Unverhofft kommt immer öfter

Zuerst vermutete Oliver Schubert (Name von der Redaktion geändert), dass er es mit einem ausgetüftelten Betrugsversuch zu tun hat. Das Anwaltsschreiben, das er in seinen Händen hielt, war gespickt mit Paragrafen und Urteilen und sein Inhalt machte den Unternehmer sprachlos: 300.000 Euro verlangte der Insolvenzverwalter eines früheren Stammkunden, der vor vier Jahren Pleite gegangen war. 300.000 Euro, für die Schubert dem Handwerksunternehmen die bestellte Ware ordnungsgemäß geliefert hatte. Jetzt soll der sächsische Baustoffhändler, der wegen des laufenden Gerichtsverfahrens seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, den kompletten Jahresumsatz aus 2010, den er mit seinem Kunden erzielte, zurückerstatten. "Ich hatte keine Ahnung, dass mein Kunde zahlungsunfähig wird. Nun wird mir unterstellt, dies gewusst und alle anderen Gläubiger vorsätzlich benachteiligt zu haben, weil eine meiner Rechnungen in Raten bezahlt wurde", berichtet er. Dabei wollte er seinem langjährigen Geschäftspartner mit der Vereinbarung, wonach dieser alle zwei Wochen jeweils 10.000 Euro überweisen muss, entgegenkommen. Denn dieser wartete selbst auf Geld eines Auftraggebers. Seine Raten hat er pünktlich bezahlt. "Wir haben ihm nur geholfen, seine Liquidität kurzfristig zu sichern", sagt Schubert. Ratenvereinbarungen gehören für den Baustoffhändler zum normalen Geschäftsverkehr. Sie sind allerdings nicht nur in seiner Branche üblich, sondern auch im Speditions-, Transport- und Logistikgewerbe. Entgegenkommen kann teuer werden Solche Zahlungserleichterungen bergen allerdings ein hohes Risiko. Sie bieten Insolvenzverwaltern die Möglichkeit, bereits beglichene Forderungen noch Jahre später zurückzufordern, um sie in die Insolvenzmasse einfließen zu lassen - inklusive der Zinsen auf diese Beträge, die seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Insolvenzverwalter nutzen seit einigen Jahren exzessiv die sogenannte Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung der Gläubiger gemäß Paragraf 133 Absatz 1 der Insolvenzordnung (InsO) als Geldquelle. Dieses Rechtsinstrument soll verhindern, dass wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen kurz vor der Pleite Geld aus ihrem Betrieb ziehen, Vermögen verschieben oder einige Gläubiger sich ihre Forderungen noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bezahlen lassen, während die anderen leer ausgehen. In den letzten Jahren mutierte diese Ausnahme jedoch zum Regelfall. Das spiegeln Zahlen des Versicherungsmaklers Aon Risk Solutions wider: Rund zwei Drittel aller deutschen Unternehmen erhalten demnach jedes Jahr ein entsprechendes Schreiben eines Insolvenzverwalters. Bei fast 40 Prozent der angeschriebenen Unternehmen betrage die Anfechtungssumme über 100.000 Euro. Eine Anfechtung droht vor allem bei solchen Zahlungen, die das krisengeplagte Unternehmen in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistet hat. Auch der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) schlägt Alarm. Schuld ist der Bundesgerichtshof Der Grund: Die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Sie dehnt den Wortlaut von Paragraf 133 Absatz 1 der InsO (siehe Kasten oben) aus und erleichtert Konkursverwaltern so Verdachtsanfechtungen - selbst bei länger zurückliegenden Zahlungen. Belangt werden können demzufolge alle Unternehmen, die von der finanziellen Notlage des insolventen Geschäftspartners wussten. Dabei gelten Änderungen der vertraglich festgelegten Zahlungsbedingungen sowie Bitten um Ratenzahlung und Stundung bereits als Indiz für eine drohende Zahlungsunfähigkeit. Selbst Zahlungseingänge nach mehreren Mahnläufen reichen als Anfangsverdacht, um eine solche Anfechtungsklage einzureichen. Das Problem: In der Regel kommen Unternehmen den Bitten ihres Kunden um Ratenzahlung oder Stundung nach, um ihnen in Krisensituationen beizustehen und sie zu halten. "Dabei ist es doch normal, dass Gläubiger mahnen und Druck machen, wenn Kunden nicht pünktlich bezahlen", wundert sich Hubert Valder, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des DSLV. "Jetzt müssen Unternehmer vor Gericht beweisen, dass sie nichts von den Zahlungsproblemen und der drohenden Insolvenz ihres Kunden wussten", kritisiert der Rechtsanwalt. Doch ist das in der Praxis mangels Einsicht in die Bücher des Schuldners kaum möglich. Schnell ist die eigene Existenz gefährdet Bei großen Auftraggebern hat das späte Zahlen sogar oft System. Viele Transporteure nehmen das in Kauf, weil sie auf den Umsatz angewiesen sind. "Bei einer späteren Insolvenz des Kunden ist die Gefahr einer Anfechtung aber immer groß, sobald Zahlungen unpünktlich oder unregelmäßig erfolgten", warnt Valder. Das Risiko einer Folgeinsolvenz ist für Frachtführer und Spediteure besonders hoch. Ihre Liquiditätspolster sind dünn und Insolvenzverwalter begnügen sich meist nicht damit, nur Zahlungen zurückzufordern, die der Schuldner auf Raten oder mit Verspätung beglichen hat. Sie fechten selbst regulär abgeschlossene Geschäfte an. Hintergrund ist die Definition der Zahlungsunfähigkeit durch die Gerichte: Nach dem Insolvenzrecht ist ein Unternehmen bereits zahlungsunfähig, wenn es länger als drei Wochen mehr als zehn Prozent seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht begleichen kann. Eine Unterdeckung von zehn Prozent ist die Grenze. "In vielen Branchen wäre danach die überwiegende Zahl der Unternehmen insolvenzreif", meint Rechtsanwalt Paschen. Wer bei fälligen Verbindlichkeiten von 200.000 Euro keine liquidierbaren Werte von mindestens 180.000 Euro vorweisen kann, müsste demnach schon einen Insolvenzantrag stellen. "Alle Zahlungen, die ab dem Zeitpunkt der Unterdeckung geflossen sind, stehen unter Generalverdacht und werden häufig angefochten", weiß Robert Buchalik, Partner der Kanzlei Buchalik Brömmekamp. Die Zahl der Insolvenzen ist seit Jahren rückläufig, die Anfechtungsklagen aber steigen. "Konkursverwalter ziehen daher alle Register, um die Insolvenzmasse anzureichern. Manche Verfahren werden nur deshalb eröffnet, weil Zahlungen angefochten wurden", beobachtet Rechtsanwaltskollege Paschen. Er kritisiert: "80 Prozent der Anfechtungsbeträge landen beim Insolvenzverwalter, dessen Honorar sich nach der Insolvenzmasse bemisst." Die Gläubiger selbst sehen davon wenig. Justizministerium strebt Reform an Das zuständige Bundesjustizministerium sieht inzwischen Handlungsbedarf. Mitte März legte es einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz vor. Dieser sieht einen verkürzten Anfechtungszeitraum von vier statt zehn Jahren vor. Zudem sollen Zahlungserleichterungen, die im Geschäftsverkehr üblich sind, kein Grund für Anfechtungsklagen mehr sein. Über 50 Stellungnahmen der Wirtschaftsverbände sind zum Gesetzentwurf eingegangen. Die Experten sehen noch erheblichen Nachbesserungsbedarf. Das bedeutet, es kann dauern, bis die neuen Vorschriften in Kraft treten. Ein Grund mehr für Unternehmer, Vorsorge zu treffen und sich gegen Insolvenzanfechtungen zu wappnen. Warnsignale, die auf finanzielle Schwierigkeiten eines Kunden hindeuten, sollten Unternehmenschefs daher ernst nehmen: Trennen sie sich frühzeitig von säumigen Schuldnern, um nicht Gefahr zu laufen, noch zehn Jahre rückwirkend bereits erhaltene Zahlungen zurückerstatten zu müssen. Auch wer Forderungen zügig eintreibt und notfalls konsequent vollstreckt, ist vor späteren Anfechtungen sicher (siehe Kasten links). Wer bereits die Rückzahlungsforderung eines Insolvenzverwalters vorliegen hat, braucht schnell einen Anwalt, der sich mit dem Thema auskennt. Auffällig ist, dass als Absender immer dieselben Kanzleien auftauchen. Sie treiben im Auftrag der Insolvenzverwalter das Geld ein. Wo ein geringer Anfangsverdacht besteht, gehen sie mit Serienbriefen auf die Gläubiger los. Unternehmer haben jedoch oft gute Chancen, sich vor Gericht gegen eine Insolvenzanfechtung zu wehren. "So sind in vielen Branchen saisonale Schwankungen die Ursache für Ratenzahlungen, keine drohende Insolvenz", argumentiert der Berliner Rechtsanwalt Lutz Paschen. Auch Baustoffhändler Schubert will sich vor Gericht wehren. Den schlimmsten Fall hat er dennoch durchgerechnet: Notfalls geht es an die Rücklagen der Firma. Das besagt Paragraf 133 der Insolvenzordnung Vorsätzliche Benachteiligung Absatz 1: Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. ag Sieben Tipps für die Praxis So können Sie sich vor einer Insolvenzanfechtung schützen 1 Bargeschäfte abschließen:Die vereinbarungsgemäße und unmittelbare (Faustregel: innerhalb von 30 Tagen) Zahlung einer Leistung durch deren Auftraggeber ist als sogenanntes Bargeschäft vor der Insolvenzanfechtung besonders geschützt. Hier fehlt in der Regel ein Benachteiligungsvorsatz. Zahlungen im elektronischen Lastschriftverfahren gelten zum Beispiel als Bargeschäfte.2 Pfandrechte ausüben:Mittels des Frachtführer-, Spediteur- oder Lagerhalterpfandrechts lassen sich Altforderungen schützen. Befindet sich die Ware in Ihrem Besitz, dürfen Sie diese pfänden. Der Bundesgerichtshof urteilte, dass dies kein Anfechtungstatbestand im Insolvenzrecht darstellt.3 Schnell vollstrecken:Treiben Sie offene Forderungen zügig ein. Verzichten Sie darauf, vom vereinbarten Zahlungsweg abzuweichen, zum Beispiel durch Ratenzahlungen. Vollstrecken Sie notfalls. Geht ein Geschäftspartner pleite, können Insolvenzverwalter drei Monate vorher oder noch früher vollstreckte Forderungen nicht mehr anfechten.4 Bürgschaften und Garantie fordern:Bestehen Sie auf einer Besicherung Ihrer Forderungen mit Vermögen, das nicht dem Schuldner gehört. Eine Insolvenzanfechtung ist dann ausgeschlossen.5 Zahlungsfähigkeit belegen:Lassen Sie sich von Ihrem Geschäftspartner aktuelle Geschäftszahlen vorlegen. Einen Zahlungsaufschub gibt es nur, wenn dieser Ihnen zum Beispiel anhand der Summen- Salden-Liste nachweisen kann, dass es sich um einen kurzfristigen Liquiditätsengpass handelt.6 Sanierungsabsicht dokumentieren:Wenn Sie einem Geschäftspartner Zahlungserleichterungen gewährt haben, um dessen Sanierung zu unterstützten, sollten Sie sich gerichtlich wehren, wenn danach eine Insolvenzanfechtung ins Haus flattert. Die Sanierung von Unternehmen ist das erklärte Ziel des Insolvenzrechts. Der Nachweis gelingt jedoch nur durch eine genaue Dokumentation.7 Richtig versichern:Mit einer Warenkreditversicherung lassen sich Rückforderungen aufgrund von Insolvenzanfechtungen, die das vereinbarte Limit überschreiten, häufig in den Versicherungsschutz einschließen. sad/ag