IAA-Spezial

IAA-Spezial Sachlichkeit statt Grabenkämpfe Im Vorfeld der IAA Nutzfahrzeuge spricht VDA-Präsident Matthias Wissmann im Interview über Innovationen, technischen Fortschritt und was die Nutzfahrzeugindustrie durch den Schulterschluss mit der Bahn erreichen möchte. VerkehrsRundschau: Herr Wissmann, machen Sie doch unseren Lesern mal richtig Lust, die IAA Nutzfahrzeuge zu besuchen. Matthias Wissmann: Wir werden wieder eine sehr spannende IAA Nutzfahrzeuge erleben. Das verdanken wir einer Mischung aus Geschick und Glück. Glück deshalb, weil die Märkte weltweit jetzt wieder anziehen. Im vergangenen Sommer hatten wir noch Sorgen, ob wir uns an den Aussteller- und Besucherzahlen der 90er-Jahre orientieren müssen. Es spricht für die Attraktivität der IAA, wenn ich heute sagen kann, dass wir auf dieser IAA deutlich mehr Aussteller als 2006 haben, die viele Innovationen zeigen. Dieser Erfolg ist auch das Ergebnis intensiver Arbeit. Dabei heißt es doch, dass erst 2012 mit den Euro-6-Fahrzeugen die großen Neuheiten kommen werden? In diesem Jahr spielt vor allem das Thema CO2- und Verbrauchsminimierung eine große Rolle. Und alles, was den Verbrauch minimiert, ist für Fuhrunternehmer und Spediteure spannend, weil sie damit Kosten sparen. Die Besucher werden sehr viele Fahrzeuge – in allen Gewichtsklassen – sehen, die gegenüber den Vorgängermodellen eine erhebliche Verbrauchssenkung bieten. Unternehmer, die um jeden Euro kämpfen müssen, finden diese Botschaft sicher interessant. Zudem rücken Hersteller und Zulieferer das Thema Sicherheit in den Mittelpunkt ihres Messeauftrittes. Im Transporter- und Busbereich werden außerdem alternative Antriebsformen wie Hybrid und Brennstoffzelle immer wichtiger. Hier verfügen wir gerade in Deutschland über besondere Lösungskompetenz. Die Politik setzt mit dem E-Mobilitätsgipfel auf den elektrischen Antrieb. Was Antriebe betrifft, sollte die Politik keine Vorgaben machen. Wir sind in der Geschichte der technologischen Entwicklung immer im Elend gelandet, wenn Bürokraten vorgeschrieben haben, welche Technik siegen soll. Wir können heute noch nicht exakt sagen, welche Fortschritte im Bereich der E-Mobilität – beispielsweise in der Batterietechnologie – tatsächlich möglich sein werden. Ähnliches gilt für die Brennstoffzelle, die eine weitere Option in unserer Fächerstrategie darstellt. Zudem ist das Potenzial des herkömmlichen Motors noch längst nicht ausgereizt. Welche Themen sind es, die bei der Verbrauchsreduzierung im Vordergrund stehen? Neben der Optimierung des Antriebsstrangs und des Motors kommt vor allem dem Leichtbau und der Aerodynamik eine wachsende Bedeutung zu. Gerade beim schweren LKW, der lange Strecken fährt, können wir mit geringeren Luftwiderstandswerten erhebliche Kraftstoffeinsparungen und damit CO2-Reduzierungen erzielen. Wenn wir hier vorankommen wollen, müssen wir allerdings die Diskussion um Maße und Längen ohne Vorbehalte führen. Mit einer Verringerung des Rollwiderstands bei den Reifen – auch ein interessanter Punkt – allein ist es nicht getan. Das Thema Euro 6 soll auf dieser IAA keine Rolle spielen. Alles hat seine Zeit. Es wäre verfrüht, das Thema jetzt zu forcieren. Hier müssen wir auf die immer noch sehr angespannte finanzielle Situation des Gewerbes Rücksicht nehmen. Die Fuhrunternehmen müssen wieder Kraft sammeln, nachdem die letzte Mauterhöhung sie mitten in der größten Krise getroffen hat. Wenn es so weit ist, macht auch eine weitere Mautspreizung Sinn. Das ist der notwendige Impuls, den es geben muss, um den technologischen Fortschritt finanzieren zu können. Aber das soll alles nicht gleich morgen passieren. Soll der Unternehmer jetzt verbrauchsoptimierte Fahrzeuge kaufen oder auf Euro 6 warten? Bei vielen Firmen herrscht Bedarf, die Flotte zu erneuern. Sie sollten nicht – und das haben kluge Unternehmer ja auch nie getan – auf den Idealzustand des Sankt-Nimmerleins-Tages warten. Sie sollten vielmehr die jetzt möglichen technischen Innovationen nutzen und damit die Optimierung ihrer Flotte verbinden. Ein halber Liter weniger Verbrauch ist, auf die Flotte gerechnet, schon eine große Ersparnis. Auf der IAA werden wir hierzu etliche Erfolg versprechende Beispiele sehen. Gerade im Zusammenhang mit neuen Fahrzeugkombinationen, bei denen man moderne Aerodynamikkonzepte leichter einsetzen kann. Sie sprechen die innovativen Nutzfahrzeugkonzepte an, die im nächsten Jahr in dem Feldversuch des Bundesverkehrsministeriums getestet werden sollen? Noch liegen die Ergebnisse des Feldversuchs nicht vor. Wir sind uns einig, dass es nicht das Ziel sein kann, den Gigaliner wieder aufleben zu lassen. Es kommt darauf an, etwas über Abmessungen und Gewichte zu lernen sowie von den Erfahrungen im Ausland zu profitieren. Hier lohnt ein Blick nach Skandinavien. Die Diskussion darüber, was man von anderen europäischen Nationen lernen kann, wird auf der Messe sicher eine große Rolle spielen. Ich fände es empfehlenswert, solche Lösungen auch in Hannover zu zeigen. Brauchen wir dann überhaupt noch einen Feldversuch zu Eurocombi und Co, also zu den innovativen Nutzfahrzeugkonzepten? Man muss die Erfahrungen der Feldversuche, die bereits in zwei Bundesländern durchgeführt wurden, jetzt noch bündeln. Wir brauchen eine überzeugende Begründung, warum wir nicht in Richtung Gigaliner gehen, sondern die Abmessungen und Gewichte maßvoll erweitern wollen. Es geht um moderne Ökolaster, die eine erhebliche Effizienzsteigerung bedeuten. Man muss – und das ist immer mein Ziel gewesen – die Emotionen aus der Diskussion herausnehmen, die ideologischen Grabenkämpfe beenden, Sachlichkeit einkehren lassen. Auf einer solchen Grundlage kann die Politik auch entscheiden. Ich bin deshalb froh, dass wir eine Verabredung mit der Bahn getroffen haben und uns vorurteilslos gemeinsam solchen neuen Modellen stellen wollen. Wir operieren miteinander, nicht gegeneinander – das ist neu. Die Bahn ist ja auch ein gro-ßer Spediteur und nimmt deshalb ihre vielseitigen strategischen Interessen wahr. Wieso dieses Abkommen mit der Bahn? Dadurch, dass wir die alten Grabenkämpfe zwischen den Verkehrsträgern beendet haben und nicht mehr mit Schuldvorwürfen arbeiten, wird die Sicht frei auf die jeweils effizienteste und intelligenteste Transportlösung. Fast die Hälfte der Verkehre aus unseren Automobilfabriken heraus erfolgt mit der Bahn. Und umgekehrt weiß die Bahn, dass sie den LKW benötigt. Je nüchterner wir an solche Themen herangehen, je stärker wir uns sinnvollen Lösungen öffnen, desto sachlicher wird die Sicht und desto mehr wird auch klar, wie sehr wir alle den LKW brauchen. Was planen VDA und Bahn gemeinsam? Wir haben uns gegenüber dem Verkehrsminister zum Aktionsplan Güterverkehrslogistik geäußert. Dass der Bundesverkehrsminister den alten Masterplan neu justiert und die alten Vokabeln „vermeiden“ und „verteuern“ herausgenommen hat, ist auch darauf zurückzuführen, dass wir uns zwischen den Verkehrsträgern nicht mehr wie früher streiten. Ich weiß aus eigener Erfahrung als Bundesverkehrsminister, wie schwierig es ist, eine Lösung zu finden, wenn alle Verkehrsträger miteinander im Clinch liegen. Gott sei Dank geht der Bundesverkehrsminister in einer ideologiefreien Weise an die Themen heran. Wie beurteilen Sie die Leistung der Bahn im Güterverkehr? Die Bahn ist seit der Bahnreform besser geworden. Aber sie weiß selbst, dass sie noch nicht in allen Fällen so unternehmerisch agiert, wie sich das mancher Spediteur wünscht. Ihr Handlungsspielraum ist natürlich auch limitiert. Denken Sie daran, wie sehr der Bahn der Zugang zum europäischen Ausland erschwert wird. Deshalb sind wir auf der Seite der Bahn, wenn sie die Öffnung der europäischen Güterverkehrsmärkte einfordert. Das heißt, Sie sind auch für mehr Wettbewerb im deutschen Schienenverkehr? Die Bahn ist umso glaubwürdiger, wenn sie sich im Inland dem Wettbewerb stellt. Wettbewerb war schon immer ein Heilmittel, um Unternehmen leistungsfähiger zu machen. Wettbewerb gibt es auch bei der Höhe der Investitionen für Schiene und Straße. Die Bahn und der VDA fordern gemeinsam eine Verstetigung der Infrastrukturinvestitionen über die beiden Konjunkturpakete hinaus sowohl für die Straße als auch die Schiene. Denn hier haben wir schon Sorgen, insbesondere bei einigen Knotenpunkten wie dem Ruhrgebiet, dem Stuttgarter oder Münchener Raum. Hier herrscht ein erheblicher Nachholbedarf, bei Schiene und Straße. Zwar gibt es ein erfreuliches Signal aus der mittelfristigen Finanzplanung, dass der Verkehrsminister einige seiner Überlegungen durchsetzen konnte. Aber wir sind noch nicht am Ziel. Aus meiner Zeit als Bundesverkehrsminister kenne ich diese Themen noch gut. Ich habe damals dem Bundesfinanzminister immer gesagt, du kannst alles kürzen, nur nicht die Investitionen. In Zeiten knapper Kassen darf man alles kürzen, nur nicht die Blutzufuhr zum Kopf. Sie haben sich als Bundesverkehrsminister auch sehr für Telematiksysteme eingesetzt. Ein Thema, dessen Bedeutung immer noch zunimmt. Es war eines meiner großen Leitthemen. Damals wusste noch kaum jemand, was das ist. Gerade bei kleineren Unternehmen gibt es noch viel Informations- und Aufklärungsbedarf. Deshalb freue ich mich auch darüber, dass die VerkehrsRundschau und der VDA während der IAA eine Telematik-Kaufberatung durchführen. Unser letztes Image-Ranking hat ergeben, dass nur 13 Prozent aller kleinen Fuhrparks Telematiksysteme einsetzen. Sicher, die Systeme kosten Geld. Allerdings kommen wir über Skaleneffekte zu immer besseren Preisen. Außerdem wird sich die Erkenntnis verbreiten, dass man durch eine intelligente logistische Planung Geld sparen kann. Hier liegt ein großes Potenzial für den Unternehmenserfolg. Das wird immer noch bei manchen mittelständischen Unternehmen unterschätzt. Aber kluge, innovative Mittelständler nutzen diese Chance in wachsendem Maße. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die Systeme flächendeckend durchsetzen. Die IAA Nutzfahrzeuge wird von der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen eröffnet. Wieso diese Entscheidung? Ich bin hierüber sehr froh. Durch die Kurzarbeitsregelung der Großen und der Kleinen Koalition konnte die Automobilindustrie während der Krise fast ihre gesamte Stammbelegschaft halten. Das war unglaublich erfolgreich. Das möchte ich ihr gerne sagen. Zudem zählt die Ministerin zu dem Typ Frau, der auch Männern etwas sagen kann. Ein modernes Frauenbild, wie sie es verkörpert, tut auch der Nutzfahrzeugindustrie gut. ❙❚■ Birgit Bauer, Serge Voigt Matthias Wissmann weiß, wenn Verkehrsträger im Clinch liegen, tut sich die Politik mit Lösungen schwer Die notwendige Sachlichkeit sei bei der Diskussion um neue Fahrzeugmaße eingekehrt, so Wissmann Eindringliche Forderung: Investitionen für die Infrastruktur müssen verstetigt werden IAA-Spezial Vita Matthias Wissmann Von Haus aus Schwabe: Der Präsident des Verbands der Automobilindustrie VDA wurde am 15. April 1949 in Ludwigsburg geboren. Mattias Wissmann studierte Rechtswissenschaften, Politologie und Volkswirtschaft in Tübingen, war Bundesvorsitzender der Jungen Union, CDU-Bundesvorstand und Präsident der Union Junger Christlicher Demokraten. Von 1976 bis 2007 saß er im Bundestag, war 1983 bis 1993 wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und 1991 bis 2007 stellvertretender Landesvorsitzender der CDU Baden-Württemberg. 1993 bekleidete er fünf Monate lang das Amt des Bundesministers für Forschung und Technologie, bevor er von 1993 bis 1998 Bundesminister für Verkehr wurde. Dem folgten Aufgaben als Bundesschatzmeister der CDU und der Vorsitz des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie. 2002 bis 2007 saß Matthias Wissmann dem Ausschuss für Angelegenheiten der EU vor. Seit 1. Juni 2007 ist er Präsident des Verbands der Automobilindustrie. In diesem Jahr erlebt er nach einer „Krisen-IAA-Nutzfahrzeuge“ seine zweite Nutzfahrzeug-IAA unter deutlich besseren Vorzeichen. Standpunkte Herr Wissmann, sind Sie für oder gegen ...  ... eine PKW-Maut?  ... eine generelle LKW-Maut auf Bundesstraßen?  ... eine stärkere Lenkung der Verkehrspolitik durch Brüssel?  ... den aktuellen Aktionsplan Güterverkehr und Logistik?  ... die Aussage, Verkehrsminister Ramsauer macht einen guten Job? Ramsauer mache einen guten Job – und er wisse, dies sei kein einfacher, so Wissmann IAA-Spezial IAA-Spezial