Ready, steady, go?

Die Automobillogistik ist eine der Branchen, die die Corona-Pandemie mit voller Wucht erwischt hatte. Die globalen Lieferketten konnten durch die Shutdowns nicht aufrechterhalten werden, die Bänder der Autoproduzenten standen still - und mit ihnen auch viele Lkw-Flotten ihrer Transportdienstleister. Doch jetzt bewegt sich was. "Wir wollen noch vor Beginn der Sommerferien zurück in den normalen Drei-Schicht-Betrieb, sagte Christian Wolff ambitioniert Mitte Mai auf der Online-Konferenz "Restart Logistics" der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Der Geschäftsführer Mercedes-Benz Manufacturing in Ungarn leitet das Werk in Kecskemét. Dort laufen eigentlich der CLA Coupé und die A-Klasse vom Band. Doch auch hier ging wochenlang nichts. Weil die Versorgung mit Bauteilen nicht mehr funktioniert hat, kam es Ende März zum Shutdown. "Von Lieferanten aus Italien oder Frankreich kam teilweise nichts mehr", erinnert sich Wolff. Ende April ist der Betrieb schließlich wieder angelaufen - vorerst aber nur mit einer Schicht. "Wir durften endlich mal wieder ein paar Schritte in Richtung Normalität gehen", sagte Wolff erleichtert. Noch Ende Mai ist dann der Zwei-Schicht-Betrieb geplant. "Wir müssen langsam starten und darauf warten, dass unsere Lieferanten so weit sind", so der Geschäftsführer. Das laufe aber gut an, nur mit Teilen aus Mexiko gebe es aktuell noch Probleme. Was ihm in der Corona-Zeit imponiert hat, war "die Kreativität der Logistiker". Bei geschlossenen Grenzen oder Quarantäne-Bestimmungen für Lkw-Fahrer haben sie Lieferketten schnell umstrukturiert, sind auf die Bahn umgestiegen oder haben ganz neue Routen über andere Länder genommen, berichtete Wolff. "Das war die Zeit der Logistiker", sagte er beeindruckt. Von Klopapier und leeren Bahnhöfen Stephan Wohler, bei Edeka Foodservice für die Logistik verantwortlich, hob auf der BVL-Online-Konferenz ebenfalls die Bedeutung dieses Bereichs in den vergangenen Monaten hervor. Der Lebensmitteleinzelhandel gilt zwar als Gewinner der Krise, aber Corona hat auch hier einiges durcheinandergewirbelt. Auf der einen Seite mussten Bestellspitzen gemeistert werden - Klopapier, Nudeln, Konserven -, auf der anderen Seite berichtete Wohler aber auch von Märkten, die starke Rückgänge hatten: zum Beispiel auf Borkum, wo die einkaufswilligen Touristen fehlten, oder in Filialen in Bahnhöfen oder Einkaufszentren, wo die Laufkundschaft wegfiel. Auch hier war also Kreativität gefragt, "Wir haben dann Flurförderzeuge umgeschichtet, Personal zwischen verschiedenen Lagerstandorten umverteilt. Außerdem waren 400 Leiharbeiter im Einsatz", sagte er. Bewährt habe sich in der Krise, dass Edeka in der Intralogistik eine Teilautomatisierungs-Strategie fährt. So konnte man den Spitzen flexibler begegnen als mit vollautomatisierten Lagern. Darüber hinaus hat Edeka in die automatischen Dispositionsprogramme durch eine gezielte Auftragssteuerung eingegriffen, um einen Bullwhip-Effekt zu verhindern und die Arbeitsfähigkeit der Logistikdienstleister aufrechtzuerhalten. Aber die Situation normalisiert sich wieder: "Wir sind auf dem Weg, dass wir wieder ein gewohntes Niveau im Bestelleingang bekommen", berichtete Wohler. Auch für Paneuropa geht es langsam wieder in Richtung Normalbetrieb. "Im Mai gehen wir davon aus, dass wir zwischen 80 und 90 Prozent des gesamten Regelaufkommens erreichen", sagte Geschäftsführer Carsten Hemme in einem Gespräch mit der VerkehrsRundschau. Für die Spedition ist Italien der Kernmarkt. Etwa 80 Prozent des Umsatzes macht das auf Intermodal-Transporte spezialisierte Unternehmen mit Sitz im niedersächsischen Bakum mit Italienverkehren. Alleine acht Ganzzüge die Woche sind vor der Corona-Krise zwischen Bremen und Verona gefahren. Dazu kamen weitere Sendungen von anderen Terminals in Deutschland nach Verona sowie nochmal wöchentlich 60 Lkw, die diese Strecke auf der Straße zurückgelegt haben. Nachdem Paneuropa trotz Lockdown in Italien im März sogar noch ausgesprochen gut zu tun hatte, hat das Unternehmen im April die Folgen der Restriktionen zu spüren bekommen. "Wir sind etwa 60 Prozent der normalen Menge gefahren", sagte Hemme. Statt den acht Ganzzügen nur noch fünf die Woche, statt 60 Lkw die Woche nur noch 30. Die Kapazitäten jetzt wieder bereitzustellen, bereitet ihm keine Probleme: "Wir hatten keine Kurzarbeit. Alle Mitarbeiter sind also verfügbar." In der Krise hat er die Italien-Fahrer beispielsweise auf innerdeutschen Transporten eingesetzt, die vorher Subunternehmen abgewickelt haben. "Aber auch die Bahnen zeigen sich sehr flexibel: Wir könnten die Zahl der Züge schnell wieder erhöhen. Dazu benötigen wir nicht viel mehr als eine Woche", signalisierte Hemme ein rasches Wiederhochfahren. Und wie sieht die Situation in der Seefracht aus? Die Lage an den Häfen gilt schließlich als Gradmesser für den Außenhandel. Und: Werden in den Häfen viele Container umgeschlagen, haben auch die zahlreichen Akteure im Hinterland gut zu tun. Die Zahlen im Hafen Hamburg sind zwar rückläufig, von Stillstand kann aber keine Rede sein. "Die Gesamttonnage ist im ersten Quartal 2020 um 7,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gesunken", sagte Axel Mattern, Vorstand Hafen Hamburg Marketing (HHM), gegenüber der VerkehrsRundschau. Beim Containerumschlag gab es ein Minus von 6,6 Prozent auf 2,2 Millionen TEU. Reeder verknappen die Kapazitäten Das Jahr 2020 ist laut Mattern gut angelaufen. Im März dann hätten und die Corona-Pandemie Spuren hinterlassen. Mattern verdeutlicht dies an den Blank Sailings, dem Ausfall von Schiffsankünften. Im Januar waren es sechs, im Februar nur einer und dann im März 26. Damit war aber auch der Höhepunkt erreicht: Im April wurden 19 gezählt, im Mai sollen es ebenfalls 19 werden und im Juni dann nur noch 16. "Eine Ursache der Blank Sailings ist natürlich auch, dass die Reeder versuchen, über eine Verknappung der Kapazitäten die Frachtraten zu stützen", sagte Mattern. Keinerlei Probleme sieht der HHM-Vorstand in der Funktionsfähigkeit des Hafens: "Die Akteure im Hafen haben sich alle als sehr flexibel erwiesen. Der operationelle Ablauf war bislang in keiner Weise beeinträchtigt." Sollte die Nachfrage steigen, würden die Supply Chains schnell wieder geknüpft. Eine Beeinträchtigung der Terminals durch abgestellte Container, wie es im Hafen Ende März zu beobachten war, befürchtet er nicht. "Dazu gibt es ein einfaches Instrument: Die Betreiber erhöhen die Standgelder, dann werden die Container ganz schnell abgeholt", sagte Mattern. Ob die Häfen nach der Corona-Pandemie weniger zu tun bekommen werden, dazu will Mattern keine Prognose abgeben. Sicher würden die Beschaffungswege überprüft werden. "Aber es werden jetzt aufgrund der Probleme nicht alle in Europa produzieren", sagte Mattern. Das könne bei einigen Medikamenten oder Medizinprodukten so sein. Wobei er zu bedenken gibt: Einw solche Maßgabe könne der Staat den Unternehmen auch nicht einfach verordnen - schon gar nicht in anderen Branchen. "Die Globalisierung wird nicht einfach stocken. Transport wird es immer geben", zeigte er sich zuversichtlich. Durchaus gibt es aber Branchenexperten, die davon ausgehen, dass die Globalisierung, mit internationalem Warenfluss, komplexen Lieferketten und zahlreichen Schnittstellen, sich infolge der Corona-Pandemie deutlich abschwächt. "Die Schwankungen entlang der Kette haben bereits in den letzten Jahren zugenommen", sagte Sylvia Trage, Supply-Chain-Expertin bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG auf der BVL-Online-Konferenz. In Zukunft komme es wahrscheinlich zu einer stärkeren Regionalisierung und kürzeren Lieferketten, so ihre These. Sie glaubt an ein Szenario nach Corona, in dem Unternehmen wieder verstärkt Standorte in Europa nutzen und ihre Produktion dort auf verschiedene Märkte verteilen, um in Krisen reaktionsfähig zu sein. "Wenn die Lieferketten näher am Absatzmarkt sind, wirkt sich das auch positiv auf den CO2-Verbrauch auf", schiebt Trage nach. Sollte es mit dem Green-Deal der EU dazu kommen, dass Nachhaltigkeitsfaktoren eingepreist werden, könnte das sogar ein Kostenvorteil sein, meint die Expertin. Binnenmarkt statt Globus Kürzere Supply-Chains und Logistiknetze hält auch Logistikprofessor Christian Kille von der Hochschule Würzburg für wahrscheinlich. "Die Globalisierung wird nicht mehr der Wachstumstreiber der Logistik sein wie nach der Finanzkrise. An ihre Stelle treten die Inlandsnachfrage und der Binnenmarkt", sagte Kille in der Online-Konferenz. "Die Nachfrage insgesamt verändert sich, Corona ist ein Break", stellte er klar. Unternehmen müssten sich nun überlegen, wie sie sich aufstellen. Ein "Business as usual" sei nicht mehr möglich, warnt er. Kille wie Trage sind sich einig, dass das Risikomanagement in der Logistik künftig eine noch größere Rolle spielen muss. "Produkte von Nahrungsmittelherstellern wie von Pharmaunternehmen waren in den letzten Wochen sehr gefragt. Gleichzeitig kam es zu Lieferkettenunterbrechungen", sagte Trage. Störfaktoren, die zu solchen Problemen geführt hätten, müssten identifiziert und Risikopläne ausgearbeitet werden. Wichtigstes Instrument bei diesem Vorhaben: die Digitalisierung. "Mit Echtzeit-Tracking lassen sich Risiken schneller erkennen und man kann schneller auf Störungen reagieren", so Trage. Auch der Logistikprofessor Kille hält die Transparenz und die Kommunikation für künftige Erfolgsfaktoren. Trotz der schwierigen Situation sollten Unternehmen also weiter in die Digitalisierung investieren. Kein Massensterben der Dienstleister Eine Komplett-Gesundung der Logistikbranche sieht Kille trotz solcher Bemühungen so schnell nicht kommen. Aber, kleiner Lichtblick: Im zweiten Halbjahr 2020 werde sich die Branche zumindest leicht erholen, meint er. Wachstumsraten wie in den vergangenen Jahren sind jedoch unwahrscheinlich. In dieselbe Richtung gehen seine Einschätzungen zum Thema Konsolidierung: "Die Insolvenzen werden steigen, ich glaube aber nicht an ein Massensterben der Logistikdienstleister", sagt Kille. Gerade kleine Unternehmen hätten jedoch zu kämpfen. "Wir werden aber keinen Kahlschlag erleben", meint der Logistikprofessor. In Kürze Ob Lebensmitteleinzelhandel, Automobilindustrie, Speditionen im grenzüberschreitenden Verkehr oder Hafenbetreiber. Corona hat die Welt der Akteure entlang der Supply-Chains auf den Kopf gestellt. Jetzt bereiten sie sich auf den Hochlauf vor. Doch an eine Rückkehr zum Status quo ante glauben Branchenexperten nicht. Corona-Tipps Hygieneregeln im Unternehmen, Insolvenzrecht, Tipps für Preisverhandlungen: In unserer Corona-Playlist auf VerkehrsRundschau plus finden Abonnenten praktische Arbeitshilfen und Hintergrundinformationen.www.verkehrsrundschau.de/plus/corona

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