Hamburg/Bremen. Die ausufernde Piraterie am Horn von Afrika und inzwischen auch Teilen des Indischen Ozeans sorgen bei den deutschen Reedereien für eine wachsende Sorge, aber auch für einen zunehmenden Unmut gegenüber der Bundesregierung. Letzterer entfacht sich vor allem am Vorschlag des Maritimen Koordinators, Hans-Joachim Otto (FDP), wonach die deutschen Reeder, um die Piratenbedrohung zu verringern, alternative Schifffahrtsrouten wählen sollten. Im Verkehr von und nach Asien sollten sie daher den Suezkanal meiden und statt dessen die Frachter um Afrika herum fahren lassen. Das verlängere die Seereise zwar um eine gute Woche. Dem stünden aber neben einem geringeren Sicherheitsrisiko auch die Einsparung der Suezkanalpassage, aufwändiges technisches Nachrüsten der Schiffe mit passiven Schutzeinrichtungen sowie geringere Versicherungsprämien gegenüber, sagte Otto jetzt bei verschiedenen Gelegenheiten in Norddeutschland, so beispielsweise beim ersten Liberalen Hafen Forum Hamburg der FDP.
Bundespolizei ist logistisch auf Piraterie-Schutz nicht vorbereitet
Otto fordert die Reeder auf, diese Option, "die zu meinem Erstaunen bisher nicht ausreichend diskutiert und abgewogen wurde", doch ernsthaft zu prüfen. Nationale Sicherheitskräfte an Bord von Schiffen unter deutscher Flagge sind für ihn kein Thema. Zum einen, weil die Bundespolizei darauf "logistisch" gar nicht vorbereitet sei. So müssten nach Aussagen von Fachleuten pro Passage zwischen zehn bis zwölf Mann solcher Schutzkräfte übernommen werden. Zudem dürften Bundespolizisten nach geltender Rechtslage "nur auf Schiffen unter deutscher Flagge" mitfahren und nicht auf Frachtern deutscher Reeder unter anderen Flaggen. Schließlich dürften bewafftnete Bundespolizisten nicht in andere Häfen einfahren. Aus Gesprächen mit den Gewerkschaften und der Deutschen Seemannsmission sei ihm zudem bekannt, dass diese "bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord strikt ablehnen, weil das eine Gefährdung der Seeleute" nach sich zöge.
Für Thorsten Mackenthun, Vorsitzer des Bremer Rhedervereins, ist eine großräumige Umfahrung des pirateratengefährdeten Seegebietes nicht nachvollziehbar und für die meisten Reedereien "nicht praktikabel". Mackenthun: "Die Sperrung des Indischen Ozeans und des Suez-Kanals sind vergleichbar mit der Forderung, das mitteleuropäische Autobahnnetz weiträumig zu umfahren." Die durch das sogenannte Re-Routing entstehenden Zusatzkosten gingen schnell in die Milliarden US-Dollar. Im Übrigen würden Piraten, die Reederchef Mackenthun mit "Terroristen" gleichsetzt, sehr schnell ihre "verbrecherischen" Aktivitäten auch schnell in den vermeintlich sicheren Seegebieten enftfalten.
Bremer Reeder: Schutz von Seeleuten darf nicht von der Flagge abhängig sein
Tief verärgert ist der Bremer Reeder-Verband auch darüber, dass der Maritime Koordinator die Schutzmöglichkeiten der Bundesregierung von der Frage, ob das Schiff unter deutscher Flagge oder einer anderen Flagge fahre, abhängig macht. Mackenthun gereizt: "Seit wann sind das Leben und die Würde unserer Besatzungsmitglieder abhängig von der Flagge, unter denen ihre Schiffe fahren?" Es gäbe ausreichend Beispiele "anderer demokratischer Staaten wie Frankreich oder Japan", die Sicherheitsabkommen zwischen der Marine und der Handelsschifffahrt abgeschlossen haben. Danach würden die Schiffe und ihre Besatzung ohne Berücksichtigung der Flagge geschützt. Mackenthun fordert von der Bundesregierung, dass sie endlich ihrer Pflicht nachkomme, "die deutsche Handelsschiffahrt zu schützen". Das Grundgesetz und auch das Internationale Seerechtsübereinkommen beinhalteten klar "den Schutz der Handelsschifffahrt vor Piraten". Vom Maritimen Koordinator fordert der Bremer Reeder, sich zu dem wichtigen Thema Piraterie künftig erst dann zu äußern, wenn er sich zuvor bei den Beteiligten "kundig" gemacht habe, "bevor er in der Öffentlichkeit Äußerungen von sich gibt, die sachlich schlichtweg falsch und unpraktikabel sind", so Mackenthun weiter.
Senator Martin Günthner: Bundesregierung lässt Reeder im Regen stehen
Auch Bremens Häfen- und Wirtschaftssenator Martin Günthner (SPD) sieht die Bundesregierung dringend gefordert. Er habe den Eindruck, als habe sich diese "in einem selbst gelegten rechtlichen Netz gefangen". Und weiter: "Was übrig bleibt, sind Vorschläge, die die Lasten des Problems auf die Reeder und letztlich auf die gesamte Wirtschaft abwälzen. Das darf nicht sein", so Günthner, der zugleich einräumt, dass zur Lösung des Piratenproblems im Indischen Ozean kein "Patentzrezept" vorläge.
Der Hamburger Reeder Hermann Ebel von der Hansa Treuhand-Gruppe, berichtete gegenüber der VerkehrsRundschau, dass das Piraterie-Thema die Besatzungen, wenn sie das gefährdete Seegebiet durchqueren, mittlerweile "richtig unter Stress" setzen. Ebel: "Mir hat kürzlich ein Kapitän gesagt: Wir haben Stress bis Südindien, dann kann ich mal kurz ausschlafen, bevor wir uns der Straße von Malakka nähern. Denn dort gibt es ja das nächste Piratenproblem." Auch Ebel stellt den Sinn nach einer deutschen Flagge in Frage, wenn die Reeder selber zusehen müssen, wie sie den Schutz ihrer Schiffe und Besatzungen vor Piraten geregelt bekommen. (eha)