Mittelstand: Droht Ausverkauf?

Im Transport- und Speditionsgewerbe rumort es. "Viele Unternehmenschefs sind im Moment erschöpft. Die vielen Herausforderungen der letzten Jahre haben sie schlichtweg zermürbt", weiß Hans-Peter Häberle, Geschäftsführer Spedition Ludwig Häberle Logistik in Schwäbisch Gmünd. Zu nennen seien da natürlich die Corona-Pandemie, erläutert er, der zehrende Fachkräfte- und Fahrermangel, nun der Krieg in der Ukraine und vor allem die große Unsicherheit, wann und wie es überhaupt wieder weitergeht. "Und die explodierenden Dieselpreise bringen jetzt bei vielen das berühmte Fass zum Überlaufen", sagt Häberle, der mit seinem Bruder die baden-württembergische Spedition führt. "Wir werden aber für unser Unternehmen weiter kämpfen. Wir haben auch Kinder, die die Firma weiterführen wollen, und tolle junge Leute. Das tut uns gut, und das macht Mut", betont er. Wenn aber Unternehmer diese Perspektive für ihren Betrieb eben nicht mehr sehen, dann verkaufen die, wenn ein gutes Kaufangebot vorliegt. "Und nachvollziehbar ist das - nach dem ganzen Chaos der letzten zwei Jahre", erklärt Häberle. Auch er selbst erhalte Angebote, die seine Spedition übernehmen wollen - sowohl von Konzernen als auch von Mittelständlern aus dem Ausland, die in Deutschland ein eigenes Netzwerk anstreben. "Das hat deutlich zugenommen." Schweizerische Post will zukaufen Prominent auf Einkaufstour ist zum Beispiel in diesem Jahr die Schweizerische Post. "Wir wollen ganz klar in der Logistik wachsen, organisch, aber auch über Zukäufe von Unternehmen", bestätigt Dieter Bambauer, Vorsitzender der Geschäftsleitung Güterlogistik der Schweizerischen Post, gegenüber der VerkehrsRundschau (siehe S. 26). So übernahmen die Schweizer schon in diesem Jahr allein in Baden-Württemberg den Cargoline-Gesellschafter Spedition Hugger in Aldingen und das Logistic Center Villingen (LCV) in Villingen-Schwenningen. Bächle, Hugger, OSA und Ost-West Cargo - über alle diese Speditionen ist also mittlerweile die Schweizerische Post hierzulande mit eigenen Speditionsaktivitäten präsent. Und der Hunger der Schweizer scheint noch nicht gestillt. "Im Moment ist sehr viel los im Markt", bestätigt Ralf Jahncke, Gründer und Geschäftsführer der Logistikberatung TransCare in Wiesbaden. "Zum einen tragen sich sehr viele Firmenchefs kleiner und mittlerer Transport- und Speditionsbetriebe mit dem Gedanken, jetzt zu verkaufen", stellt Jahncke fest. Auf der anderen Seite nehme die Zahl kaufwilliger Unternehmen zu - zumeist globale Speditionsund Logistik-Player, die sich nun durch gezielte Zukäufe entweder geografisch oder komplementär ergänzen wollen, alternativ auch Zugang zu Speditionsnetzen suchen. "Kauf- und Verkaufs-Mandate von Betrieben halten sich bei uns derzeit die Waage. Kauf-Gesuche und Verkaufs-Wünsche treffen also parallel aufeinander." Klar ist aber auch: "Die Unternehmen wollen keine Sanierungsfälle kaufen. Die bekommt man nur zum Substanzwert weg", weiß Marktkenner Jahncke. "Firmen dagegen, die in den letzten zwei Jahren gute Ebitda-Margen von etwa zehn Prozent und mehr erreicht haben, erzielen derzeit sehr gute Verkaufspreise. Die sind aktuell deutlich teurer als noch vor wenigen Jahren." Trotzdem warnt er verkaufswillige Firmenchefs vor überhasteten Entscheidungen: "Ein Verkauf will gut überlegt sein. Bei solchen Transaktionen können viele Fehler gemacht werden, typischerweise bei der Definition der Earn-Out-Klausel, sprich dem Anteil des Kaufpreises, der erfolgsabhängig zu einem späteren Zeitpunkt bezahlt wird." Stolperfalle sei erfahrungsgemäß immer auch die Bemessung des Unternehmenswertes - von maßloser Überschätzung bis deutlicher Wert-Unterschätzung - die Skala sei da sehr breit, weiß Jahncke. Größer werden, um zu überleben "Größer oder kleiner werden? Das war auch für uns die Frage, die wir uns gestellt haben", sagt Karlhubert Dischinger, als er seinem Sohn Karlkristian Dischinger die Verantwortung des Speditions- und Logistikunternehmens Karldischinger in Ehrenkirchen übergab. "Um als eigenständiges Familienunternehmen zu überleben, haben wir uns für den Weg nach vorne entschieden. Das bedeutet, dass wir größer werden müssen", betont er. Das Wachstum gebe es indes nicht um jeden Preis, kleiner wolle die inhabergeführte Spedition aber ganz sicher nicht werden. Maxime sei die qualifizierte Entwicklung. Leicht sei Dischinger diese Entscheidung nicht gefallen, räumt er unumwunden ein. Denn Zeit seines Lebens sei er immer davon überzeugt gewesen, dass auch kleinere Mittelständler in der Logistik wettbewerbsfähig sind. "Doch leider wandelt sich dies seit einiger Zeit", stellt der Geschäftsführer fest. "Die Auftraggeber werden immer größer und neutraler und wollen vermehrt mit größeren Partnern arbeiten." Aus teilweise nachvollziehbaren Gründen, meint er. So würden in größeren Firmen und Konzernen immer mehr Management-Ebenen abgebaut. Um also deren eigene Komplexität zu reduzieren, seien Entscheider nahezu dazu gezwungen, mit größeren zu arbeiten - auch in der Logistik. Exodus im Transportgewerbe "Wenn wir als Mittelständler also im Spiel bleiben wollen, müssen wir in der Lage sein, uns immer tiefer in die Wertschöpfung unserer Kunden einzubringen", betont Dischinger. "Die Entwicklung ist somit praktisch vorgegeben - auch über mögliche Zukäufe." Das sei die Strategie seines Sohnes Karlkristian, und diese trage er vollumfänglich mit. So habe sein Unternehmen in letzter Zeit kleinere Firmen integriert, und im Juli werde Karldischinger in Frankfurt einen Standort eröffnen. Gut möglich, dass noch weitere folgen. Angst, dass es nun zum Ausverkauf des speditionellen Mittelstandes kommen wird, hat Branchenkenner Jahncke trotzdem nicht: "Ich gehe ganz fest davon aus, dass es auch in einigen Jahren in der Speditionsbranche noch einen gesunden Mittelstand geben wird." Es gebe hierzulande noch viele gesunde Firmen, die sich an attraktiven Standorten und/oder in interessanten Nischen etabliert haben. Um die vielen kleinen Transportbetriebe mit unter zehn Millionen Jahresumsatz ist Jahncke indes bange: "Da wird sich die Zahl in den nächsten zehn Jahren sicherlich halbieren - wenn nicht noch mehr." Andererseits würden Transportfirmen mit heute zwischen 25 und 100 Millionen Euro Umsatz dann wohl 150 bis 500 Millionen Euro Umsatz erwirtschaften. Kurz gesagt: "Es wird auch künftig in unserer Branche nicht nur die Kühne + Nagels dieser Welt geben, sondern in einer niedrigeren dreistelligen Zahl auch gesunde Mittelständler mit Umsatzgrößen zwischen 100 bis 500 Millionen Euro." Welche Strategie verfolgt die Schweizerische Post im deutschen Speditionsmarkt? Dieter Bambauer, Vorsitzender der Geschäftsleitung Güterlogistik der Schweizerischen Post in Bern/Schweiz Die Schweizerische Post hat in 2022 hierzulande die Spedition Hugger und und das Logistic Center Villingen gekauft. Planen Sie weitere Zukäufe im Speditionsgeschäft? Ja, wir wollen in der Tat das Speditionsgeschäft, das in unserer Sparte Güterlogistik gebündelt ist, in den nächsten Jahren deutlich ausbauen. Mit rund 300 Millionen Schweizer Franken Jahresumsatz gehören wir in der Schweiz zwar schon zu den Top fünf. Bis 2030 wollen wir aber deutlich über eine Milliarde Euro Schweizer Franken Umsatz in diesem Geschäftsfeld erzielen.Welche Strategie verfolgen Sie in Deutschland im Speditionsgeschäft? Der Aufbau eines eigenen Netzes ist nicht Bestandteil unserer Strategie. Durch unsere Tochtergesellschaften sind wir aber heute schon in diversen Stückgutnetzen, etwa Cargoline, System Alliance und Simcargo präsent. Dies ermöglicht es uns, die Effizienz unserer Tochtergesellschaften im Stückgutgeschäft zu steigern. Wir wollen aber in den verschiedenen Stückgutnetzen auch einen wichtigen Beitrag für deren Ausbau leisten.An welcher Art von Speditionen sind Sie hierzulande vor allem interessiert? Das sind vor allem Speditionen, die prioritär im Landverkehr tätig sind. Aber uns interessiert auch ihr gesamtes Portfolio, mit dem sie bei ihren regionalen Kunden erfolgreich sind.Führen Sie bereits konkrete Gespräche? Wir sind in Kontakt mit gesprächsbereiten Firmeninhabern. Dabei vertrauen wir auf Scouts, die geeignete Übernahmeziele erkunden. Mittlerweile kommen aber auch verkaufsinteressierte Inhaber auf uns zu. Ergänzen möchte ich noch: Die durch die Schweizerische Post gekauften Firmen bleiben nach der Übernahme unter eigenem Namen am Markt tätig, mit dem bisherigen Management und den vorhandenen Kundenstrukturen. eh VR plus Online Wertvolle Tipps für Unternehmen Was Firmeneigner beim Verkauf ihres Unternehmens wissen sollten, finden Sie in unserem Online-Premium-Portal VRplus übersichtlich und detailliert unter dem folgenden Link dargestellt. ehwww.verkehrsrundschau.de/plus/unternehmensverkauf2021 In Kürze Ausgebrannt und erschöpft - das ist die Stimmungslage vieler Firmenchefs im Transportund Speditionsgewerbe. Die Verkaufswilligkeit nimmt zu, während die Kauflust einiger steigt. Droht im Mittelstand im Transport- und Speditinsgewerbe jetzt der Ausverkauf? >1,0 Milliarden CHF Umsatz plant die Schweizerische Post bis zum Jahr 2030 Im Speditionsgeschäft.

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