Der nächste Coup

Sie sind jetzt seit über einem Jahr Chef von Amazon Logistik in Deutschland. Ihr Vorgänger hat vor vier Jahren erklärt, ein eigenes Paketzustellnetz aufbauen zu wollen. Mittlerweile sehen wir aber immer weniger Amazon-Fahrer. Heißt das, dass Amazon von seiner Strategie wieder abrückt? Der Eindruck täuscht: Wir haben ja sogar mittlerweile zwei Stationen in München Und wir sind auch in anderen Regionen präsenter: In Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Berlin und im Rhein-Main-Gebiet. In den Regionen, in denen wir tätig sind, liefern wir ein konstant hohes Volumen mit eigenen Kapazitäten. Ist das schon ein eigenes Netzwerk? Fakt ist, wir schaffen so zusätzliche Kapazitäten. Das heißt aber nicht, dass wir die anderen Paketdienste auf Null fahren. An unserer Strategie hat sich also nichts verändert, und wird sich auch nichts ändern. Letztlich entscheidet der Zeitpunkt der Bestellung über den Liefertermin und darüber, wer dem Kunden die Ware zustellt. Mein Anspruch ist es aber natürlich, dass wir als Amazon Logistics (AMZL) da besonders schnell sind. Werden Sie mit Ihren eigenen Zustellkapazitäten jetzt auch Pakete für Dritte zustellen, also für andere Auftraggeber? Dazu gibt es in Deutschland keine Pläne. Richtig ist aber, dass in einzelnen Ländern Händler, die über unseren Marktplatz ihre Waren verkaufen, für den Versand auch unsere Logistik nutzen. Als Paketdienst haften Sie ja nun, wenn Ihre Zustellpartner ihre Sozialabgaben für Ihre Fahrer nicht ordnungsgemäß bezahlen - Stichwort Nachunternehmerhaftung. Macht das für Sie das eigene Paketzustellnetz nicht unattraktiv? Wir arbeiten ja heute schon eng mit Lieferpartnern zusammen. Wir haben ein System eingeführt, mit dem wir unsere Servicepartner auditieren. Damit verschaffen wir uns die notwendige Transparenz: Halten sich die Lieferpartner an die gesetzlichen Regelungen wie Mindestlohn oder Arbeitszeiten? Wie viele Verteilzentren hat Amazon eigentlich nun in Deutschland? Ihrer Internetseite zufolge sind es sieben. Von Branchenkennern höre ich, dass Amazon angeblich weit über 22 Verteilzentren hat. Wie viele haben Sie wirklich? Live haben wir derzeit 13 in Deutschland. Im Raum München, Mannheim, Frankfurt/ Main, in der Rhein-Ruhr-Region, Eschweiler, Hamburg und im Raum Berlin. Zusätzliche Gebäude haben wir in Cloppenburg, Rendsburg, Völklingen, Kassel und Erfurt angekündigt. Die entstehen aber gerade erst. Bislang war es ja Ihre Strategie, an den Stadträndern von Metropolen solche Verteilzentren zu errichten. Jetzt rücken Sie zunehmend auch in mittelgroße Städte. Warum? Wir wollen noch näher an die Endkunden heranrücken, also auch an Kunden, die nicht in den Metropolen wohnen, und ihnen dadurch neue Services bieten. Und damit rücken wir natürlich stärker auch in Randgebiete und kleinere Städte wie Rendsburg. Steht jetzt Ihr Netz in Deutschland? Wir entscheiden von Fall zu Fall, letztlich kommt es darauf an, was der Kunde will. Wo sehen Sie denn noch weiße Flecken? So etwas kommunizieren wir erst, wenn wir vertraglich wirklich alles in trockenen Tüchern haben. In den großen Metropolregionen wie in Nordrhein-Westfalen gibt es sicher noch Möglichkeiten. Sie suchen ja allein für Cloppenburg, wie man hört, derzeit aktuell 400 Zustellfahrer. Wie viele brauchen Sie deutschlandweit gesamt und was tun Sie, um diese für Amazon zu gewinnen? Diese Fahrer werden nicht von uns, sondern von unseren Lieferpartnern eingestellt. Nun sind ja Fahrer derzeit Mangelware. Wie hilfreich ist da für Sie Amazon Flex? Privatleute, die für Amazon Pakete ausfahren wollen, brauchen dafür ja gerade einmal einen Pkw und einen Gewerbeschein. Das ist eine zusätzliche Möglichkeit, mehr Flexibilität zu schaffen. Das Modell ist aber noch neu, wir sind noch ganz am Anfang. Ein viel wichtigerer Hebel ist, dass wir mit regionalen Lieferpartnern arbeiten. In den USA zahlt Amazon Mitarbeitern 10.000 US-Dollar, damit sie ihre eigene Zustellfirma gründen, und verhandelt für die Konditionen mit Fahrzeugherstellern. Planen Sie das jetzt in Deutschland auch? Das ist in der Tat ein Programm, das in den USA ausgerollt wurde, um Mitarbeiter dabei zu unterstützen, ihr eigenes KEP-Zustellunternehmen zu gründen. Es gibt aber derzeit keinen Zeitplan für dieses Programm in Deutschland. Ihr Amazon-Deutschland-Chef hat vor wenigen Wochen gesagt: Die letzte Meile schreit nach Innovationen. Welche neuen Services stehen in Kürze von Ihnen an? Wir gehen in zwei Richtungen: Zum einen wollen wir die Zustellung effizienter machen - Stichwort CO2-Reduktion. Unser Ziel ist es, das Paket beim ersten Mal zuzustellen. Wir haben eine sehr intelligente Routen- und Tourenplanung. Zum anderen arbeiten wir an alternativen Zustellformen. In den USA bieten wir ja schon die Zustellung in den Kofferraum. Das könnte auch in Deutschland funktionieren. Oder denken Sie an das smarte Türschloss, das wir in den USA bieten. Der Fahrer öffnet per App das Türschloss und kann dann in der Wohnung des Endverbrauchers das Paket direkt hinter der Haustür ausliefern. Weiterhin können Kunden in Deutschland auch die Amazon Locker nutzen. Damit liegt das Paket immer auf dem Weg des Kunden. Und wann kommt Ihre neue Frachtvermittlungsbörse Amazon-freight.booking.com nach Deutschland, die Sie im April in den USA gestartet haben? Natürlich arbeiten wir auch in Deutschland immer an Themen, die unseren Kundenservice verbessern, zu diesem Thema haben wir für Deutschland keine Ankündigung gemacht. Würden Sie sagen, dass sich Amazon mit dieser neuen Frachtvermittlungsbörse dazu bekennt, ein Logistikkonzern mit eigenem Zustellnetz werden zu wollen? Wir wollen die Bedürfnisse unserer Endkunden erfüllen. Das steht bei uns im Fokus. So designen wir unsere Services. Wenn wir also in der letzten oder auch in der mittleren Meile investieren, dann immer mit dem Ziel, dem Kunden einen besseren Service zu bieten. Dafür sind wir auch bereit, die Services unserer Dienstleister mit eigenen Kapazitäten zu ergänzen. Und da spielen natürlich die mittlere und die letzte Meile eine große Rolle. Unser Ziel ist: vom Bestell-Klick bis zur Zustellung schneller zu werden. Sprich: Wir müssen da noch mehr Geschwindigkeit in die Prozesse bekommen. Die Transportzeit muss kürzer werden. Daran arbeiten wir. Und dafür ist es unerheblich, ob wir selbst Logistiker sind oder nicht. Erwirtschaftet Amazon mit den eigenen Paketzustellaktivitäten schon Gewinn? Dazu veröffentlichen wir keine Informationen. Wichtig ist, dass wir unsere Servicequalität im Fokus haben. Sie haben also nicht die Zielvorgabe, in diesem Bereich auch Gewinn zu erwirtschaften? Ziel ist es, dem Kunden den bestmöglichen Service zu bieten. Wir gehen davon aus: Guter Service sorgt für zufriedene Kunden, gutes Wachstum und damit auch für Ertrag. Hält Amazon also an seinem Null-Kosten-Versand-Modell in Deutschland fest. Davon gehe ich aus. Aber das entscheide nicht ich. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Amazon www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze Amazon siedelt sich nun auch in der Hansestadt Bremen an - und will von hier aus die Zustellung von Paketen selbst in die Hand nehmen. Das kündigte der Onlinehändler Ende Mai 2019 an. Darüber hinaus entwickelt das Unternehmen in etlichen weiteren Städten wie Rendsburg und Cloppenburg solche neuen Verteilzentren. Das eigene Logistiknetz von Amazon wird immer feinmaschiger - jetzt braucht das Unternehmen viele neue Zustellpartner. "Das Ganze steht und fällt damit, zu welchen Konditionen kleinere KEP-Betriebe bereit sind, für Amazon zu fahren" Amazon prescht in Deutschland vor - mittlerweile nicht nur in den Ballungsräumen, sondern dringt zunehmend auch in die Fläche und baut dafür mehr und mehr Verteilzentren. Der Webseite zufolge verfügt Amazon über sieben Verteilzentren, elf Logistikzentren, zwei PrimeNow-Stationen sowie ein AmazonFresh-Depot. Im Interview mit der VerkehrsRundschau bestätigt Bernd Gschaider, Chef von Amazon Logistik Deutschland, dass sich die Zahl der Verteilzentren mittlerweile auf insgesamt 13 summiert und fünf weitere werden bereits errichtet. Branchenkennern zufolge sollen sogar noch weitere in der Pipeline sein. Das Logistiknetz von Amazon in Deutschland, das sich ursprünglich auf wenige große Ballungsräume konzentriert hatte, wird also immer engmaschiger: Denn das Unternehmen strebt zunehmend auch in mittelgroße und kleinere Städte."Amazon folgt damit nur konsequent der Strategie, die es schon vor Jahren eingeschlagen hat", urteilt Logistikkenner Michael Lierow, Partner der Beratung Oliver Wyman in München. "Und Amazons Strategie ist es, in allen Regionen eine Zustellung spätestens am Folgetag, für wichtige Produkte auch am selben Tag sicherzustellen." Um das umzusetzen, habe die bisherige Anzahl von sieben Verteilzentren nicht gereicht, erklärt er."Das waren zu wenige. Was jetzt also erfolgt, ist die notwendige Nachverdichtung." Für die Paketnetze in Deutschland bedeute dies aber: Sie werden von Amazon für die Zustellung "stückchenweise immer weniger gebraucht", formuliert er es."Stattdessen nutzt das Unternehmen nun seine eigene Logistik in der Zustellung immer stärker." Nur im ländlichen Raum nutze Amazon die Paketnetze für die Zustellung. Sprich: Die lukrativen Touren macht das Unternehmen selbst, die kostenintensivere Zustellung wird an Paketdienste outgesourct. Je mehr Paket- und Sendungsmengen Amazon auch in ländlicheren Regionen generiere, desto stärker würden aber selbst diese Gebiete für das Unternehmen einmal interessant werden."Das Ganze steht und fällt aber mit der Frage, zu welchen Kosten Amazon es gelingt, die eigene Zustellflotte aufzubauen." Und das hänge ganz klar davon ab, zu welchen Konditionen kleinere KEP-Betriebe bereit sind, für Amazon zu fahren. "Das ist der kritische Bereich."Amazon selbst hat durch sein eigenes dichtes Verteilzentrennetz in Deutschland also laut Lierow viele Vorteile: Es kann seine Logistikprozesse viel einfacher und besser planen, als wenn ein Logistikdienstleister dazwischengeschaltet ist. Weiterer wichtiger Punkt ist die Kundenschnittstelle. Das Unternehmen muss seine Kundenadressen nicht mehr aus der Hand geben. Schlussendlich kann Amazon damit sogar die Retouren, etwa über den weiteren Ausbau von Lockern, rentabel für sich managen. Und im nächsten Schritt sei es nur folgekonsequent, wenn das Unternehmen auch die mittlere Meile und die Line Hauls in Deutschland mit eigenen Trailern und Fahrern abwickelt sowie seine Logistikdienstleistung auch Dritten, also beispielsweise Onlinehändlern seiner Plattform anbietet. ehMichael Lierow, Partner der Beratung Oliver Wyman in München