Angesichts steigender Energiekosten, Fachkräftemangel und einer hohen Steuerbelastung wachsen die Zweifel an der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. So halten fast neun von zehn Unternehmen (88 Prozent) den Standort Deutschland international für nicht wettbewerbsfähig, wie eine aktuelle Umfrage des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) zeigt. Befragt wurden Automobilzulieferer (Herstellergruppe III) sowie die mittelständisch geprägten Hersteller von Anhängern, Aufbauten und Bussen (Herstellergruppe II), die Befragung wurde vom 23. Januar bis 3. Februar 2023 durchgeführt, beteiligt haben sich 116 Unternehmen. Damit würden repräsentative Aussagen zur aktuellen Lage und den Perspektiven der Automobilindustrie vorliegen, so der VDA.
Laut der Umfrage ist der hohe Strompreis die derzeit größte Herausforderung für die Betriebe. Rund 82 Prozent der befragten Unternehmen geben an, stark oder sogar sehr stark durch die hohen Strompreise belastet zu sein. Durch die hohen Gaspreise sind drei von vier Unternehmen stark oder sogar sehr stark (73,3 Prozent) herausgefordert.
Eine weitere Belastung der Arbeits- und Fachkräftemangel. Unter ihm leiden 77,6 Prozent der Unternehmen stark oder sogar sehr stark. Zudem geben 62 Prozent der Unternehmen an, durch Bürokratie stark oder sehr stark belastet zu sein.
Schlechtes Zeugnis für die deutsche Industriepolitik
Die Unzufriedenheit mit dem Standort hat laut VDA auch deutliche Auswirkungen auf die Investitionsabsichten: So gaben in einer Umfrage aus dem Juli vergangenen Jahres noch 56 Prozent der befragten Unternehmen an, ihre Investitionen verschieben zu wollen, in einer weiteren im September waren es 45 Prozent gewesen. In der aktuellen Umfrage geben zwar nun nur noch 28 Prozent an, dies zu planen – dafür aber steigt der Anteil der Unternehmen, die ihre Investitionen ins Ausland verlagern oder diese gänzlich streichen wollen: So planen laut den aktuellen Umfrageergebnissen 28 Prozent eine Investitionsverlagerung ins Ausland (September 2022: 22 Prozent) und 14 Prozent eine Streichung der Investitionen (September 2022: neun Prozent). Lediglich zwei Prozent der Unternehmen geben in der aktuellen Umfrage an, ihre Investitionen in Deutschland – angesichts der aktuellen Lage – erhöhen zu wollen, ein Prozent weniger als im September des vergangenen Jahres.
„Immer mehr Unternehmen betrachten den Standort Deutschland als international nicht wettbewerbsfähig, das ist kein gutes Zeugnis für die deutsche Industriepolitik. Das Ergebnis zeigt einmal mehr, dass wir dringend ein ambitioniertes Standortprogramm brauchen: weniger Bürokratie, mehr Handelsabkommen, ein konkurrenzfähiges Steuersystem, einfachere und schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren“, sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Darüber hinaus müsse Deutschlands Energie- und Rohstoffversorgung „mit internationalen Partnerschaften abgesichert werden, wenn wir Deutschland und Europa unabhängiger machen wollen“. Müller warnte: „Bei all dem braucht die Politik mehr Tempo und Entschlossenheit, sonst drohen wir international zunehmend den Anschluss zu verlieren.“
Kritik am wachsenden Bürokratiedschungel
Die Folgen einer überbordenden Bürokratie zeigen laut Automobilverband beispielsweise die Rückmeldungen der Unternehmen zur in der Umsetzung befindlichen Gas- bzw. Strompreisbremse: 36 Prozent beurteilen die Gas- bzw. Strompreisbremse als hilfreich oder sehr hilfreich, doch 39 Prozent betrachten sie als wenig oder gar nicht hilfreich. Zudem gibt mehr als jedes fünfte Unternehmen an, noch gar nicht beurteilen zu können, ob diese Instrumente für sie hilfreich sind.
„Die Unternehmen der deutschen Automobilindustrie, insbesondere die mittelständischen Betriebe, finden sich immer schlechter im Bürokratiedschungel zurecht. Viele von ihnen müssen sich nun auch in Anbetracht der bürokratischen Ausgestaltung der Gas- und Strompreisbremse externe Beratung holen – und das, ohne zu wissen, ob sie überhaupt in der jeweiligen Situation hilfreich und für ihr Unternehmen anwendbar ist“, kritisierte VDA-Präsidentin Müller. „Die Unternehmen brauchen all ihre Kraft, um die Transformation zu stemmen und ihre Betriebe – den Krisen zum Trotz – zukunftsfest aufzustellen“, so Müller weiter, umso wichtiger sei eine unbürokratische Ausgestaltung von Hilfsinstrumenten.
Immerhin: Hinsichtlich der Beschaffung von Rohstoffen, Materialien und Vorprodukten sehen 42 Prozent der Unternehmen eine Verbesserung der Situation gegenüber dem Herbst 2022. Gut die Hälfte der Unternehmen (51 Prozent) gibt allerdings an, die Situation habe sich nicht signifikant verändert. Für gut jedes zehnte Unternehmen (12 Prozent) hat sich die Situation seit dem Herbst verschlechtert. (tb)