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Neue Risiken für die Lieferketten und den Logistik-Standort Deutschland

24.03.2023 13:30 Uhr | Lesezeit: 3 min
Internationale Distribution von Versandprodukten aus der Welt Warehouse Management Technologie und Logistik Industrie Hintergrund.
Symbolbild: Attraktiver als der Standort Deutschland erscheinen den meisten Befragten Nordamerika (56%), Osteuropa (46%) und Südostasien (29%)
© Foto: iStock/ coffeekai

Mehr als die Hälfte der Befragten eines aktuellen Deloitte-Surveys sind der Ansicht, dass ihr Unternehmen durch Lieferkettenprobleme wie Störungen oder Unterbrechungen in den Informations-, Finanz- oder Warenflüssen aktuell stark oder sehr stark beeinträchtigt wird. Nordamerika und Osteuropa erscheinen vielen Firmen attraktiver als Deutschland.

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Die weltweiten Lieferketten zeigen Anzeichen der Entspannung, doch diese Entlastung kommt bei den Unternehmen in Deutschland kaum an. Mehr als die Hälfte (53%) der Befragten eines aktuellen Deloitte-Surveys sind der Ansicht, dass ihr Unternehmen durch Lieferkettenprobleme wie Störungen oder Unterbrechungen in den Informations-, Finanz- oder Warenflüssen aktuell stark oder sehr stark beeinträchtigt wird. Dabei ist die Bewertung des eigenen Unternehmens oft optimistischer als die der Wettbewerber. Mit Blick auf die gesamte Branche sehen 60 Prozent eine starke oder sehr starke Beeinträchtigung. 46 Prozent sehen sogar ein steigendes Risiko, dass ihre Lieferkette vollständig oder teilweise ausfällt. Die befragten Unternehmen stammen überwiegend aus den Branchen Maschinenbau/Industriegüter, Automobil und Chemie.

Zwar sind Rohstoffe und Bauteile wieder besser verfügbar als im vergangenen Jahr, doch die Lieferengpässe haben zu dauerhaft hohen Einkaufspreisen geführt. 77 Prozent der Firmen bekommen etwas oder gar deutlich steigende Einkaufspreise zu spüren, während der Umsatz für 61 Prozent konstant bleibt oder sinkt. Entsprechend geraten die Margen unter Druck: Lediglich 20 Prozent der Befragten erleben angesichts der nachwirkenden Belastungen ihrer Lieferketten etwas oder deutlich steigende Gewinne. Bei 80 Prozent bleiben die Gewinne konstant oder sinken, zum Teil deutlich. Und kurzfristig ist kaum Besserung zu erwarten.

Standort Deutschland hat bereits an Attraktivität verloren

"Die anhaltende Belastung der Unternehmen insbesondere durch die hohen Preise, die Inflation und - vor allem in Deutschland - durch die hohen Energiepreise sind ein Risiko für den Standort", sagt Florian Ploner, Partner bei Deloitte und verantwortlich für den Sektor Industrial Products & Construction. "Die Unternehmen sind gut beraten, ihre Kosten effizient zu managen, Partnerschaften auszubauen und neue Technologien in einer nach geopolitischen Risiken ausgerichteten Lieferkette einzusetzen."

Tatsächlich hat der Wirtschaftsstandort Deutschland nach Ansicht von 52 Prozent der Befragten in den vergangenen Jahren bereits an Attraktivität verloren. Und auch in Zukunft sehen die Unternehmen wenig Grund für Optimismus: In den kommenden drei Jahren rechnen 58 Prozent damit, dass die Attraktivität Deutschlands im Vergleich zu führenden Industriestandorten weiter sinkt, bis hin zu einer möglichen Deindustrialisierung: Fast jeder zweite Befragte (45%) schätzt die Gefahr, dass sich Deutschland deindustrialisiert, als groß bis sehr groß ein.

Zahlreiche Unternehmen reagieren auf die aktuelle Situation mit der Verkürzung oder Verlagerung ihrer Lieferketten. 37 Prozent der Befragten haben mit so genanntem Nearshoring begonnen oder diese Maßnahme bereits umgesetzt; weitere 29 Prozent planen, sie zu ergreifen. Friendshoring, also die Verlagerung von Teilen der Lieferkette in befreundete Länder, haben 22 Prozent begonnen oder bereits umgesetzt (geplant: 33%).

Attraktiver als der Standort Deutschland erscheinen den meisten Befragten Nordamerika (56%), Osteuropa (46%) und Südostasien (29%). Die meistgenannten Länder sind dabei die USA, Polen, Vietnam, Indien und Brasilien. Als Grund für die Verlagerung des Standorts spielen geringere Regulierung und Energiesicherheit (in Nordamerika), niedrige Arbeitskosten und gute Anbindung (in Osteuropa) sowie Vorteile bei den Produktionskosten (in Südostasien) eine wesentliche Rolle.

Feuer löschen statt digitalisieren

"Die Situation an der Lieferkette ist nach wie vor angespannt, auch wenn das für die Verbraucher inzwischen nicht mehr so deutlich zu spüren ist wie in 2022", sagt Dr. Jürgen Sandau, Partner bei Deloitte und verantwortlich für den Bereich Supply Chain & Network Operations. "Viele Firmen reagieren mit kurzfristigen Feuerlöschmaßnahmen, um die aktuelle Situation zu bewältigen." So haben

68 Prozent der Befragten die Ausweitung ihrer Lagerhaltung begonnen oder bereits abgeschlossen; 59 Prozent nutzen Sonderfahrten zur Beseitigung kurzfristiger Versorgungsstörungen. "Kostspielige Maßnahmen wie diese sind jedoch wenig zukunftsorientiert und kaum geeignet, die Lieferketten dauerhaft resilient zu machen für weitere Krisen sowie die großen Herausforderungen unserer Zeit wie die Dekarbonisierung", so Sandau. "Stattdessen belasten sie die Bilanzen der Unternehmen zusätzlich zu den ohnehin schon hohen Preisen."

Kurzfristig könnten sie für viele Unternehmen jedoch das Mittel der Wahl bleiben. 75 Prozent der Befragten rechnen für die kommenden drei Monate nicht mit einer Veränderung der Situation beziehungsweise mit einer leichten bis starken Verschlechterung. "Mittel- bis langfristig wird der Ausblick besser", meint Sandau, "jedoch nur dann, wenn die Unternehmen die eigentlichen Ursachen angehen und sich strukturell fit machen, bevor die nächste Krise vor der Tür steht. Die Möglichkeiten der Digitalisierung zur nachhaltigen Stabilisierung von Lieferketten werden hierbei leider immer noch zu wenig genutzt." 

Für den Supply Chain Pulse Check hat Deloitte im Januar und Februar rund 120 Lieferketten-Verantwortliche von Unternehmen in Deutschland befragt, vorwiegend aus den Branchen Maschinenbau/Industriegüter, Automobil und Chemie. Eine deutliche Mehrheit der Befragten (79%) sind Vertreter von Großunternehmen mit 250 oder mehr Mitarbeitenden oder einem Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen Euro.

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