Ohne Klage kein Geld

Fragen kostet zwar nichts, bringt zuweilen aber auch nichts ein. Das begreifen derzeit immer mehr Unternehmer, die zwischen 1997 und 2011 Lkw von Daimler, MAN, Iveco, DAF oder Volvo/Renault angeschafft haben. Gespräche über eine außergerichtliche Einigung mit den Herstellern, die jahrelang ein Kartell gebildet haben und im vergangenen Sommer von der EU-Kommission eine Milliardenstrafe aufgebrummt bekommen haben, brachten bisher keinen Schadensersatz. Deshalb erwägt ein Teil der Geschädigten, vor Gericht zu gehen. Die große Klagewelle dürfte im Laufe des Jahres anrollen. Deren Ausmaß zeichnet sich jetzt schon ab. An zwei Gerichten liegen Klagen vor Vor dem Landgericht Stuttgart sind kürzlich erste Schadensersatz-Forderungen gegen die Beteiligten des Lkw-Kartells eingegangen. Bislang lägen sechs Klagen von einer Kommune sowie von verschiedenen Speditionen vor, sagte ein Sprecher. Diese seien über den Jahreswechsel eingegangen. Die Klagen richten sich nicht nur an den in Stuttgart ansässigen Nutzfahrzeughersteller Daimler, sondern auch an MAN, schließlich haften die Lkw-Kartellanten gesamtschuldnerisch. Die Schadenssummen belaufen sich auf 6000 bis 3 Millionen Euro. Zeitgleich erreichten das Landgericht München erste Klagen gegen MAN und Iveco. In Bayerns Landeshauptstadt befinden sich der Hauptsitz beziehungsweise die deutsche Vertriebszentrale dieser Hersteller. Bis wann Geschädigte sich rühren müssen, um zu verhindern, dass ihre Ansprüche aus den Kartelljahren 1997 bis 2011 verfallen, ist unter Experten umstritten. Die über den von der Speditions-, Transport- und Logistikbranche gegründeten Wettbewerbsverein in Köln organisierten Unternehmer gehen etwa davon aus, dass die Verjährung erst im Dezember dieses Jahres beginnt. Sie wollen anhand von Beispielen zunächst Gutachten über den durchschnittlichen Schaden erstellen lassen. Diese sollen als Basis für Vergleichsverhandlungen oder Klagen dienen. Ansichten zur Verjährung sind geteilt Christian Langbein, Rechtsanwalt in der Kanzlei SGP, geht hingegen davon aus, dass die Frist für die Verjährung der Schadenersatzansprüche am 19. Januar 2017 begonnen hat. Er vertritt mehrere Speditionen, die vor dem Landgericht Stuttgart unter anderem gegen Daimler geklagt haben. Deshalb sei Schnelligkeit geboten gewesen, sagt er. Sein Vorgehen gegen die Lkw-Kartellanten ähnelt dem der anderen Fälle, in denen Unternehmer klagen. Um in einer Gerichtsverhandlung besser argumentieren zu können, will Langbein von einem Gutachter herausfinden lassen, inwiefern seine Mandanten zu viel gezahlt haben. "Das ist nicht bloß als taktisches Mittel wichtig, sondern auch als Grundlage, um die angemessene Höhe der Forderung schätzen zu können", erklärt er. Sollte die gegnerische Partei die Ergebnisse bestreiten, liegt es der Zivilprozessordnung zufolge im Ermesssen des Gerichts, bei der Schadensermittlung erneut die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen. Streitgenossenschaft kann sinnvoll sein Dass Unternehmer oder Verbände eine einvernehmliche Lösung ohne Richterspruch mit den Lkw-Kartellanten finden, bezweifelt Langbein. Auch Stefanie Rabenau ist dieser Ansicht. Die Rechtsanwältin der Kanzlei Bub, Gauweiler & Partner vertritt zwei mittelständische Speditionen aus Brandenburg und Bayern vor den Landgerichten in Stuttgart und in München im Rechtsstreit mit Daimler beziehungsweise MAN und Iveco. "Die Hersteller spielen auf Zeit und zahlen meiner Meinung nach nur, wenn sie müssen", erläutert sie deren Mauertaktik. Mit Verhandlungen in Stuttgart und München rechnet Rabenau frühestens zum Ende dieses Jahres. Sie hält es bei kleineren Transport- und Speditionsunternehmen für sinnvoll, wenn sich mehrere Geschädigte in einem Verfahren zusammenschließen. Das spare Anwalts- und Gerichtskosten. Voraussetzung dafür ist, dass das Gericht dies als zweckmäßig erachtet, weil alle wegen desselben Rechtsverstoßes gegen denselben Anspruchgegner klagen. Denkbar sei auch, sich an einem anderen Gutachten zu beteiligen, das schon in Arbeit ist und dafür einen Beitrag zu zahlen, erklärt die Juristin. Das gelte zumindest in solchen Fällen, in denen es sich jeweils um die gleichen oder vergleichbare Fahrzeuge handele. Die Kanzlei Dr. Späth & Partner Rechtsanwälte weist überdies darauf hin, dass grundsätzlich die Möglichkeit besteht, Ansprüche an eine sogenannte Klägergesellschaft abzutreten. Der Vorteil hierbei: Die Fälle können völlig ungleich gelagert sein und es können auch verschiedene Anspruchsgegner angegangen werden, soweit ein einheitlicher Gerichtsstand besteht. Letzteres Modell verursache in jüngster Zeit aber immer wieder steuerrechtliche Probleme, weshalb es einer besonders sorgfältigen anwaltlichen Gestaltung bedürfe. Kostenrisiken würden in jedem Fall minimiert und Wissen gebündelt. Sammelklagen gibt es hingegen im deutschen Kartellrecht nicht. Rabenau rechnet damit, dass aufgrund der voraussichtlichen Vielzahl der gerichtlichen Auseinandersetzungen mit den Lkw-Kartellanten ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr jeder Kläger seinen individuellen Schaden in einem Verfahren nachweisen muss. "Richter könnten sich damit zufriedengeben, dass bereits Zahlen gutachtlich belegt vorliegen, und auf dieser Datenbasis den jeweiligen Schaden schätzen", sagt sie. Genaue Summen kaum zu beziffern Auf welche Rückzahlungen die Geschädigten hoffen können, vermag Langbein nicht zu sagen. Da bisher weder Gutachten zur durchschnittlichen Höhe der vom Lkw-Kartell verursachten Schäden vorliegt, noch ein Gericht über Forderungen aus dem Güterverkehrsgewerbe entschieden hat, ist der Rechtsanwalt vorsichtig. "Derzeit lassen sich keine seriösen Aussagen machen", erklärt der geschäftsführende Gesellschafter der Kanzlei SGP Rechtsanwälte. An den derzeitigen Spekulationen, wonach Lkw-Käufer und -Mieter zwischen 10 und 20 Prozent des Bruttolistenpreises zu viel gezahlt haben könnten, möchte er sich nicht beteiligen. "Diese Zahlen stammen aus Studien und anderen Kartellentscheidungen - allerdings ist jeder Fall anders." Die tatsächliche Höhe des Schadensersatzanspruches hänge zum Beispiel von der Menge der angeschafften Fahrzeuge sowie den zwischen den Parteien vereinbarten Rabatten ab. Andere Rechtsanwälte sind wesentlich auskunftsfreudiger. Die Kanzlei Mingers & Kreuzer und die Kanzlei Rössner gehen ausgehend von 80.000 Euro an Anschaffungskosten pro Lkw davon aus, dass betrogene Käufer im Durchschnitt cirka 12.000 Euro an Schadensersatz verlangen können. Mingers & Kreuzer betreut aktuell deutschlandweit rund 600, Rössner vertritt ungefähr 150 geschädigte Unternehmer. "Wir rechnen damit, dass im Laufe des Jahres noch viele Unentschlossene kurzfristig aktiv werden, sodass es dann mit Blick auf die Verjährungsfrist im Dezember darauf ankommen wird, den Betroffenen eine zügige Beteiligung an einer Begutachtung und einer Prozessfinanzierung anbieten zu können", betont Georg Jäger, Rechtsanwalt der Kanzlei Rössner. Juristen kritisieren Bündelungsmodelle Der vom Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) unterstützte Wettbewerbsverein hält zunächst an dem außergerichtlichen Vermittlungsversuch fest. Rund 190 Speditions-, Transport- und Logistikunternehmer mit über 8500 Lkw haben ihre Interessen an die Organisation abgetreten. Langbein sieht solche Initiativen skeptisch. "Bündelungsmodelle bringen nichts", sagt der Rechtsanwalt von der Kanzlei. Letztlich laufe es auf Klagen hinaus, wobei jeder Betroffene den individuellen Schaden gerichtlich geltend machen müsse. "Der womöglich in einem Gutachten ermittelte durchschnittliche Schaden der Interessengemeinschaft nützt dann wenig", sagt der Experte. Darauf würden sich die Hersteller nicht einlassen, wenn es vor Gericht um einen Vergleich gehe. Er geht davon aus, dass in solchen Fällen weitere Gutachterkosten fällig werden. Mit dieser Meinung ist der Jurist nicht allein. Dennoch hält der Großteil der Geschädigten noch an der Strategie fest, ohne Richterspruch zum Erfolg zu kommen. Auch die meisten Gewerbevertreter probieren es bisher mit warmen Worten. BGL empfiehlt den Klageweg Einen anderen Weg geht inzwischen der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL). Vergangene Woche stimmten die Geschäftsführer der Landesverbände über das weitere Vorgehen gegen die Lkw-Kartellanten ab: Klagen sollen erzwingen, was Bitten nicht erreicht haben. Daimler, MAN und Co. waren nicht auf ein Verhandlungsangebot eingegangen, das der Transportverband ihnen im Dezember vergangenen Jahres unterbreitet hatte. "In dem Antwortschreiben hieß es, sie könnten keinen Schaden erkennen", sagt Pressesprecher Martin Bulheller. Die Lkw-Hersteller müssen sich möglicherweise mit Klagen von 411 BGL-Mitgliedern auseinandersetzen, die im Kartellzeitraum knapp 10.000 Fahrzeuge angeschafft haben. Darüber hinaus haben weitere spezialisierte Kanzleien Mandate aus dem Güterverkehrsgewerbe erhalten. Zum Beispiel die Anwaltskooperation Lkw-Kartell, mit deren Hilfe der Unternehmensverband Logistik Schleswig-Holstein, der Verband Straßengüterverkehr und Logistik Hamburg sowie der Landesverband Verkehrsgewerbe Bremen nochmals Hunderte betroffene Unternehmer beim Rechtsstreit mit den Herstellern unterstützen. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis die nächsten Klagen an einem Landgericht eingehen. "Die bisher bekannten Fälle, von Geschädigten, die sich wehren, das ist sicher erst die Spitze des Eisberges", ist sich Rechtsanwalt Mingers sicher. Mehr finden Sie im Dossier Wirtschaftsrecht www.verkehrsrundschau.de/dossiers Schadenverzinsung Wussten Sie schon,...? ...dass der kartellbedingte Preisaufschlag ab Eintritt des Schadens zu verzinsen ist? Wie jetzt die Kanzlei Buse, Heberer und Fromm informierte, enthält das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) seit einer Novelle im Jahr 2005 klägerfreundliche Sonderregelungen. Der Verzugszinssatz beträgt demnach für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Dadurch dürften sich die Ersatzansprüche für Schäden früher Kartelljahre vervielfachen.Das Einleiten eines Verfahrens gegen die Kartellbeteiligten durch die EU-Kommission oder nationale Behörden wie das Bundeskartellamt hat die Verjährung der Ansprüche für die Dauer des Verfahrens und noch sechs Monate darüber hinaus gehemmt. Ab wann genau die ersten Ansprüche verfallen, ist umstritten. ag Vorgehen gegen Lkw-Kartell Wer kann überhaupt klagen? Zum Kreis der Geschädigten gehören alle, die in der Zeit von 1997 bis 2011 einen mittelschweren (6 bis 16 Tonnen Nutzlast) oder schweren (über 16 Tonnen Nutzlast) Lkw von einem der folgenden Hersteller abgenommen haben: MAN, Daimler, Volvo/Renault, Iveco und DAF. Bezüglich Scania ist der Kartellverstoß von der EU-Kommission bisher nicht bestätigt, weil sich der Hersteller noch wehrt.Klagen können sowohl Käufer als auch Leasingnehmer. "Zum einen waren die Kaufpreise deutlich zu hoch und zum anderen die entsprechenden Leasingraten, die sich nach dem Anschaffungswert des Lkw richten", erklärt Markus Mingers, Inhaber der Kanzlei Mingers & Kreuzer. Die Kartellanten haften gesamtschuldnerisch. Das bedeutet, wer im Kartellzeitraum Fahrzeuge des straffrei ausgegangenen Kronzeugen MAN gekauft oder geleast hat, kann sich mit seiner Forderung also auch an die übrigen Adressen wenden. Zahlen die bestraften Hersteller nicht freiwillig, können die Betroffenen ihre Ansprüche einklagen. Die Gerichte sind an den Bußgeldbescheid der EU-Kommission gebunden. Sie müssen nicht mehr feststellen, ob kartellrechtliche Verstöße vorliegen. Der Fokus ihrer Arbeit liegt auf der Feststellung des jeweiligen Schadens. Deshalb ist vorab ein Gutachten wichtig.ag

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