1280 Euro – zuzüglich einer speziellen Sonde zur Messung von Kontamination. Auch die Logistikdienstleister sind alarmiert: „Oberste Priorität für uns hat der Schutz der eigenen Mitarbeiter“, erklärt Otto Schacht, Leiter globale Seefracht beim Logistikdienstleister Kühne + Nagel. In Japan seien alle Büros geöffnet, deshalb behalte man die Entwicklung der Situation in enger Abstimmung mit Reedern und Behörden im Auge. Die Messwerte in Tokio gäben derzeit keinerlei Hinweise auf erhöhte Strahlenbelastungen. Die Häfen Tokio und Yokohama würden von allen Reedern angelaufen. Allerdings führten einige Carrier stichprobenhaft Strahlenmessungen an Containern durch. Kühne + Nagel macht keine eigenen Messungen. DB Schenker ist nach eigenen Angaben in Japan gerade dabei, einen Prozess aufzustellen, mit dem Sendungen auf radioaktive Kontamination untersucht werden. ❙❚■ Johanna Koch und Dietmar Winkler Das empfindliche Handmessgerät des Zolls kann Werte ab 40 Nanosievert pro Stunde erfassen Strahlenmessung des Zolls am Flughafen Strahlenschutz Radioaktive strahlung 8000 mSv 7000 mSv 6000 mSv 5000 mSv 4000 mSv 3000 mSv 2000 mSv 1000 mSv 0 mSv Beispielhafte Angaben von Strahlendosen im Vergleich und ihre Wirkung auf den Körper Die Strahlendosis wird üblicherweise in Sievert [Sv] bzw. Millisievert [mSv] angegeben. Die Einheit hat den Vorteil, dass sie verschiedene Strahlungsarten (Alpha-, Beta- und Gammastrahlung) und die unterschiedliche Wirkung von Strahlen auf verschiedenen Organe des Menschen bereits berücksichtigt. Angaben zur Strahlendosis werden dadurch vergleichbar. Um die Auswirkungen von radioaktiver Strahlung auf den Körper genauer einschätzen zu können, ist es wichtig zu wissen, wie lange eine bestimmte Dosis auf den Körper einwirkt. Daher wird die Strahlenbelastung meist in Sievert pro Zeiteinheit gemessen. Also etwa Millisievert pro Jahr oder Mikrosievert pro Stunde. Wie stark ein Stoff strahlt, wird in Becquerel [Bq] angegeben (Aktivität). Die Einheit gibt an, wie viele Kerne in einer Sekunde zerfallen. Das sagt aber noch nichts über die Wirkung auf den menschlichen Organismus aus, da unterschiedliche radioaktive Substanzen unterschiedliche Strahlung abgeben. Typische Isotope nach einem Reaktorunfall sind Cäsium 137 (Gammastrahlung), Jod 131 (Betastrahlung), Strontium 90 (Betastrahlung) und Plutonium 239 (Alphastrahlung). diwi 0,01-0,03 mSvDosis einer Röntgenaufnahme des Brustkorbs 2 mSv in 50 JahrenDosis für Personen im Voralpenland durch Reaktorunfall von Tschernobyl im Zeitraum von 1986 bis 2036 2-3 mSv/Jahrjährliche Strahlenexposition der Bevölkerung in Deutschland 100 mSvBei dieser Dosis treten 1 % zusätzliche Krebs- und Leukämiefälle auf 500 mSvBei akuter Exposition akute Strahleneffekte (Übelkeit, Erbrechen) 3000-4000 mSvDie Hälfte der akut exponierten Personen stirbt innerhalb von 3-6 Wochen 8000 mSvSicherer Tod Strahlenschutz „Von eigenen Messungen würde ich abraten“ Bei Verdacht auf Kontamination sollten Experten hinzugezogen werden, empfiehlt Oliver Kosbadt, Strahlenschutzexperte im Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr Baden-Württemberg. Ist es sinnvoll, dass sich Unternehmen selbst Messgeräte zulegen und Waren auf Kontamination hin messen? Oliver Kosbadt: Nein, sicher nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Der Zoll führt an den Außengrenzen bereits Messungen bei Sendungen aus Japan durch. Per EU-Eilverordnung wurden zudem Grenzwerte für den Import von Futter- und Lebensmitteln erlassen und verstärkte Kontrollen schon im Abgangsland für die Einfuhr vorgeschrieben. Sämtliche Lieferungen aus Japan müssen mindestens zwei Tage vor ihrer Ankunft an den EU-Außenkontrollstellen angemeldet werden. Wer kann überhaupt sinnvoll Messungen durchführen? Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass man sich einfach ein Messgerät kauft und loslegen kann. Man benötigt das erforderliche Fachwissen und Erfahrung, um die Messwerte richtig interpretieren zu können. So führen natürliche radioaktive Stoffe wie beispielsweise Kalium 40 ebenfalls zu einem entsprechenden Ausschlag des Messgeräts. Die Geräte müssen außerdem für den jeweiligen Zweck der Messung richtig kalibriert sein. Gibt es öffentliche Messstellen? Fluggäste aus Japan, die befürchten, kontaminiert sein zu können, haben die Möglichkeit, sich direkt am Flughafen messen zu lassen. Jedes Bundesland hat zudem entsprechend qualifizierte Messstellen, wo sich Personen ausmessen lassen können. Unternehmen, die den Verdacht haben, dass aus Japan importierte Waren kontaminiert sein könnten, können bei amtlichen Sachverständigen gegen Kostenerstattung zusätzliche Strahlenmessungen durchführen lassen. Welche Art von Strahlung kann überhaupt gemessen werden? In aller Regel müssen wir derzeit Radionuklide wie beispielsweise Cäsium 137 und Iod 131 betrachten, deren Gammastrahlung sich auch durch Verpackungen hindurch sehr empfindlich messen lässt. Welche Empfehlung geben Sie Logistik-unternehmen? Die Geschäftsführung sollte die aktuelle Entwicklung auf jeden Fall im Auge behalten. Gute Informationsquellen sind beispielsweise die Internetseiten des Bundesumweltministeriums, des Bundesamts für Strahlenschutz und der Gesellschaft für Reaktorsicherheit. Man sollte auch die Mitarbeiter regelmäßig informieren. Es wäre auch denkbar, im Betrieb eine zentrale Anlaufstelle einzurichten, an die sich Mitarbeiter mit ihren Fragen wenden können. Noch mal: Von eigenen Messungen würde ich abraten. diwi Interview Oliver Kosbadt

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