Schwere Zeiten für Europa

Es lässt sich nicht mehr leugnen: Die europäische Idee und die Europäische Union (EU) als Raum der Freiheit und des Freihandels, aber auch des Friedens haben an Strahlkraft und Attraktivität erheblich eingebüßt. In vielen Ländern können Menschen dem Gedanken eines einigen Europas und einer EU nichts mehr oder nur noch wenig abgewinnen. Rechtspopulisten gewinnen an Zulauf. Dies gilt nicht nur in Deutschland, wo die AfD immer schrillere antieuropäische Töne anschlägt. Auch im europäischen Ausland und selbst jenseits des Atlantiks sind verstärkt antieuropäische Stimmen zu hören. Der neue US-Präsident Donald Trump hat dezidiert gegen die EU Stellung bezogen und den britischen Austritt aus der Gemeinschaft begrüßt und als klug bezeichnet. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat diesen "Wandel in Washington" als brandgefährlich für die EU bezeichnet. Rechtspopulisten auf dem Vormarsch Nationalistische und protektionistische Töne und nicht zuletzt auch Anti-EU-Parolen hört man allerdings auch aus verschiedenen europäischen Hauptstädten. Die EU wird als Wurzel allen Übels betrachtet. Großbritannien hat hieraus schon die Konsequenz gezogen und für den Brexit gestimmt. In Ungarn und Polen bestimmen Regierungen die Landesgeschicke, die sich zumindest in Teilen nicht mehr an europäischen Grundsätzen und Werten orientieren wollen. Bei den anstehenden Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich, aber auch in Italien haben die Rechtspopulisten zumindest die Lufthoheit über den Stammtischen erobert. In Italien werden die EU und namentlich Deutschland für die anhaltende italienische Wirtschaftsschwäche verantwortlich gemacht. In Frankreich liegt derzeit die rechtspopulistische Marine Le Pen mit ihrem "Front National" in den Meinungsumfragen - zumindest für den ersten Wahlgang der im Frühjahr 2017 anstehenden Präsidentschaftswahl - weit vorne. Zwar ist immer wieder zu hören, im zweiten Wahlgang gegen einen gemäßigten Gegner wie Macron würde Le Pen verlieren. Gewissheit besteht freilich nicht. Schafft es Le Pen in den Élysée-Palast, würde ein Austritt Frankreichs aus dem Euro und der EU immer wahrscheinlicher. Dies wäre möglicherweise das Ende nicht nur der Gemeinschaftswährung, sondern auch der EU, wie wir sie heute kennen. Protektionistische Regierungen in den USA, Frankreich und den Niederlanden: Das sind nicht nur Menetekel für die EU, sondern auch für Deutschland, handelt es sich bei diesen Ländern doch um die drei größten Handelspartner der deutschen Wirtschaft. Deutschland braucht die EU und den freien Handel. Der neue Außenminister Sigmar Gabriel betonte dieser Tage zu Recht, dass wir ein stärkeres, besseres Europa brauchen. Zwar nicht in dem Sinne, dass alle Bereiche der Politik vergemeinschaftet und sämtlich in Brüssel entschieden würden. Den großen Fragen und Herausforderungen unserer Zeit könne sich Europa aber nur erfolgreich stellen, wenn gemeinsam Verantwortung übernommen und gemeinsam gehandelt würde. Dem ist beizupflichten. Nationale Alleingänge nehmen zu Frieden und Freiheit sind Begriffe, die nicht nur in der Außen- und Sicherheitspolitik eine zentrale Bedeutung einnehmen, sondern auch für den Handel und die Mobilität. Die freie Mobilität ist bereits jetzt durch beispielsweise eigenwillige Interpretationen europäischer Bestimmungen über die Arbeitnehmerentsendung gefährdet. Nachdem Deutschland mit dem Mindestlohngesetz den Anfang gemacht hat, sind andere Staaten wie Frankreich, Österreich und Italien gefolgt und verlangen jeweils die Voranmeldung von Arbeitnehmern, die im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr einreisen oder Kabotage betreiben. Das Dickicht der unterschiedlichen Anmeldeformalitäten wird vielfach als quasiprotektionistische Maßnahme empfunden, selbst wenn sie auch dem prinzipiell positiven Ziel der Bekämpfung des Sozialdumpings dienen sollen. Nationale Alleingänge drohen auch bei der Interpretation der Sozialvorschriften (Stichwort: regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im oder am Lkw). Hier darf es kein Auseinanderfallen der Rechtslage in den EU-Mitgliedstaaten geben. Brüssel sollte hier eine Initiative ergreifen und für klare, europa-einheitliche Verhältnisse sorgen. Dies dient nicht zuletzt auch der Planungssicherheit der Transportbranche. Diese braucht verlässliche - europäische - Rahmenbedingungen. In der Transportbranche weiß man, dass ein einiges Europa unerlässlich ist für stabile Märkte. Dies darf auch bei der Bundestagswahl im September nicht aus den Augen verloren werden. Die Parteien werden sich daran messen lassen müssen, ob sie einen fairen Wettbewerb in einem freien, geeinten Europa wollen. Bis dahin werden die "Schicksalswahlen" in Deutschlands Nachbarländern gelaufen sein. Es bleibt zu hoffen, dass die europäischen Wähler nicht den Verlockungen der populistischen Vereinfacher erliegen. Sonst drohen Europa schwere Zeiten. Auch Brüssel ist gefordert Die Mobilität in der Europäischen Union leidet derzeit unter nationalen Alleingängen, zum Beispiel bei Fragen der Arbeitnehmerentsendung oder bei der Auslegung der EU-Sozialvorschriften. Brüssel muss für Rechtsklarheit sorgen.