Keine Logistik von der Stange

Etwa 70 festangestellte Mitarbeiter beschäftigt die Rieck Logistik Gruppe in der Handelslogistik, dazu kommen 100 Aushilfen. "Rund 70 Prozent des Personals arbeiten für Handelsunternehmen", schätzt Patrick von Oy, Geschäftsführer des Berliner Logistikunternehmens. Vor allem im Online-Handel hat Rieck in den vergangenen Jahren neue Kunden akquiriert. Jeden Tag liefert der Dienstleister Mode, Spielzeug, Elektronikgeräte und Möbel an Endkunden aus. "Wir erhalten regelmäßig Anfragen von Unternehmen mit E-Commerce-Ambitionen", erzählt von Oy und sieht Wachstumschancen. So kann er sich auch die Auslieferung von Lebensmitteln an Endkunden vorstellen. "Im Online-Handel sind viele Geschäftskonzepte erst verworfen und zwei bis drei Jahre später dann doch realisiert worden", erinnert er sich an Lösungen für Schuhe, Möbel und braune und weiße Ware. Rieck-Manager von Oy darf sich durch aktuelle Wirtschaftsdaten bestätigt fühlen. Knapp 62,5 Milliarden Euro wird laut einer Studie des US-amerikanischen Instituts RetailMeNot, die Anfang 2016 veröffentlicht worden ist, der deutsche Online-Handel in diesem Jahr umsetzen. Gegenüber 2015 (52,8 Milliarden Euro) ist dies ein Plus von über 18 Prozent. Für 2017 erwartet die Studie einen fast gleich hohen Umsatzzuwachs auf 73 Milliarden Euro (plus 17 Prozent). Die RetailMeNot-Zahlen erfassen auch internationale Sendungen nach Deutschland. Der deutsche Online-Handel wird dem Handelsverband Deutschland (HDE) zufolge 2016 "nur" 44 Milliarden Euro umsetzen, was gegenüber 2015 plus 11 Prozent sind. Bei einem Gesamtumsatz von 485,7 Milliarden Euro (plus 2,5 Prozent) wird demnach mindestens jeder elfte Euro online verdient, Tendenz weiter steigend. In den ersten acht Monaten 2016 verkaufte der deutsche Einzelhandel vor allem mehr Kosmetikartikel, Geschirr, Schuhe, Möbel und Fahrräder. Von Letzteren einmal abgesehen, werden solche Artikel auch gerne online geordert. Gleiches gilt allerdings auch für Modeartikel, die dieses Jahr einen Dämpfer (minus ein Prozent) hinnehmen mussten. Die Zeichen stehen auf Wachstum Solche Wachstumszahlen werden sich unterm Strich auch auf die transportierten Tonnagen auswirken. Die letzten Daten vom HDE stammen allerdings von 2014: Im Straßengüterverkehr sind damals demnach 433,3 Millionen Tonnen für den Einzelhandel transportiert worden. Auch im angrenzenden europäischen Ausland stehen die Zeichen auf Wachstum. Eine internationale Studie des Nürnberger Marktforschungsinstitut GfK, die den Einzelhandel in 33 Ländern untersuchte, prognostiziert nach einem sehr guten Jahr 2015 (plus drei Prozent) einen Zuwachs von mindestens 1,1 Prozent für 2016. So legte der gesamte Einzelhandel in fast allen EU-Ländern zu. Am kräftigsten fiel das Wachstum in osteuropäischen Ländern (bis fünf Prozent), in Skandinavien (bis vier Prozent) und Spanien (über zwei Prozent) aus. Weitere Länder wie Österreich (1,6 Prozent) und die Niederlande (1,2 Prozent) liegen gleichauf mit Deutschland. Für Branchenunternehmen, die jetzt in die Handelslogistik einsteigen oder wie etwa Logistiker Rieck ihr Engagement weiter ausbauen wollen, gibt es also gute Argumente. Zumal das Wachstum offenbar auch auf neue Anbieter zurückzuführen ist. "Vor allem Importeure, die nach Deutschland expandieren wollen, sowie Hersteller, die einen Direktvertrieb im Internet planen, suchen verstärkt Logistikdienstleister", so Christian Kille, Handelslogistikwissenschaftler am Institut für Angewandte Logistik (IAL) der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Die gute Nachricht: Auch kleine und mittlere Speditions- und Logistikbetriebe dürfen sich nach Meinung des Hochschulprofessors eine Chance ausrechnen, wenn sie mit hoher IT-Kompetenz, einer starken Position in regionalen Märkten und mit besonderen Services wie Same-Hour-Delivery überzeugen. Trotz der vielversprechenden Wachstumsperspektiven, die der Online-Handel Logistikern eröffnet, mahnt Kille Multi-Channel-Fähigkeit an. "Wenn größere Online-Händler in den stationären Handel einsteigen, sollte der Logistikpartner den Schritt mit eigenen Dienstleistungen unterstützen", so der Experte. Ein aktuelles Beispiel ist Hess Natur. Der Händler für nachhaltige Textilien testet gegenwärtig Store-Konzepte in Düsseldorf und München. Wie alle Endkunden werden auch diese Standorte vom Zentrallager in Butzbach beliefert. "Weil wir auf kurze Transportwege und geringen Ressourcenverbrauch achten, verzichten wir auf gesonderte Belieferungen der Stores", sagt Sven Bergmann, Sprecher von Hess Natur. Anders herum machten es DM, Douglas und viele andere große Handelsketten. Sie haben zusätzlich zu ihren stationären Standorten einen florierenden Online-Vertrieb aufgebaut und steuern in der Regel ihre Lager selbst. Eine Ausnahme ist Tchibo. Der Kaffeeröster und -händler hat die Lagerung und Kommissionierung aller Produkte für Einzelhandel und Online-Kunden an BLG Logistics outgesourct. Für HDE-Logistikexperte Uwe Binnebößel ist dieser Vorgang ein Beispiel, dass Multi-Channel-Fähigkeit sich in der Handelslogistik auszahlt. "Jeder Anbieter muss jedoch die unterschiedlichen Anforderungen an Filial- und Endverbraucherbelieferung überzeugend abbilden", sagt der Marktkenner. Für spezialisierte Dienstleister werden auch ohne diese Voraussetzung "interessante Aufgaben" anfallen. Gefahren durch Logistik-Insourcing Schützenhilfe erhält Binnebößel von Thomas Kempcke, Logistikexperte des EHI Retail Instituts in Köln. "Mit Paketservices können kleinere und mittlere Logistikbetriebe angesichts der Übermacht von einigen KEP- Riesen kaum noch punkten, mit Zwei-Mann-Services hingegen schon", urteilt Kempcke. "Das Anliefern, Aufstellen und Montieren von Möbeln, Gartenhäusern, Haushaltsgeräten und anderen sperrigen Produkten wird auch in Zukunft eine Domäne von Stückgutspediteuren sein." Wenn diese außerdem durch Fulfillment-Services im Lager überzeugen, könnten sie kleinere und mittlere Online-Händler dauerhaft an sich binden. Allerdings sieht Kempcke auch Gefahren auf die Branche zukommen. Einer neuen EHI-Studie zufolge denken viele Online-Händler über ein Insourcing von Logistikdienstleistungen nach. Vor allem Services wie Rechnungsstellung und Reklamationsbearbeitung wollen sie selbst machen. Von Dienstleistern erwarten sie Termintreue (88 Prozent), Sendungsverfolgung (67 Prozent), sichere Verpackungen (53 Prozent) und 24-Stunden-Zustellung (52 Prozent). Auf Multi-Channel-Services legt nur eine Minderheit (45 Prozent) Wert. Genau auf diese Botschaft dürfte Rieck gewartet haben. Der Berliner Logistikdienstleister ist vor rund sechs Jahren ohne jegliche Erfahrung in der stationären Handelslogistik mit Service für Online-Händler gestartet. Rieck-Manager von Oy zufolge ist jedoch Know-how in der klassischen Kontraktlogistik hilfreich. Denn wer auf Basis mehrjähriger Verträge kundenspezifische Dienstleistungen entlang industriellen Wertschöpfungsketten leistet, kann auch arbeitsteilige Lösungen für den Online-Handel realisieren. "Der Dienstleister muss insbesondere Lagerlösungen für zahlreiche Artikelnummern mit sehr kleinen Stückzahlen realisieren", zeigt er einen entscheidenden Unterschied zu den sortenreinen Paletten für Industriekunden auf. Als Folge müsse ein Logistikdienstleister die Lagerinfrastruktur umbauen und seine IT-Lösungen anpassen, sagt von Oy. So müssen für jede Auslieferungstour optimale Wege durchs Lager entwickelt werden. Denn die Mitarbeiter sollen mit möglichst wenigen Umläufen die Produkte picken, kommissionieren und verpacken. "Für jede Sendung müssen individualisierte Rechnung, Lieferschein und Versandlabel gedruckt werden", erklärt van Oy. Massive Auftragsschwankungen Dies stellt auch an die Qualifikation der Lagermitarbeiter völlig neue Anforderungen. Anstelle der klassischen Gabelstaplerfahrer sind technikaffine Kollegen gefragt, die routiniert mit Scannern und anderen IT-Geräten umgehen können. Zudem machen Auftragsschwankungen innerhalb der Woche und quer durch die Jahreszeiten eine gezielte Personalplanung nötig. "An einem Montag in der Hauptsaison können zehn Mal so viele Aufträge wie an einem Freitag in der Nebensaison anfallen", weiß von Oy. "Im Frühjahr legen Gartenmöbel und andere Saisonartikel um über 300 Prozent zu." Mit flexiblen Arbeitszeitkonten und Schichtkonzepten, die rund um die Uhr bis zu drei Schichten vorsehen und gegebenenfalls auch den Samstag einbeziehen, steuert Rieck gegen. Mit diesen Lösungen könnte der Dienstleister auch international punkten. Immerhin wird der Online-Handel der RetailMeNot-Studie zufolge auch in 2017 in den wichtigen europäischen Ländern wachsen. Die höchsten Umsätze werden für Großbritannien prognostiziert. 2017 werden dort demnach 81 Milliarden Euro (2016: 71 Milliarden Euro) online verdient. Fazit: Die Handelsbranche steht auch in 2017 vor großen Veränderungen - Treiber bleibt der Online-Handel, aber der Trend zum Multi-Channel-Vertrieb nimmt zu. Positiv: Gerade durch viele kleinere Online-Shops entstehen neue Chancen für mittelständische Speditions- und Logistikbetriebe - vorausgesetzt sie verfügen über das notwendige IT-Know-how. Mehr im Dossier Handelslogistik und E-Commerce www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Branchenporträts In den kommenden Ausgaben analysieren wir verschiedene Branchen, deren Stärken und Schwächen und die Trends in den Wirtschaftszweigen. Die Serie im Überblick:- VR 50: Chemielogistik- VR 51/52: Handelslogistik- VR 1/2: Möbellogistik- VR 3/4: Automobillogistik- VR 5: Lebensmittellogistik- VR 6: Bau- und Entsorgungslogistik- VR 7: Stahllogistik- VR 8: Pharmalogistik- VR 9: Maschinen- und Anlagenbau Tipp Handelslogistik Anforderungen, die Dienstleister erfüllen müssen Was muss ein Dienstleister können, wenn er in der Handelslogistik erfolgreich sein will? Wir haben ohne Anspruch auf Vollständigkeit vier wichtige Anforderungen aufgelistet:- Ohne zusätzliches Personal geht nichts in der Handelslogistik. Planen Sie Akquisitionsstrategien für Mitarbeiter, die auch im Schichtbetrieb oder am Wochenende arbeiten.- Investieren Sie in Ihre Fachabteilungen. Stellen Sie Personal mit Programmierkenntnissen ein. Erweitern Sie Ihr Business Development.- Wichtig sind überzeugende Lösungen für die Retourenlogistik. Prüfen Sie die Zusammenarbeit mit spezialisierten Dienstleistern.- Wiederholt haben Online-Händler auch in stationäre Outlets investiert. Entwickeln Sie Multichannel-Konzepte, die den Kunden hierbei unterstützen.bot

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