Keine Revolution, aber eine Evolution

Was ist überhaupt Industrie 4.0? Welche Bedeutung hat das Thema und wie stark beeinflusst dieser Trend die Logistik? Fragen, die sich derzeit viele Transportdienstleister stellen. Fragen, auf die das 15. Branchenforum Stahl Antwort gab aus Sicht der Stahlbranche. Ausgerichtet wurde die Veranstaltung letzte Woche in Dortmund vom Verband der Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen (VVWL). Mehr Flexibilität ist ein wesentliches Ziel Vor allem in Branchen wie der Autoindustrie oder dem Maschinenbau ist das Thema Industrie 4.0 von großer Bedeutung. "Dort gibt es die Massengutproduktion, die die Einführung von Industrie-4.0-Prozessen erleichtert", nannte Professor Harald Peters vom VDEh-Betriebsforschungsinstitut einen Grund, warum die Stahlindustrie nicht an vorderster Stelle steht. Aber nichtsdestotrotz ist in der Stahlproduktion die Standardisierung von Prozessen und die Begleitung der dazugehörigen Informationen in digitaler Form ein Trend. Angestrebt wird in der Produktion eine verstärkte Nutzung von Informationssystemen, die in den physikalischen Prozess eingebettet sind. Zugleich sollen alle Produktionsschritte durch Informationsflüsse miteinander verbunden werden. Treten unvorhergesehene Ereignisse oder Änderungen in der Produktionsplanung ein, sollen die nachfolgenden Bearbeitungsstationen schneller reagieren können. "Ziel ist eine größere Flexibilität bei kurzfristigen Ablaufänderungen", sagte Peters. Das bedeutet auch, dass an die Transportvorgänge höhere Anforderungen gestellt werden. Hier sind dann die Logistiker gefordert. "Sie müssen eine größtmögliche Transparenz zur Steuerung und Überwachung der Transportkette gewährleisten", sagte Professor Uwe Clausen vom Fraunhofer Institut für Materialfluss (IML). Eine weitere Konsequenz aus Industrie 4.0 laut Clausen: Kleinteilige Losgrößen sollen effizient und prozessgenau transportiert werden. Und gewünscht sei das kurzfristige Abfangen von Ausfällen oder Mengenschwankungen in der Logistikkette. Seine Antwort auf die Erfordernisse aus Industrie 4.0 lautet: Smart Transportation Logistics. Darunter versteht er die Fähigkeit der Dienstleister, Prozessketten vorausschauend zu gestalten, mögliche Szenarien zu beschreiben und Reaktionsmuster zu definieren: "Anpassungen und Änderungen in den Produktionsprozessen müssen smart - das heißt: flexibel, zeitnah, selbstorganisiert und aufwandsarm - erfolgen." Als ein Beispiel nannte er die Organisation von Begegnungsverkehren. An sich sei die Organisation von Begegnungsverkehren keine Neuheit, aber ein Online-Planungssystem habe es ermöglicht, bei der Kooperation Elvis 20 Prozent der Komplettladungen als "begegnungsfähig" zu identifizieren. Doch auf den Zug, dass die vierte industrielle Revolution auch die Logistik komplett umkrempelt, wollte er nicht aufspringen. "Es ist mehr eine Evolution, aber keine Revolution", sagte Clausen und erntete damit Zustimmung bei den anderen Experten. Netzwerkgedanke zu wenig ausgeprägt Das Thema Industrie 4.0 kommt auch bei den Transportdienstleistern an. "Wir erhalten die Aufträge in der Regel per DFÜ", sagte Rolf Bennemann, Niederlassungsleiter der Stute Logistics. Stute geht jetzt den nächsten Schritt und verknüpft den Fuhrpark über ein intelligentes Track-and-Tracing-System mit dem Auftragseingang. Unterstützt werden soll dies von einem Dispositionstool, sodass die Auftragsdaten der Kunden schneller und mit geringerem Aufwand an die zuständigen Akteure bei Stute verteilt werden können. Kritik an der Debatte um 4.0 übte Jürgen Harland, Leiter Logistik und Supply Chain Management bei Salzgitter Flachstahl: "Mich stört, dass wir differenzieren zwischen Industrie 4.0, Handel 4.0, Logistik 4.0: Jeder macht ein bisschen 4.0 für sich." Den Hauptnutzen sieht er hingegen darin, wenn man die in der Wertschöpfungskette rechtlich eigenständigen Unternehmen zusammenbringt. Für eine solche unternehmensübergreifende Zusammenarbeit sieht er jedoch zwei gravierende Hürden: die Standardisierung und die Sicherheitsproblematik in der Kette. "Denn letztlich gibt doch keiner gerne seine Daten aus dem Haus", lautete seine Feststellung zum Thema Sicherheit. Dem wollte keiner der Experten widersprechen, wobei Clausen ergänzte, dass sowohl kommerzielle Anbieter wie auch die Wissenschaft an Verbesserungen hinsichtlich des Datenschutzes arbeiten würden. Bennemann wagte den Blick in die Zukunft. Er zeigte sich überzeugt, dass in der Stahllogistik das kommen wird, was es bei den KEP-Diensten schon gibt: die lückenlose Dokumentation jedes einzelnen Packstückes vom Versender bis zum Empfänger. "Das wird unsere Aufgabe als Stahllogistiker sein, einen solchen Informationsfluss zu garantieren", sagte der Stute-Manager. Die Folgen des Sturms Ela für Thyssenkrupp Das Werk Bochum konnte acht Tage nicht beliefert werden Die Direktorin Logistik von ThyssenKrupp Steel Europe (TSKE), Ulrike Höffken, hat die Deutsche Bahn (DB) scharf für ihr Notfallmanagement kritisiert. Anlass ist der Sturm "Ela", der im Juni 2014 wütete. Bäume und abgerissene Oberleitungen blockierten die Bahnstrecke. "Unsere Hauptversorgungsstrecken auf der Schiene waren bis zu 10 Tage nicht befahrbar", schilderte Höffken auf dem Branchenforum Stahl die eklatanten Folgen des Sturmtiefs. Infolge der Sperrungen war die Produktion in Werk Bochum acht Tage unterbrochen. Der Versand von Produkten von TKSE zu den Kunden kam zeitweise zum Erliegen und bescherte eine spürbare Gewinneinbuße. "Wir konnten über 100.000 Tonnen nicht so transportieren, wie wir das wollten", fasste Höffken die Folgen zusammen. So musste die Versorgung der Werke in Hoesch Hohenlimburg und Andernach aus Duisburg komplett umgestellt werden, damit in diesen Werken weiter produziert werden konnte.Statt Direktzüge wurde die Ware mit 22 Zügen in den werkseigenen Hafen Walsum gefahren. Fünf Schiffe brachten die Ladung in den Dortmunder Hafen, von dort ging es dann mit zehn Zügen in das Werk Hoesch Hohenlimburg. Um das Werk Rasselstein in Andernach zu versorgen, steuerten fünf Schiffe von Walsum aus den Hafen in Andernach an. Von dort wurde die Ware dann mit 600 Lkw in das Werk gebracht. "Wir haben einen vierfachen Aufwand für Transport und Umschlag in Kauf genommen, um die Anlagen in Andernach und Hohenlimburg zu versorgen", sagte Höffken."Wir erwarten, dass die Bahntrassen besser abgesichert werden", forderte Höffken. "Und wir fordern alternative Trassen: Es kann nicht sein, dass wir nur eine Alternative haben", sagte die TKSE-Chef-Logistikerin.Der direkte Dienstleister von TSKE, DB Schenker Rail, sei diesen Forderungen gegenüber zwar aufgeschlossen. "Die DB Netz, die in zweiter Reihe dahinter steht, ist nicht so gerne in Kontakt mit uns", sagte Höffken. cd