Zukunft Personal: Eine entsetzliche Lücke

Landverkehr, Schiff- und Luftfahrt, Lagerei, Post-, Kurier- und Expressdienste und sonstige Dienstleistungen für den Verkehr: Die Logistikbranche ist einer der größten Wirtschaftsbereiche Deutschlands. Die Branche Verkehr und Lagerei deckte mit einer Wertschöpfung von 150,84 Milliarden Euro im vergangenen Jahr 4,7 Prozent der in Deutschland erbrachten Wertschöpfung ab. Und mit 2,3 Millionen Erwerbstätigen in Verkehrs- und Logistikberufen und knapp einer weiteren Million Führern von Fahrzeugen im Straßen-, Eisenbahn-, Schiffs- und Flugverkehr ist die Logistikbranche vor allem eins: ein wichtiger Arbeitgeber. E-Commerce verschärft Fahrermangel Die verschiedenen Engpassindikatoren der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigen jedoch, dass bereits heute in einigen der für die Logistikbranche relevanten Berufe nicht genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen. Zum Beispiel bei den aktuell etwa 550.000 beschäftigten Berufskraftfahrern im Güterverkehr, bei denen die Stellenbesetzung bereits heute überdurchschnittlich lange dauert. Die von der BA ausgewiesenen Risikoindikatoren, wie zum Beispiel der Anteil der älteren Beschäftigten - Stichwort demografischer Wandel -, sprechen in dieser Berufsgruppe für eine zukünftige Verschärfung der Situation. Wie kann die Branche solchen potenziellen Fachkräfteengpässen entgegenwirken? Um diese Fragen beantworten zu können, muss zunächst geklärt werden, wie groß das Problem zukünftig überhaupt ist: Welche Teilbereiche und Berufsgruppen der Logistik sind in welchem Ausmaß betroffen? Die Frage nach der Anzahl der potenziell fehlenden Fachkräfte ist dabei alles andere als trivial. Sie ergibt sich auf dem Arbeitsmarkt als Zusammenspiel aus dem Bedarf (Nachfrage) und dem Angebot an Fachkräften. Generell wird davon ausgegangen, dass der gesamtwirtschaftliche Arbeitskräftebedarf in Deutschland von aktuell etwa 45,4 Millionen bis zum Jahr 2030 um eine Million Personen, sprich auf 44,4 Millionen, sinken wird. Bis zum Jahr 2040 wird eine weitere Senkung auf 43,7 Millionen erwartet. Dabei variieren diese Entwicklungen nicht nur stark von Branche zu Branche, sondern auch zwischen den Berufsgruppen innerhalb einzelner Sektoren. In der Logistikbranche ist der Arbeitskräftebedarf stark von der Entwicklung des Straßengüterverkehrs abhängig. Dieser wird zumeist in Tonnenkilometern ausgewiesen. Im Kontext der Frage, wie viele Fachkräfte benötigt werden, sind jedoch die Fahrzeugkilometer die entscheidendere Größe, da für jedes Fahrzeug ein Fahrer benötigt wird. Hier zeigen Statistiken des Kraftfahrt-Bundesamts seit 2014 eine Zunahme der Jahresfahrleistung von Lkw bis 3,5 Tonnen zulässige Gesamtmasse (zGM) um nahezu 34 Prozent (siehe Grafik Seite 40). Grund für diese Entwicklung ist insbesondere der Trend im Güterverkehr zu kleineren Fahrzeugen. Mit den zunehmenden Onlinebestellungen von Privathaushalten wird die Zustellung der "Letzten Meile" zu einer Herausforderung, für die mehr Fahrzeuge benötigt werden als zur Belieferung des stationären Handels. Prognosen zur Entwicklung des Verkehrsaufkommens zeigen, dass dieser Trend auch zukünftig steigen wird, mit entsprechendem Bedarf an Fahrern. Abhilfe schaffen könnte ein höherer Automatisierungsgrad. Dafür benötigt es aber tatsächlich autonomes Fahren, was in naher und mittlerer Zukunft nicht realistisch ist, insbesondere nicht auf der Letzten Meile im städtischen Verkehr und in ländlichen Regionen. Eine weitere Verbesserung von Assistenzsystemen hilft kaum, weil die Fahrer trotzdem hinter dem Steuer sitzen müssen. In anderen Bereichen der Logistik, wie zum Beispiel der Lagerei, kann Automatisierung hingegen den Arbeitskräftebedarf potenziell senken. Hier gehen die Einschätzungen jedoch auseinander, da ebenfalls Trends zu beobachten sind, die gegen eine solche Entwicklung sprechen. Problematische Altersstruktur Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene wird das Potenzial des Arbeitskräfteangebots durch die Entwicklung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 66 Jahren gedeckelt. In den kommenden Jahren ist in Deutschland jedoch mit einem deutlichen Rückgang zu rechnen. Grund dafür ist vor allem der bevorstehende Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge (siehe Grafik Seite 40). So wird die Zahl der Personen im Alter ab 67 Jahren von 2020 bis 2035 um 22 Prozent, das heißt von 16 Millionen auf etwa 20 Millionen steigen - diese Personen fehlen dem Arbeitsmarkt. Um das inländische Erwerbspersonenpotenzial zu halten, müsste sich daher die jährliche Nettozuwanderung nach Deutschland auf etwa 400.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter belaufen. Auch bezüglich des Angebots und der Altersstruktur zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Berufen. Im genannten Beispiel der Berufskraftfahrer ist ein Drittel der etwa 550.000 Beschäftigten über 55 Jahre alt und geht demnach in zehn Jahren in Rente. Allein um diesen sogenannten rentenbedingten Ersatzbedarf zu decken, müssten bis dahin etwa 190.000 Beschäftigte neu gewonnen werden. In der mit 1,5 Millionen Beschäftigten ebenfalls bedeutenden Lagerwirtschaft liegt der Anteil der über 55 Jahre alten Personen bei 20 Prozent. Entsprechend liegt hier der rentenbedingte Ersatzbedarf der kommenden Jahre bei knapp 300.000 neu zu gewinnenden Beschäftigten. Gleichzeitig ist die Anzahl der Auszubildenden in den letzten Jahren in Deutschland rückläufig. Geht man davon aus, dass der Trend der fortschreitenden Akademisierung bestehen bleibt, ist anzunehmen, dass die Ausbildungstätigkeit nicht ausreichen wird, um die altersbedingt wegfallenden Beschäftigten in der Logistikbranche zu ersetzen. Ausbildungstätigkeit reicht nicht aus Insgesamt kann in der Logistikbranche von einem steigenden Arbeitskräftebedarf in der Zukunft ausgegangen werden. Gleichzeitig kommt es zu einem Rückgang des Arbeitskräfteangebots. Zum einen gesamtwirtschaftlich und demografisch bedingt, zum anderen ganz konkret in typischen Berufsgruppen der Logistikbranche. Grund dafür ist das Zusammenspiel aus vielen in Rente gehenden Beschäftigten und einer (voraussichtlich) nicht ausreichenden Anzahl an Nachwuchskräften. Das tatsächliche Ausmaß der potenziell entstehenden Lücke hängt in den einzelnen Berufen jedoch von verschiedenen Entwicklungen ab. Auf der Bedarfsseite sind dies beispielsweise technologische Veränderungen (autonomes Fahren), auf der Angebotsseite unter anderem die Entwicklung der Ausbildungspräferenzen der zukünftigen Schulabgänger. Diese Aspekte sind damit gleichzeitig ein Ausblick auf mögliche Handlungsfelder. Um den zunehmenden Arbeits- und Fachkräfteengpässen in der Logistik entgegenzuwirken, gilt es, Lösungen in zwei Richtungen zu erarbeiten: Angebot und Nachfrage. Aufseiten der Nachfrage (Bedarf) sollte die Anzahl der benötigten Arbeits- und Fachkräfte in Köpfen verringert werden. Dies kann zum einen erreicht werden durch Produktivitätssteigerungen, gegebenenfalls durch verstärkte Digitalisierung und Technologien wie autonomes Fahren. Experten gehen dabei jedoch davon aus, dass Letzteres im innerstädtischen Bereich in den kommenden Jahren nicht realistisch ist. Eine weitere wichtige Stellschraube ist daher die Teilzeitquote: Aktuell arbeiten 23 Prozent der in der Lagerwirtschaft Beschäftigten in Teilzeit. Durch eine Verringerung dieser Quote ließen sich erforderliche Neueinstellungen reduzieren. Bei der Gewinnung von Fachkräften sind zunächst zwei Handlungsfelder unmittelbar relevant (siehe Infokasten): Zum einen der Quereinstieg von Fachkräften aus anderen inländischen Bereichen mit ähnlichen Tätigkeitsprofilen, bei denen es zu sinkenden Arbeitskräftebedarfen kommen wird. Zum anderen Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland. Zwar ist dieser Anteil in der Logistik schon heute vergleichsweise hoch - um weitere Potenziale zu heben, gilt es jedoch, Hindernisse zu senken und unter Umständen bei bürokratischen Prozessen zu unterstützen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu verstehen, dass die Logistik mit anderen Branchen in Konkurrenz um Fachkräfte steht. Deshalb wird es immer essenzieller, als Arbeitgeber attraktiv zu sein im Hinblick auf die Arbeits- und Rahmenbedingungen. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Frauenquote. In den meisten Berufsgruppen der Logistik ist der Männeranteil extrem hoch - mit 74 Prozent in der Lagerwirtschaft und 97 Prozent bei den Berufskraftfahrern. Die Branche sollte daher vor allem Anstrengungen unternehmen, um für weibliche Fachkräfte attraktiver zu werden. Ein ebenfalls bedeutender Aspekt ist die Ausbildungstätigkeit. Die Ausbildungsbetriebsquote, das heißt der Anteil der ausbildenden Unternehmen an den Betrieben insgesamt der Branche Verkehr, Luftfahrt und Lagerei liegt mit etwa zehn Prozent deutlich unter dem Durchschnitt von 20 Prozent. Beteiligen sich mehr Unternehmen an der Ausbildung, kann dies potenzielle Engpässe zukünftig verringern. Auch die Weiterbildung bisheriger ungelernter Hilfskräfte kann eine Chance sein: Der Anteil an Hilfskräften ist in Teilbereichen der Logistikbranche überdurchschnittlich hoch, beispielsweise in der Lagerwirtschaft mit 62 Prozent (bundesweit 16 Prozent). Interne Weiterbildungsangebote und verbesserte Anreizsetzungen könnten dabei helfen, diese Arbeitskräfte zu qualifizierten Fachkräften zu machen. Handeln statt Hoffen Die Verkehrs- und Logistikbranche sieht sich - wie andere Branchen auch - vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und steigender potenzieller Arbeits- und Fachkräfteengpässe mit zunehmenden Herausforderungen konfrontiert. Da aber die genannten Handlungsfelder nicht von heute auf morgen wirken, gilt es jetzt, keine Zeit zu verlieren. Andernfalls können mangelnde Fachkräfte für die Logistik zukünftig zu einem Flaschenhals werden. In einer für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft so wichtigen Branche, auf deren reibungsloses Funktionieren nachgelagert ganze Industrien angewiesen sind, hätte dies gravierende Auswirkungen. Markus Hoch, Senior Projektleiter bei Prognos AG in München Fünf Strategien gegen den Arbeitskräftemangel der Zukunft Fünf Strategien von Prognos-Experte Markus Hoch, die helfen können, den Fachkräftemangel in der Branche Logistik und Güterverkehr zu minimieren:Quereinstieg: Fachkräften aus anderen inländischen Bereichen mit ähnlichen Tätigkeitsprofilen muss der Quereinstieg in die Logistik erleichtert werden. Arbeits- und Fachkräfte aus Ausland: Um Potenziale zu heben, gilt es, Hindernisse zu senken und ggf. bei bürokratischen Prozessen zu unterstützen. Arbeitgeber-Attraktivität: Im Kampf um Talente, insbesondere weibliche Fachkräfte, muss die Logistikbranche nachbessern, zum Beispiel bei Arbeits- und Rahmenbedingungen. Ausbildungsquote: Mit durchschnittlich zehn Prozent Ausbildungsquote liegt die Branche Verkehr, Luftfahrt und Lagerei deutlich unter dem Durchschnitt von 20 Prozent. Weiterbildung Hilfskräfte: Interne Angebote können bislang ungelernte Hilfskräfte zu qualifizierten Fachkräften machen. Autor: Markus Hoch, Senior Projektleiter Prognos AG Markus Hoch ist Senior Projektleiter bei der Prognos AG in München. Inhaltlich befasst er sich vor allem mit künftigen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt. So verantwortet er etwa das Fachkräftemodell der Prognos, das die quantitative Basis für viele Studien zu künftigen Arbeitskräfteengpässen in verschiedenen Branchen bildet. Hoch ist 1983 geboren und studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg und der School of Business, Economics and Law in Göteborg. Ein Schwerpunkt des Studiums war die Empirische Wirtschaftsforschung und Ökonometrie. Hoch ist zudem zertifizierter Data Scientist. eh 400.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter müssten jährlich in Deutschland zuwandern, um die derzeitige Erwerbspersonenzahl zu halten.

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