Sich für die Disruption in Stellung bringen

Die Datenmengen, die heutzutage in der Logistik generiert werden, bringen nicht nur ein großes Potenzial zur Prozessoptimierung mit. Sie werden auch die Grundlage dafür bilden, dass die bestehenden Geschäftsmodelle in der Transportbranche durch neue Player schon in wenigen Jahren gehörig ins Wanken geraten. Dies machte Klaus van Marwyk, Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger, auf den VR-Anwendertagen "Logistik digitalisieren" deutlich. Müssen sich Spediteure nun sorgen, dass Logistik-Start-ups die Transportbranche derart umkrempeln, wie etwa Expedia die Touristikbranche? Van Marwyk hält dies für gut möglich und verweist auf Reisebüros, deren Anzahl aufgrund der Online-Konkurrenz binnen einer Dekade um 30 Prozent geschrumpft sei. Übertragen auf die Logistikbranche könnten in den kommenden Jahren zumindest im standardisierten Forwardinggeschäft neue Buchungsplattformen eine entsprechend starke Rolle spielen. "20 bis 30 Prozent des Transportgeschäftes lassen sich standardisieren und sind damit einfach digitalisierbar", so van Marwyk. Online-Spediteure könnten diese Dienstleistungen zu geringeren Preisen anbieten, was Verlader auch annehmen werden, glaubt der Unternehmensberater. Das Endgame-Szenario, das Roland Berger zuletzt in einer Studie umrissen hat, unterteilt die "überlebenden Akteure" in der Logistikindustrie in vier Kategorien: Buchungs- und Optimierungsplattformen, Carrier- und Terminal-Operatoren, also Assethalter und -betreiber, Supply-Chain-Spezialisten, die als Lösungsanbieter für komplexe oder industriespezifische Aufgaben fungieren, sowie neue und etablierte Spieler, die als Serviceanbieter auftreten. Rennen mit ungewissem Ausgang Eine der spannendsten Fragen in diesem Endgame-Szenario lautet natürlich: Wer wird die Buchungs- und Optimierungsplattformen betreiben und damit dem jetzigen Speditionsgeschäft einiges an Umsatz abspenstig machen? Start-ups wie InstaFreight, Freighthub oder Flexport, um nur beispielhaft einige zu nennen? Werden sich große Verlader zusammenschließen oder sind es die Spediteure selbst, die für eine eigene Plattform kooperieren? Eines steht für van Marwyk jedoch schon fest: Erfolgreich können diese Plattformen zum Management von Logistiktransaktionen nur sein, wenn sie neutral operieren. "Wer am Ende gewinnt, werden wir sehen. Eines wird aber nicht passieren: Dass ein großer Spediteur seine Plattform aufbaut und damit den Markt aufrollt." Die richtigen Nischen besetzen Und welche Rolle werden Transportunternehmen spielen, wenn Buchungsplattformen künftig einen Teil ihrer heutigen Aufgaben übernehmen? Das Zauberwort lautet Spezialisierung. Der kleine und mittlere Spediteur müsse sich auf bestimmte Kompetenzen fokussieren, um sich für die Digitalisierung und die damit einhergehenden Veränderungen zu wappnen, rät van Marwyk. Denn eines stehe schon jetzt fest: Was man heute in der Transportbranche als Gemischtwarenladen antrifft, werde in Zukunft so nicht mehr funktionieren. Speditionen und Transportunternehmen sollten sich also genau überlegen, wie und wo sie wachsen wollen, um den Wegfall bisheriger Erlösquellen zu kompensieren. So könnten Buchungsplattformen für Transportunternehmen mit Eigenfuhrpark schließlich auch zu einem relevanten Vertriebskanal avancieren. Ebenfalls auf der Agenda stehe die Optimierung der Kommunikation mit den Kunden. Nicht zuletzt sollten auch Geschäftsmodell und Wertschöpfung unter die Lupe genommen werden, beispielweise, ob man künftig auf Asset light oder Asset heavy setzt. Mitentscheidend sei zudem eine wettbewerbsfähige Kostenstruktur, um für den weiter ansteigenden Preisdruck gewappnet zu sein. Allzu viel Zeit, das eigene Geschäftsmodell auf den Prüfstand zu stellen, bleibt übrigens nicht. Die Folgen der Disruption könnten bereits in den nächsten drei bis sieben Jahren sichtbar werden, prognostiziert van Marwyk. Neue Impulse fürs Projektmanagement Transformationsprozesse, Redesign von Organisation und Vernetzung sind auch Kerndisziplinen von Professor Ulrich Weinberg, der die HPI School of Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam leitet. "In Zeiten digitaler Transformation müssen sich Unternehmen nicht nur Gedanken machen, wie sie smarte neue Produkte entwickeln, sondern sie müssen auch ihre Organisation auf den Prüfstand stellen", so Weinberg in seiner Keynote zum Auftakt des zweiten Konferenztages. Derzeit rund 120 Studierende aus knapp 70 Disziplinen arbeiten an der HPI School of Design Thinking an verschiedensten Projekten. Kooperierende Unternehmen profitieren somit davon, dass mit einem frischen Blick von außen an ihre ganz spezifischen Problemstellungen herangegangen wird. Darüber hinaus durchlaufen an dem Institut zahlreiche Professionals verschiedene Workshops in Design Thinking. Herzstück der Methode sind ihr integraler Charakter und die Auflösung gewohnter Begrenzungen. So wird in kleinen Teams aus der Perspektive verschiedenster Disziplinen an Problemlösungen gearbeitet - da können der Verkehrsexperte, der Marketingspezialist und der Umweltbeauftragte mit am Tisch sitzen. Oder besser stehen, denn eine weitere Säule des Ansatzes ist die Arbeit in einer flexiblen Umgebung mit eigens designten, idealerweise auf Rollen beweglichen Büromöbeln. Weg von linearen Prozessen lautet das Credo: Verstehen, beobachten, Sichtweisen definieren, Ideen entwickeln, Prototypen entwickeln, testen - und zwar von Tag eins an. "Egal, ob ich eine logistische Fragestellung habe, eine medizinische oder eine juristische - ich kann für alle Prototypen bauen", betont Weinberg. So haben die Studenten im Rahmen eines Logistikprojekts zur Paketbeförderung beispielsweise ein Video gedreht. "Wir sind gerade erst dabei zu begreifen, dass die analoge Welt ein Ende hat, dass sich die Welt radikal verändert", so Weinberg, und verweist auf eine Analogie mit der gedruckten, inzwischen eingestellten Brockhaus-Enzyklopädie auf der einen und Netzwerkstrukturen auf der anderen Seite. Die Technik sei heutzutage schon viel weiter als wir in unseren Köpfen. "Design Thinking ist ein Methodenset, um aus dem alten Denken herauszukommen", resümiert der Keynote-Speaker. Die Anwendertage heißen aber nicht von ungefähr Anwendertage - Praxis-Workshops wurden von spannenden Vorträgen flankiert, in denen Experten den Teilnehmern handfeste Praxistipps mit auf den Weg gaben. So informierte Tilo Schindele von der Rechtsanwaltskanzlei Brennecke und Partner aus Karlsruhe über arbeitsrechtliche Aspekte der Datenaggregation. In seinem Vortrag zur rechtssicheren Einführung von Telematiksystemen ging Schindele insbesondere auf Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmern und die Rolle des Betriebsrats ein und gab Tipps, wie Prämiensysteme auf Basis von Telematikdaten rechtskonform gestaltet werden können. Wie eine rechtssichere Transportlogistik aussieht, verriet Florian Janz von FUMO. Der Anbieter von Compliance-Management-Software gehört wie die VerkehrsRundschau zu Springer Fachmedien. Vorsicht im öffentlichen WLAN Wertvolle Sicherheitstipps im Gepäck hatte Jens Heider vom Fraunhofer Institut für sichere IT, der zum Umgang mit Smartphones und Tablets in Unternehmen referierte. TÜV-Experte Thorsten Rödel garnierte seinen Vortrag zum Thema IT-Sicherheit in Transportunternehmen mit einer Live-Hacking-Einlage. Kostenloses WLAN findet man heutzutage an vielen Orten - so auch im Tagungshotel. Wie schnell Unbefugte Zugriff auf Endgeräte erlangen können, hat wohl so manchen Tagungsbesucher ins Grübeln gebracht. "Wenn Sie gerade ihre Telematikoberfläche aufrufen oder gar Bankgeschäfte tätigen, dann sind Sie möglicherweise schon nicht mehr alleine", mahnte Rödel. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Start-ups www.verkehrsrundschau.de/dossiers Anwendertage Logistik digitalisieren IT für Spediteure und Transportunternehmer Am 5. und 6. Dezember 2017 lud das Wochenmagazin VerkehrsRundschau zu den Anwendertagen "Logistik digitalisieren" nach Bad Homburg. Das Tagungsprogramm umfasste fünf Expertenvorträge und eine Keynote, in neun Praxis-Workshops verrieten Spediteure und Transportunternehmer gemeinsam mit ihrem IT-Partner, wie sie eine konkrete Aufgabenstellung in ihrem Unternehmen mithilfe von neuer Software in den Griff bekommen haben. Am Abend des ersten Kongresstages hatten Teilnehmer, Experten und Aussteller beim gemeinsamen Abendessen zudem die Gelegenheit zum lockeren Networking. Auf der begleitenden Fachmesse präsentierten führende IT-Anbieter ihre Produkte für Speditionen und Transportunternehmen. Mit dabei waren: Astrata, AIS, CSD Transport Software, Fumo, GPSoverIP, Idem Telematics, LIS Logistische Informationssysteme, Logenios, Modulon Webservice, Lost-n-Found, Openmatics, Pure-Lox, Spedion, Tachofresh, Transdata, Transics, Trimble, VR Plus und Qivalon. Kooperationspartner der Veranstaltung waren die Verbände BGL, BWVL und DSVL. mh

Logistik: Neue Start-ups ziehen im Holm ein

Elektro-Lkw für Autotransporte in Österreich

Hafen Kiel: Rückgang beim Frachtaufkommen

Kraftstoffe: Preise steigen fünfte Woche in Folge

VW legt Tank- und Ladekartengeschäft zusammen

Alle Schlagzeilen

Sich für die Disruption in Stellung bringen

HASHTAG

#Start-up

Who is Who Logistik: Das sind die Logistik-Trends 2018

Hermes liefert mit Pakadoo private Pakete ins Büro

Intelligente Jobbörse erfolgreich gestartet

MEISTGELESEN

Brenner-Route: Österreich beschließt Samstagsfahrverbot

Italienische Autobahnen: erhöhte Mautgebühren auf 2800 Kilometer

Lkw-Fahrermangel 2025: 39 Prozent der Fahrer stehen kurz vor der Rente

WEITERLESEN

NEWSLETTER