Kommen nun die Logistikgiganten?

Wie ein Brennglas haben die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg die Verwundbarkeit der globalen Supply-Chains drastisch vor Augen geführt. Gleichzeitig setzen der Fachkräftemangel und die vielen ökologischen Herausforderungen den weltweiten Transport- und Logistikmarkt unter Druck. Wie sich die Player daher strategisch neu positionieren und welche Rolle sie im Markt in Zukunft spielen, zeigt der Artikel. Die Profiteure der Lieferketten-Krise Eine Folge der zuletzt vermehrt auftretenden Störungen der globalen Lieferketten waren Kapazitätsengpässe im Transport, was wiederum zu einem drastischen Anstieg der Frachtraten führte, weil die Nachfrage nach Dienstleistungen im Güterverkehr zuletzt hoch blieb. Infolgedessen konnten vor allem die großen Container-Reedereien zuletzt Rekordgewinne vermelden und nutzten diese oft für milliardenschwere Zukäufe, etwa in Hafenterminals, Speditionen, Luftfracht oder auch in der Letzten Meile. Erklärtes Ziel ist es, über das bisherige Kerngeschäft hinaus eine möglichst umfassende Abdeckung der gesamten Supply-Chain mit einem multimodalen Leistungsportfolio zu erzielen und die eigenen Lieferketten weitgehend stabil zu halten. Da sich die Gewinnaussichten aber eintrüben und sich im Seefrachtbereich Überkapazitäten abzeichnen, ist davon auszugehen, dass die M&A-Aktivitäten perspektivisch nicht auf diesem außergewöhnlich hohen Niveau verbleiben. Eine gegenläufige Entwicklung zu dieser angestrebten Abdeckung der gesamten Lieferkette ist indes bei einigen Carriern zu beobachten: die Tendenz zur Separierung ausgewählter Bereiche der Wertschöpfungskette oder auch die Konzentration auf einzelne Regionen oder Transportmodalitäten. So spaltete das US-Unternehmen XPO Logistics 2021 seine Kontraktlogistik-Aktivitäten unter der Firma GXO ab und kündigte an, sich von seinem digitalen US-Brokerage-Geschäft zu trennen. Ziel sei die Fokussierung auf den nordamerikanischen Komplettladungsverkehr, hieß es. Andere Anbieter haben sich aus Gründen der Komplexitäts-Reduzierung zuletzt sukzessive von teilweise substanziellen Kontraktlogistik-Aktivitäten getrennt oder ziehen sich aus ganzen Regionen zurück. Neben einigen wenigen End-to-End-Anbietern mit integrierten digitalen Kundenschnittstellen wird der Markt daher künftig auch durch etliche (zum Teil regionale) Anbieter mit Fokus auf einzelne Modalitäten und Endkundenindustrien geprägt sein. Hier dürfte in Zukunft mit weiteren - aus Kapitalmarktsicht unter Umständen werterhöhenden - Abspaltungen einzelner Geschäftsfelder oder aber Geografien durch die globalen Marktführer zu rechnen sein. Auch die Speditionen profitierten von den zuletzt angespannten Lieferketten. Gerade in Zeiten der Krise konnten sie ihre Bedeutung für die Neuausrichtung gestörter Lieferketten und das Management knapper Transportkapazitäten unter Beweis stellen. "Spedition" im Spannungsfeld Die Expansion global tätiger Carrier in weitere Teile der Supply-Chain bedroht derzeit insbesondere das Geschäftsmodell kleiner, mittelständischer Frachtvermittler. Bei der Buchung von Seefrachtraum sind sie vermehrt damit konfrontiert, dass Reedereien verfügbare Kapazitäten primär oder gar ausschließlich an Kunden der eigenen Speditionstöchter vergeben - oder dafür hohe Extragebühren verlangen. Inwieweit die Reedereien mittelfristig in Wettbewerb zu den großen Speditionen treten, bleibt indes abzuwarten. Denn im Kerngeschäft der Carrier ist mit einer gewissen Eintrübung zu rechnen. Grund sind die für die nächsten zwei Jahre prognostizierten Überkapazitäten. Diese dürften im Zusammenspiel mit dem erwarteten und inflationsbedingten Rückgang der Transportnachfrage zu sinkenden Spotraten führen. Neben den zuletzt erstarkten Reedereien versuchen auch digitale Start-ups verstärkt im Speditionsgeschäft Fuß zu fassen. Neben einer digitalen Kundenschnittstelle werben sie vor allem mit Kosten- und Zeiteinsparung dank automatisierter Prozesse und besserer Transparenz in der Planung und Steuerung von Lieferketten. Als Nachteil dieses Geschäftsmodells hat sich indes der mitunter unsichere Zugriff auf Transport-Kapazitäten erwiesen - gerade in Zeiten knapper Ressourcen und volatiler Mengen. Es ist daher zu erwarten, dass sich insbesondere hybride Geschäftsmodelle weiterentwickeln werden. Diese werden zur weiteren Digitalisierung der Logistikindustrie beitragen, die stark vom physischen Transport geprägt ist. Gerade hier könnte der speditionelle Mittelstand als konsolidierender Intermediär auftreten und eine Brücke bilden. Und zwar zwischen den digitalen Plattformen einerseits und den meist noch wenig digitalen kleineren Transportbetrieben mit ihren Subunternehmern andererseits. Dadurch würden die Grenzen zwischen "Asset-light"- und "Asset-heavy"-Geschäftsmodellen weiter verschwimmen. Dies gilt umso mehr, weil größere Speditionen wegen der unsicher werdenden Transportkapazitäten wieder vermehrt in eigene Kapazitäten investieren oder sich exklusiven Zugriff auf bestimmte Kontingente einräumen lassen. Dies wiederum könnte ein wichtiger Gegenpol werden für die in den letzten Jahren massiv gewachsenen (Einprodukt-)Anbieter von Ladungsverkehren. Zu guter Letzt treten die Verlader mit etablierten Speditionen vermehrt in Wettbewerb. Dies gilt vor allem für den Handel, der verstärkt in eigene Logistik investiert. So errichtete Amazon im ersten Halbjahr 2022 bundesweit acht neue Anlagen und wird bis Ende 2022 über 20 Logistikzentren inklusive vor- und nachgelagerter Logistikaktivitäten verfügen. Auch größere Einzelhändler wie Ikea, Walmart oder Lidl reagierten auf gestörte Lieferketten und begannen, Teile ihrer Transporte selbstständig mit zum Teil eigenen Containern, gecharterten Containerschiffen und Fracht-Airlines auszuführen. Erleichtert wird die Steuerung der eigenen Supply-Chain durch die Nutzung neuer Anbieter wie Visibility-Plattformen. Neuordnung der globalen Lieferketten Aufgrund der Lieferengpässe und Produktknappheit sind die Firmen zudem vermehrt gezwungen, das bewährte Just-in-time-Konzept aufzugeben und zu mehr Lagerhaltung zurückzukehren. Das ist auch der Grund für den derzeitigen Investitions-Boom in Logistikimmobilien. Denn durch den Aufbau eines größeren Warenbestands wollen die Firmen eine gewisse Unabhängigkeit von Zulieferern erreichen. Zudem müssen Güter wegen der Verspätungen in den Lieferketten vermehrt zwischengelagert werden. Es überrascht also nicht, dass sich die Digitalisierungs-Schwerpunkte bei globalen SCM-Verantwortlichen verschoben haben - von der zuletzt priorisierten Lieferketten-Transparenz hin zur verbesserten Bedarfs- und Angebotsplanung sowie Bestandsoptimierung. Zudem setzen die Firmen im Güterverkehr verstärkt auf Diversifizierung, um so das Risiko eines Komplettzusammenbruchs der Lieferkette zu senken. Ziel dieser Multi-Channel-Logistik ist die Option, flexibel zwischen allen Verkehrsträgern wechseln zu können. Zudem führen sie vermehrt eine "Dual-Sourcing"-Strategie ein und setzen auf eine stärkere regionale Ausrichtung - mit dem Ziel, die eigene Resilienz zu verbessern. Strukturelle Marktveränderungen Während die M&A-Aktivitäten im globalen Transportsektor 2021 sowohl in puncto Anzahl als auch in puncto Volumina weiter zulegten, schwächte sich M&A wegen des unsicheren Wirtschaftsumfelds im ersten Halbjahr 2022 leicht ab. In China erreichten die M&A-Aktivitäten gar ein Zehnjahrestief. Trotzdem wird M&A weiter eine zentrale Rolle in den Firmenstrategien spielen. Zumal mit steigenden Zinsen tendenziell niedrigere Bewertungen zu erwarten sind. Unter der Prämisse, dass es aufgrund der fortbestehenden Planungsunsicherheit, insbesondere in puncto Transportmenge, Frachtraten und weiterhin zu erwartenden Kostensteigerungen, überhaupt zur einvernehmlichen Kaufpreisfindung kommt. 75 Prozent der Übernahme-Aktivitäten gehen nach wie vor auf strategische Käufer zurück, die (wie die Reedereien) über vertikale Expansion ihre eigene Supply-Chain verlängern oder aber (wie die globalen Forwarder) über horizontale Zukäufe die Konsolidierung vorantreiben. Finanzinvestoren haben in den letzten Jahren gerade die technologischen Wachstumsbereiche der Transport- und Logistikbranche entdeckt und investieren verstärkt in die Letzte Meile, Visibility- und Intelligence-Anbieter sowie Marktplätze des Straßengüterverkehrs und digitale Speditionen. Daher stieg zuletzt der Umfang von Finanzierungsrunden für Logistik-Start-ups durchweg an. Das Finanzierungsvolumen verdoppelte sich da allein 2021 im Vergleich zum Vorjahr. Alles in allem ist also zu erwarten, dass der Konsolidierungstrend anhalten wird. Insbesondere getrieben durch die globalen Speditionen und Reedereien - wenngleich auf niedrigerem Niveau. Ihr Ziel ist, so eine möglichst weitgehende integrierte Abdeckung gesamter Lieferketten inklusive der digitalen Kundenanbindung sicherzustellen. Wie sich der fragmentierte Landverkehr künftig entwickelt, hängt davon ab, wie es gelingt, den bislang recht niedrigen Digitalisierungsgrad spürbar zu erhöhen und so die Voraussetzung für digitale Plattformen zu schaffen, als virtuelle Konsolidierer aufzutreten. Im Ergebnis dürften also auch hier, auch durch den Fahrermangel und die Antriebswende vor allem große Anbieter einen Wettbewerbsvorteil haben. Autor Steffen Wagner, Global Head of Transport & Leisure, Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMGSteffen Wagner hat Wirtschafts- und Finanzwissenschaften an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt und an der Université Paris-IX Dauphine studiert.1997 trat er in die Corporate Finance-Praxis von KPMG Deutschland ein und promovierte parallel dazu in Frankreich im Bereich Accounting. 2004 wurde er Partner von KPMG Deutschland. Zusätzlich ist er Leiter des Bereichs Transport & Leisure bei KPMG International sowie Deutschland und verantwortlich für alle Aktivitäten in den Bereichen Transport, Logistik, Schifffahrt, Luftfahrt und Tourismus. Wagner ist zudem Dozent an der Fakultät für Rechnungswesen und Kapitalmärkte der Universität Mannheim. eh

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