"Lkw werden zu leicht vergessen"

Herr Oetjen, nach den Europawahlen im vergangenen Jahr arbeitet das EU-Parlament jetzt seit gut einem Jahr zusamFmen, die neue EU-Kommission ist seit Oktober im Amt. Wie hat sich dadurch die Politik für den Straßengüterverkehr verändert? Wir haben einen neuen Kommissar, der auf mich keinen schlechten Eindruck macht. Zumindest macht er einen engagierteren Eindruck, als das zum Ende seine Vorgängerin Adina Valean gemacht hat. Das ist schon mal gut. Bezogen auf das Parlament wird ja gerne viel über die neuen Mehrheiten dort gesprochen. Über den Einfluss der rechtsnationalistischen Fraktionen. Das haben wir im Verkehrsausschuss nicht, weil wir hier schon immer vernünftige Mehrheiten der politischen Mitte hatten. Auf einer Skala von 0 bis 10, wo steht gerade der Straßengüterverkehr in der Aufmerksamkeit der EU-Politik? Es wird schon erkannt, dass der Straßengüterverkehr wichtig ist. Dafür würde ich eine Acht geben. In der Praxis reicht das aber oft nicht, hier würde ich eine Fünf geben. Denn zum einen ist es ja meistens so, dass wir viel über Pkw reden, die Lkw aber zu leicht vergessen. Zum anderen sind zurzeit ganz viele Dossiers im Rat blockiert, also bei den Mitgliedstaaten, sodass es dort nicht weitergehen kann. Zum Beispiel? Die neuen Regeln zu Maßen und Gewichten, die Richtlinie für den Kombinierten Verkehr. Wir müssten eigentlich auch etwas machen beim Thema Flottengrenzwerte. Das ist für die Logistiker vielleicht nicht so entscheidend. Aber das, was wir beim Auto gemacht haben, nämlich die zeitlichen Vorgaben für das Erreichen der CO2-Flottenwerte etwas zu lockern, ist ja auch für Lkw relevant. Denn auf dem Markt setzen sich die E-Lkw eben nicht so durch, wie die Kommission sich das vorgestellt hat. Da müssten wir also ran. Aber es passiert bisher nicht viel, weil wir auf Ratsseite nicht weiterkommen und der Kommission das nicht so wichtig erscheint. Was müsste man denn grundsätzlich noch machen, um mehr E-Lkw auf die Straßen zu bekommen? Konkret ist das von Land zu Land unterschiedlich. In Deutschland zum Beispiel haben wir das Problem beim Netz. Nicht jeder, der auf E-Lkw umstellen will, kann das auch einfach machen. Denn wir haben nicht das Stromnetz dafür, die Anschlüsse sind nicht gut genug, und deshalb kann man nicht überall E-Tankstellen bauen, wo man möchte. Dazu kommt das Problem der Genehmigungsverfahren, die dauern zu lange. Das sind in Deutschland sicher zwei große Probleme. Bei den Tankstellen hilft die EU aber doch auch schon dank der AFIR-Verordnung mit, ein Netz für alternative Kraftstoffe aufzubauen. Die Kommission gibt sich ja auch ganz zufrieden mit den Fortschritten dabei, wobei viele Unternehmen sagen, dass das nicht reicht. Wer hat da Recht? Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Denn AFIR bezieht sich nur auf die Strecken des Transeuropäischen Netzwerkes (TEN-V). Wenn ein Logistiker lange Strecken auf solchen Straßen fährt, ist das natürlich gut für ihn. Aber andere Logistiker fahren vor allem regional, wieder andere sind auf Point-to-Point-Verkehre spezialisiert, wieder andere arbeiten mit einem Hub-System. Die profitieren nicht vom Ausbau an den Magistralen. Ich höre sehr häufig von Logistikern, dass die sich einen E-Lkw nur anschaffen, wenn sie auch einen Kunden haben, der explizit danach fragt und bereit ist, das zu bezahlen. Weil das deutliche Mehrkosten sind. Was ist mit Wasserstoff? Das wird ja auch durch AFIR gefördert. Aber es gibt auch Stimmen, die sagen: Nein, die Zukunft der Lkw wird rein elektrisch sein. Zumindest bei den Herstellern sehe ich das nicht unbedingt. Einige Hersteller zum Beispiel setzen weiter auch auf Wasserstoff. Das finde ich gut. Denn das Ziel ist es doch, dass wir klimaneutral werden. Dass wir weniger CO2 ausstoßen. Und dafür müssen wir auch alternative Kraftstoffe neben der E-Mobilität nutzbar machen. Weshalb Sie sich ja auch für den Gebrauch von synthetischen Kraftstoffen beziehungsweise E-Fuels stark machen. Die aber auch in der Kritik stehen, weil sie bei der Herstellung sehr energieintensiv sind und viel kosten. Haben diese Kraftstoffe trotzdem noch eine Zukunft? Ja, das denke ich schon. Weil wir alternative Kraftstoffe ja auch für den Flugverkehr und den Schiffsverkehr brauchen. Für den Lkw-Verkehr haben diese synthetischen Kraftstoffe den großen Vorteil, dass sie auch in Fahrzeugen der Bestandsflotte einsetzbar sind. Und wir es anders gar nicht schaffen werden, unsere Ziele der Klimaneutralität zu erreichen. Deswegen würde ich sagen, dass das eine gute Übergangstechnologie parallel zum Hochlauf der Elektromobilität ist. Was halten Sie von Anreizen zum Kauf emissionsarmer Lkw? Die Kommission hat kürzlich ja vorgeschlagen, dass die Maut-Befreiung dieser Lkw bis 2031 verlängert werden soll. Finden Sie das gut? Ja, absolut. Das haben wir im Europaparlament schon länger gefordert, das werden wir jetzt im Schnellverfahren beschließen. Das kommt also auf jeden Fall. Solche Anreize sind gut. Grundsätzlich halte ich viel von Anreizen für E-Fahrzeuge, aber ich halte wenig von Gängelung. Was meinen Sie damit? Die Kommission denkt ja darüber nach, sozusagen Kaufverpflichtungen für Betreiber von Fahrzeugflotten zu machen. Dass man dann einen bestimmten Prozentsatz der Lkw als E-Lkw kaufen muss. Das ist aus meiner Sicht ein Markteingriff, der mit nichts zu rechtfertigen ist. E-Lkw sind zurzeit noch Fahrzeuge, für die es keinen Business-Case gibt in den Unternehmen, die nicht zu solchen Operationen passen. Diese Pläne sind etwas, was ich auf jeden Fall ablehnen würde. Wie ist die Stimmung dazu bei Ihren Kollegen im Europaparlament? Abgesehen von den Grünen habe ich noch nie jemanden gehört, der das gut findet. Also im Parlament stehen die Chancen ganz schlecht, dass dieser Vorschlag durchkommen würde? Ich halte es für ausgeschlossen, dass das durchkommt. Wenn die Kommission tatsächlich so einen Blödsinn überhaupt vorschlägt. Dann warten wir mal ab und werfen einen Blick auf die neuen Regeln zu Maßen und Gewichten, die im Rat blockiert sind. Die Dänen, die seit Juli die Ratspräsidentschaft haben, wollen das Dossier jetzt ganz explizit angehen. Freut Sie das? Auf jeden Fall. Ich drücke den Dänen die Daumen, dass sie das schaffen, weil es wirklich ein schwieriges Thema im Rat ist. Aber es ist unabdingbar. Und einer der Gründe, warum es keinen Elektrohochlauf gibt. Denn wenn Sie einen Lkw kaufen, in dem eine Batterie drin ist und Sie deshalb zwei Tonnen weniger zuladen können, dann ist Ihr Deckungsbeitrag einfach niedriger, den Sie mit der Fahrt machen. Deshalb ist es unendlich wichtig, dass die neuen Regeln für Maße und Gewichte endlich durchkommen. Wir können uns nicht darüber beschweren, dass niemand einen E-Lkw kauft, wenn man den Käufern nicht gleichzeitig ermöglicht, dass sie die gleiche Zuladung haben können, wie bei einem Diesel-Lkw. Sind es also gar nicht die Lang-Lkw und die großzügigeren Möglichkeiten, Grenzen mit diesen überfahren zu dürfen, die für die Blockade hauptsächlich verantwortlich sind? Nein, das glaube ich eher nicht. Es sind allerdings tatsächlich verschiedene politische Geschichten dabei, die sich irgendwie so kumulieren zu einer Gesamtblockade, weil alle irgendwie irgendwo unzufrieden sind. Allen voran aber Deutschland mit seiner Weigerung, zwei Tonnen zusätzliches Gesamtgewicht für E-Lkw zu erlauben. Da wird gesagt: Nein, wir können das auf keinen Fall machen, weil wir ja kaputte Brücken haben. Ich finde es eigentlich eine Unverschämtheit, dass die Bundesregierung ganz Europa in Geiselhaft nimmt, weil sie selbst ihre Brücken nicht in gutem Zustand hat und damit verhindert, dass es eine sinnvolle europäische Regelung gibt. Da muss man halt die Brücken-Tonnage beschränken, dann ist das halt so. Und man müsste die Brücken vor allem sanieren. Das geht natürlich nicht von einem Tag auf den anderen, aber ich halte es schon für echt problematisch, dass Deutschland da so eine Blockadehaltung einnimmt. Wie kann eine Ratspräsidentschaft denn dabei helfen, Lösungen zu finden? Ist der Einfluss einer Ratspräsidentschaft wirklich so groß, dass das kleine Dänemark das große Deutschland zum Einlenken bringen kann? Ich glaube schon. Denn das hängt sehr viel vom persönlichen Engagement der Leute ab, von den Teams, die in den Präsidentschaften arbeiten. Wenn die auf ein Dossier wirklich Energie verwenden, dann kann das auch etwas bewirken. Die Polen zum Beispiel haben es geschafft, das Dossier der Fluggastrechte voranzubringen. Das liegt nur daran, weil sie richtig Zeit darein investiert haben. Welche anderen drängenden Probleme der Branche werden denn, abgesehen von der künftigen Gestaltung der Lkw, gerade von der EU aktiv angegangen? Wo gerade wieder mehr passiert, ist das Thema Parkplätze. Da wird jetzt noch mal ein richtiger Schluck aus der Pulle der Fördermittel kommen, nämlich aus dem Programm Connecting Europe Facility (CEF). Das ist auch der richtige Ansatz, weil wir ja wirklich viel zu wenige Lkw-Parkplätze haben. Gefördert werden sollen jetzt vor allem Parkplätze mit hohen Sicherheitsstandards. Das ist auf der einen Seite natürlich gut, wirft aber auch die Frage auf, wer den Parkplatz dann bezahlen soll. Der Fahrer oder die Firma? Natürlich sollten das die Firmen tragen, was uns dann aber auch schnell zum Thema Sozialdumping führt. Ob bei dem Thema des Bezahlens der Parkplätze also Regulierung nötig ist, lasse ich mal offen. Die aktuelle Legislaturperiode des Europaparlaments dauert noch vier Jahre. Was müsste bis dahin passieren, damit Sie sagen würden: Das war eine gute Legislaturperiode für den Straßengüterverkehr? Oh, ha. Bis dahin haben wir Maße und Gewichte beschlossen, haben wir mehr Geld investiert von Europa in die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe, inklusive Wasserstoff und Elektro. Die Branche hat eine Auswahl aus verschiedenen Möglichkeiten, wie sie klimaneutral Logistik betreiben kann. Es ist von den Kunden anerkannt, dass es zum Preis dazugehört, dass man klimaneutral fährt. Und wir haben die unfaire Konkurrenz aus dem Markt gebannt. Wie realistisch schätzen Sie es ein, dass es in vier Jahren genauso aussehen wird? Ich würde sagen, zu allem, was Antriebe angeht, stehen die Chancen 50:50. Und bezogen auf alles zusammen, was ich gerade gesagt habe. Das Schwierigste ist sicher, die illoyale Konkurrenz. Da glaube ich nicht, dass wir da viel weiterkommen. Online Darf's noch mehr sein? Das ganze Interview mit Jan-Christoph Oetjen lesen Sie auf unserem Online-Profiportal VerkehrsRundschau plus. www.verkehrsrundschau.de/EU-Interview