Pharmalogistik

Pharmalogistik Lukrative Pillen Nahezu jedes namhafte Speditions-, KEP- und Logistikunternehmen strebt derzeit in die Wachstumsbranche Pharmalogistik. Doch wie lukrativ ist dieser Markt wirklich und vor allem welche Chancen bietet er Mittelständlern? Vom Wachstumsmarkt Pharmalogistik schwärmen viele Marktkenner und Unternehmen. Auf 30 Milliarden Euro beziffern Marktstudien die weltweite Nachfrage nach branchenspezifischen Transport- und Lagerdienstleistungen. Wer aber in entsprechende Lösungen investiert, muss klotzen statt kleckern. Hohe einstellige Wachstumsraten So gehören vollautomatisch bewirtschaftete Hochregallager mit modernsten Intralogistik-Anlagen zum Standard, wie Kühllösungen, die Temperaturen im zweistelligen Minusbereich stabil halten, oder Kofferfahrzeuge, die eine aktive Temperaturführung in zwei Zonen ermöglichen. „Auch bei sehr kleinen Posten darf nicht gespart werden“, weiß Johann Strobl, Manager Sales & Marketing von Loxxess Pharma im oberbayerischen Wolfratshausen. So muss jeder Marktteilnehmer hohe Palettenbestände ausschließlich für den internen Warenverkehr bereithalten. „Auf dem Weg zum Warenausgang dürfen entsprechend den Herstelleranforderungen nur gleiche Einheiten transportiert werden“, sagt Strobl. Oft stehen deshalb nur einzelne Päckchen oder Kleinbehälter auf einer Palette – die Gefahr von irrtümlichen Kommissionierungen soll so klein wie möglich gehalten werden. Vor rund 20 Jahren formulierte die Pharmaindustrie erstmals verbindliche Vorschriften für „Good Distribution Practice“ (GDP), auf der inzwischen auch EU-Richtlinien und nationale Verordnungen fußen. Qualitätsmanagement, Temperaturführung, getrennte Lagerung von anderen Produkten – diese und andere Fragen regeln die GDP-Richtlinien, die auch wegen der hohen Preise vieler Produkte verabschiedet wurden. Da manche Arzneien mehrere 1000 oder 10.000 Euro kosten, kann eine einzelne LKW-Ladung über zehn Millionen Euro wert sein. Jetzt soll das GDP-Regelwerk verschärft werden. Künftig sollen Temperaturführungen nicht nur für zwei bis acht Grad, sondern auch für 15 bis 25 Grad Celsius vorgeschrieben werden – viele Fahrzeuge müssten dann mit elektronischer Überwachungs-IT nachgerüstet werden. Wer aber in der Pharmalogistik Fuß gefasst hat, schwärmt von hohen einstelligen Wachstumsraten und regelmäßigen Interessenten-Anfragen. Kein Wunder, Branchenschätzungen zufolge hat erst jede fünfte Healthcare-Firma ihre Logistik ausgelagert. Da nationale Gesetzgeber den Gesundheitsmarkt laufend reformieren und mit zusätzlichen Restriktionen belegen, suchen viele Branchenhersteller nach Einsparpotenzialen und werden außer in der Lohnfertigung auch in der Logistik fündig. Wenn überhaupt war dieser Bereich bisher an Branchengründungen wie Pharmaserv, an dem sieben produzierende Betriebe Anteile halten, sowie Movianto, eine Tochter des Pharmagroßhändlers Celesio, outgesourct worden. Solchen Marktteilnehmern können Logistikfirmen Paroli bieten, indem auch sie Herstellerstandorte übernehmen und Joint- Venture-Lösungen eingehen. So betreibt Loxxess Pharma das Wolfratshausener Lager auf dem Gelände von Haupt Pharma, die 33 Prozent Anteile an dem Logistikdienstleister hält. Zudem nutzen 40 Hersteller das Hochregallager mit Pick-by-Light-Anlage sowie einen Loxxess-Standort in Regensburg. Ansonsten müssen Logistikbetriebe alle Zertifikate vorlegen, die die Hersteller fordern. Mit ISO 9001ff auf Basis des GDP-Regelwerks allein ist es meist nicht getan. Jede Firma, die Arzneimittel umschlägt, muss beim Regierungspräsidium oder anderen Behörden eine Großhandelserlaubnis beantragen – diese Vorschrift gilt für Handels- und Logistikfirmen. Wer besondere Anforderungen in punkto Risikomanagement, Geräteinspektion und Produktdokumentation erfüllen will, sollte sich nach ISO 13485 zertifizieren lassen: Dieses Managementsystem wurde für die Herstellung von Medizinprodukten entwickelt. „Wir können so sicherstellen, dass Logistikprozesse in gleich hoher Qualität wie Herstellungsprozesse dargestellt werden“, betont Christiane Schütz, Geschäftsentwicklungsmanagerin bei Rhenus. Egal welche Zertifizierung – angesichts der Wachstumschancen lohnt der Aufwand allemal. Vor allem Medikamentenhersteller haben mit höheren Kosten zu kämpfen, weil immer mehr Nachahmerpräparate in den Markt drängen und Patente auslaufen. Mancher große Konzern hat seine Produktion nach Südostasien ausgelagert, wo große Wachstumschancen mit günstigen Herstellungskosten winken. Solche Strategien sind nur mit weltweiten Supply Chains in alle wichtigen Absatzmärkte zu realisieren. Auf entsprechende Lösungen hat sich außer UPS vor allem DHL spezialisiert. Die Konzerntochter DHL GCS Life Sciences & Healthcare, die weltweit 4000 Mitarbeiter an über 130 Standorten beschäftigt, will in den kommenden Jahren weitere temperaturgeführte Lieferketten nach Osteuropa und in den Nahen Osten aufbauen sowie vorhandene Kapazitäten in Indien und China erweitern. Für den Transport haben DHL wie UPS in Zusammenarbeit mit Kunden spezifische Container-, Temperaturüberwachungs- und Verpackungslösungen entwickelt, die vor allem die Luftfracht unterstützen. Im Straßengüterverkehr sind solche Spezialprodukte noch nicht nötig. Daher konnte auch mancher Mittelständler erfolgreich Fuß fassen, etwa Frigo-Trans in Frankenthal. Mit 65 Kühlkoffer-LKW und Tochterfirmen in Griechenland, Frankreich und der Schweiz kann die 1988 gegründete Firma nach eigenen Angaben temperaturgeführte Transporte auf allen europäischen Fernverkehrsstrecken übernehmen. Alle LKW sind entsprechend den Herstelleranforderungen mit GPS-basierten Überwachungstechnologien ausgerüstet, die bei den kleinsten Routen- und Temperaturabweichungen sofort Alarm schlagen. Als Player im Transportmarkt hat sich auch die Trans-o-flex-Tochter Thermomed durchgesetzt, die mehrere 100 Transporter mit getrennten Kühlkammern im Bestand hat. Im Gegensatz zu den meisten Konkurrenten kann die Firma auch KEP-Sendungen in zwei Temperaturzonen mit aktiver Temperaturführung befördern. Zu den Kunden von Thermomed gehören außer Pharmaherstellern, Apotheken und Krankenhäusern auch Arvato und Loxxess Pharma. Unter Kostendruck: Pharmagroßhandel Mit Ausnahme des Transports bieten beide Firmen fast alle branchenüblichen Services an. Das Spektrum reicht von länderspezifischen Verpackungen über Rückruf- und Retourenmanagement für verspätete oder verdorbene Lieferungen bis zur Rechnungsstellung inklusive Debitorenmanagement. Den letzten Service nehmen vor allem ausländische Kunden in Anspruch. Mit weiter gehenden Services wie die Übernahme von Inhouse Logistik in Herstellerbetrieben oder Spezialtransporten mit Geräteaufstellung wirbt Rhenus. „Wir wollen die komplette Supply Chain ab Forschung und Entwicklung abbilden“, sagt Schütz. Wachstumschancen rechnet sich viele Firmen auch aus, weil der Pharma-Großhandel mit seinen Transport- und Logistikangeboten unter Kostendruck gerät. „Der Markt hinterfragt den mehrstufigen Vertrieb in die Apotheken“, sagt Thermomed-Chef Carsten Glos. „Direktlieferungen nehmen zu. In Deutschland machen sie schon 15 Prozent des Marktvolumens aus.“ In dieses Bild passt, dass Celesio nun seine Tochter Movianto verkaufen will. Als potenzielle Käufer werden auch DHL und UPS gehandelt. Grundsätzlich stellt schon das Produktportfolio hohe Anforderungen. Das Spektrum reicht von Werbematerialien über temperaturabhängige Tabletten bis zu hochtoxischen Antikrebsmitteln, die als Gefahrgut deklariert sind. Auch an besonderen Kühlkammern kommt kein Logistikbetrieb vorbei. Für einzelne Wirkstoffe sind zudem Lager- und Transporttemperaturen von minus 25 Grad Celsius vorgeschrieben, was mit besonderen Einwegkühlakkus erreicht wird. Künftig sollen sogar Stoffe kommen, die bei minus 70 Grad Celsius gekühlt werden. Der Weiterbildungsbedarf ist also groß: Wenigstens einmal im Jahr muss jeder Mitarbeiter auf die Schulbank. ❙❚■ Stefan Bottler, freier Journalist Unterliegt hohen gesetzlichen Anforderungen: die Logistik für Arzneimittel Setzt auf Pharmalogistik: Loxxess an seinem Standort in Wolfratshausen/Oberbayern Pharmalogistik Zwei Fliegen mit einer Klappe Wer Angebote für Pharmalogistik entwickelt, sollte auch einen Einstieg in die Krankenhauslogistik überlegen. Als Folge der jüngsten Gesundheitsreformen müssen auch die Kliniken massiv Kosten sparen. Da in fast jeder Kleinstadt ein Krankenhaus existiert, tut sich auch für kleine und mittlere Logistikbetriebe, die überwiegend in der Region tätig sind, ein chancenreicher Markt auf. „Krankenhauslogistik kann ein Unternehmen nicht mal so nebenher machen“, warnt indes Fiege-Vorstand Felix Fiege. Denn Logistikdienstleister müssen nicht nur die Anforderungen erfüllen, die Gesetze und die sogenannten GD-Richtlinien festlegen, sondern auch in zahlreichen Logistikfeldern zu Hause sein. „Wenn die Krankenhäuser wirklich Kosten reduzieren wollen, müssen sie möglichst die komplette Beschaffungslogistik auslagern“, mahnt Gerald Götz, Partner der Beratung Exxent Management Team und vormals IT-Chef der Sana-Kliniken. Über Pharmaartikel hinaus benötigen Krankenhäuser viele andere Produkte – Lebensmittel für die Kantine, Medizingeräte für die OP-Säle, Betten für die Patientenzimmer, Schreibartikel für Büros. Außerdem müssen Logistikdienstleister Versorgungsservices wie Wäsche und Reinigung in die Wertschöpfungsketten (Supply Chains) integrieren. „Viele Kunden wünschen, dass das Material abteilungsbezogen kommissioniert und direkt in die Schränke verbracht wird“, sagt Fiege. Ein weiterer besonderer Logistikservice sind sogenannte „Fallsets“. Medizinische Standardartikel wie Spritze, Tupfer und Pflaster werden in einer Packung gebündelt. bot Gerald Götz,Partner von Exxent Management Team krankenhaus-logistik Pharmalogistik Auf einen Blick: Die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen Kaum eine andere Branche muss mit so hohen Anforderungen seitens Gesetz- und Auftraggebern kämpfen wie die Pharmalogistik. „In der Pharmalogistik reicht eine Zertifizierung nach EN ISO 9001 nicht aus“, betont Martin Egger, Logistikleiter von Pharmaserv. „Jeder Anbieter muss weitergehende Kriterien erfüllen.“ Am wichtigsten sind die so genannten „Good Distribution Practice-Guidelines“ (GDP), die die internationale Pharmaindustrie bereits 1994 formuliert hat. Sie listen genaue Anforderungen an Mitarbeiterqualifikation, Dokumentation, Be- und Entladung, Lagerung, Retouren und Notfallpläne auf. Jeder Hersteller kann jederzeit ein Audit vornehmen. Ebenfalls wichtig ist die Einhaltung der Good Manufacturing Practice-Richtlinien (GMP), die grundsätzliche Anforderungen für Schulungen, Reinigungen, Neuanschaffungen, Prüfungen und andere Betriebsvorgänge formuliert. Außerdem ist für Transport und Lagerung von Pharmaprodukten eine Großhandelserlaubnis notwendig. Wer bestimmte Logistikleistungen wie länderspezifische Verpackungen anbietet, benötigt zusätzlich eine Herstellerlaubnis. Beide Papiere werden von regionalen Aufsichtsbehörden – in der Regel Regierungspräsidien – erteilt. Jetzt ist eine Verschärfung der GDP-Richtlinien geplant. Auch für Produkte, die zwischen 15 und 25 Grad Celsius umgeschlagen werden, soll es eine aktive Temperaturführung geben. Über weitergehende Vorschläge, dass die Transporttemperatur immer identisch mit der Lagertemperatur sein muss, wird noch diskutiert. Weitere GDP-Neuerung: Auch Transporteure, die Pharmaprodukte nur zwischenlagern, müssen eine Großhandelserlaubnis beantragen. „Jedes Lager soll den lokalen Aufsichtsbehörden bekannt sein“, sagt Pharmaserv-Mann Egger. Solche Veränderungen werden erfahrungsgemäß früher oder später auch von EU und nationalen Gesetzgebern übernommen. So soll in Deutschland bis Herbst 2013 das Arzneimittelgesetz (AMG) novelliert werden. bot Hintergrund

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