Wo 40 Tonnen zur Leerfahrt werden

Sechs Zylinder waren für Volvo auch im Bereich der Hochleistungs-Zugmaschinen immer gesetzt. Eine Strategie, die sich aus heutiger Sicht als zukunftsweisend erwiesen hat, seit die Schweden 1987 die Grundversion ihres 16-Liter-Aggregates im damaligen F16 vorstellten. Schließlich haben alle Konkurrenten den Achtzylinder mittlerweile aus ihren Modellreihen verbannt - von Scanias prestigeträchtigem V8 abgesehen ... Die Wenigen, die einen FH16 mit 750 PS fahren dürfen, werden die "fehlenden" zwei Zylinder kaum vermissen: Ein Tritt aufs Gaspedal und der Sechszylinder liefert immer mehr Power als nötig. Sehr zur Freude der Tester und im Gegensatz zu früher äußerst harmonisch. Einziges Manko: Trotz der variablen Turbinengeometrie des zweiten Turbos vergeht ein wenig Zeit, bis der Motor anspricht. Andererseits, mit Leistung im Überfluss lässt sich diese Kleinigkeit verschmerzen. Das I-Shift-Getriebe harmoniert bestens mit dem Motor. Zu seinen Vorzügen gehören schnelle Gangwechsel, eine exzellente Schaltstrategie und gerade in Kombination mit dem großen Motor eine sehr gute Bremsintegration. Der "Automat" schaltet bergab sauber zurück und mit bis zu 700 kW Bremsleistung der "Volvo-Engine-Brake Plus" reicht meist der Elfte, um passende Drehzahlen zu erreichen. Wer in das via Druckknopf am Bremshebel betätigte Bremsprogramm wechselt, wird mit einer weiteren Rückschaltung und vehementer Verzögerung belohnt. Obwohl wir bekanntermaßen Retarder-Fans sind, braucht der FH16 den sicher erst jenseits von 50 Tonnen Gesamtgewicht. Nur noch tolerierbare Überschwinger Für die Testfahrt haben wir das mittlere der beiden Eco-Programme ausgewählt. Schließlich steht bei Verwendung von 750 Pferdestärken nicht Sparen an erster Stelle. Damit verliert der starke Schwede über die Kuppe nicht zu viel Tempo, gibt fallweise vor dem Anstieg ein klein wenig Gas und, was uns bei der aktuellen Version wohlwollend aufgefallen ist: Überschwinger bergab reichen (nachdem es viel Kritik von den Fahrern wegen Geschwindigkeitskontrollen gab) jetzt nur noch kurzfristig bis maximal 92 km/h, bei gesetztem Tempo 85. Zu fahren ist der FH16 sehr komfortabel. Auch wenn der Test-Truck nicht über die optionale Einzelradaufhängung verfügte, federte er weich und wirkte dennoch ausreichend straff. Gab's bei früheren Modellen schon mal Kritik, weil der schwere Sechszylinder mächtig auf der Vorderachse lastete, zeigte der aktuelle Proband keine solchen Tendenzen. Zusätzlich federt die Hinterachse stets geschmeidig - auch bei Teilbeladung. Zur komfortablen Auslegung passt auch das niedrige Fahrgeräusch, selbst mit (elektrisch) geöffnetem Glasdach bleibt es in der Kabine leise. Zumindest während der Fahrt, für die Nachtruhe am Autobahn-Parkplatz scheinen andere Hersteller ein klein wenig mehr Dämmung zu spendieren. Dafür präsentieren sich die Sitze gut konturiert und wenn der Fahrer die Annehmlichkeiten einer elektrischen Sitzverstellung genießen kann, klappt auch die Verstellung problemlos. Für Fahrer mit längeren Beinen fehlt es allerdings ein wenig an Sitztiefe. Wie man generell nicht versteht, warum Volvo bei der Entwicklung des Neuen nicht ein paar Zentimeter mehr Kabinenlänge realisiert hat. Der Mangel manifestiert sich neben dem eingeschränkten Sitzverstellbereich auch an einem starken Einzug des unteren Bettes im Kopf- und Fußbereich. Bei der Schlafstatt sollte man sich übrigens das aufstellbare Rückenteil gönnen - durch dessen Funktionalität man auch bessere Sicht auf den optionalen Flatscreen an der Kabinen-Seitenwand hat. Die Bedienung des FH16 fällt leicht Dass Volvo jetzt einen Fahrertrainer à la "Driver Performance Assist" integrierte, ist löblich. Warum man dafür aber das nicht sonderlich günstige Dynafleet kaufen muss, bleibt das Geheimnis der Schweden. Andere Hersteller spendieren ihren Coach schließlich auch serienmäßig. Bei denen dürfte sich Volvo auch die Anordnung des Schalthebels per Lenkstock abgucken. Ansonsten stimmt das Bedienkonzept des FH. Das im Halbrund um den Fahrer gezogene Armaturenbrett sorgt für Übersicht. Die Anordnung der Schalter in Funktionsgruppen macht es selbst Volvo-Neulingen leicht, sich zurechtzufinden. Völlig überfrachtet ist aber das Multifunktionslenkrad. Wer zum ersten Mal einen FH übernimmt, sollte vor dem ersten Trip unbedingt einen Blick in die Bedienungsanleitung werfen. Unterm Strich ist der FH16 ein echter Traum-Lkw - wenngleich er Mankos hat, die selbst mit einer Modellpflege nicht zu beseitigen sind, wie zum Beispiel die kurze Kabine. Andererseits ist er extrem schnell, sehr komfortabel, absolvierte unsere Testrunde mit 26,8 l/100 km leidlich sparsam und ist aktuell einer der modernsten Lkw - leider eben aber auch ziemlich teuer. Alle Tests und Fahrberichte für Abonnenten www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank Kommentar Ein faszinierendes Arbeitsgerät Die Sinnfrage nach 750 PS im 40-Tonnen- Einsatz sollte man sich besser nicht stellen. Schwächere Kandidaten erledigen diesen Job - auch wegen der zahlreichen Überholverbote - kaum langsamer, aber deutlich sparsamer. Beim Kapitel Fahrspaß kommen sie allerdings mit dem stärksten Volvo nicht mit. Er geht wie die sprichwörtliche Sau! Wer also einen verdienten Fahrer belohnen möchte, sollte über den 750er nachdenken.Kontakt: gerhard.gruenig@springer.comGerhard Grünig VR-Chefredakteur DER FH16-750 im TÜV-Urteil Wie bei jedem Profi-Test der VR begutachtete der TÜV SÜD für uns den FH16 in Sachen Service und Wartungsfreundlichkeit. Zu den positiven Punkten des Volvo gehören sein wartungsfreies Chassis, das umfangreiche Diagnose-System sowie der für den Fahrer hilfreiche Bordcomputer. Beim Thema Wartungsintervalle liegt der Schwede aus Göteborg dagegen mit 100.000 Kilometern deutlich niedriger als beispielsweise Mercedes Actros, Iveco Stralis oder DAF XF. Bei denen lässt sich auch die Sichtprüfung der Flüssigkeitsstände und der Leuchtmitteltausch bei den Frontscheinwerfern einfacher erledigen. Letzteres Manöver ist beim FH schon fast ein Fall für die Werkstatt. Immerhin verfügen die Rückleuchten über langlebige LED, auch wenn die nach ungewolltem Feindkontakt deutlich teurer kommen.Ebenfalls nicht optimal, weil frostgefährdet platziert, ist der Waschwasserbehälter im Spritzbereich der Vorderachse. Alle wesentlichen Betriebsmittel überprüft der Bordcomputer. Wer dem nicht traut, freut sich über die mechanische Kontrollmöglichkeit des Motoröls per Peilmessstab. Im Falle eines Falles leicht und ohne Kleckern ergänzen lässt sich der Ölstand über den Teleskop-Einfüllstutzen. bj