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Interview: "Ist Collaboration nur ein Modewort?"

22.10.2018 10:34 Uhr
Thomas Wimmer
Thomas Wimmer, Vorsitzender der BVL-Geschäftsführung
© Foto: BVL

Eines der wichtigsten Zukunftsthemen in der Logistikbranche ist die Zusammenarbeit von Unternehmen. Das zeigte der 35. Deutsche Logistik Kongress. Warum das so ist, erklärt Professor Thomas Wimmer, Vorsitzender der BVL-Geschäftsführung.

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VerkehrsRundschau: Ist Collaboration nur ein neues Modewort für Kooperation, oder steckt da mehr dahinter?

Thomas Wimmer: Neu ist der Begriff Collaboration tatsächlich nicht. Darüber haben wir schon vor 25 Jahren diskutiert. Und jeder definiert diesen auch etwas anders. Für mich ist Collaboration die sehr enge Zusammenarbeit von Unternehmen, möglicherweise sogar Wettbewerbern, um ein großes ganzheitliches Ziel zu erreichen. Ein sehr gutes Beispiel sind die über 100 Automobil-Spediteure und –Transporteure, die in der ECG European Car Transporters Group of Interest Mitglied sind. Darunter sind viele kleine und mittelständische Unternehmen. Von diesen könnte keiner alleine einen Großauftrag eines Automobilkonzerns abwickeln. Also bringt sich jeder mit seiner jeweiligen Stärke ein: ob Bahnwaggons, Kajen, Schiffe, Lkws – jeder verfügt über gewisse Ressourcen. Die Mengen und die Komplexitäten würden jeden Einzelnen überfordern. Gemeinsam aber schaffen diese Dienstleister die Aufträge, weil sie sich zusammenschließen und zusammenarbeiten, obwohl sie zueinander im Wettbewerb stehen. Das ist für mich echte Collaboration – im positiven Sinne.

Warum aber gewinnt das Thema Collaboration gerade jetzt an Fahrt? Es war ja auch eines der Themen auf dem diesjährigen Deutschen Logistik Kongress in Berlin.

eder der in der Wertschöpfung tätig ist, muss sich immer wieder fragen: Was ist meine Kernkompetenz? Aufgrund des demographischen Wandels und der positiven Erfahrungen aus der Globalisierung mit ihrer Arbeitsteilung ist man heute eher bereit, zusammenzuarbeiten. Sogar unter konkurrierenden Firmen, weil man sieht, welche Erfolge sich damit erzielen lassen. Die Digitalisierung unterstützt das. Wichtig ist, dass die Zusammenarbeit so erfolgt, dass Wettbewerber dadurch kein Kartell bilden.

Die Collaboration von heute ist also eine logische Folge dessen, wie sich die Zusammenarbeit von Unternehmen in den letzten zehn, 15 Jahren weiterentwickelt hat. Es gibt unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit, die horizontale und die vertikale Kooperation. Eine horizontale Kooperation kommt dann zustande, wenn zwei Unternehmen auf derselben Stufe der Wertschöpfungskette zusammenarbeiten. Vereinfacht bedeutet das: Ein Spediteur kooperiert mit einem anderen Spediteur. Bei der vertikalen Kooperation arbeiten zwei Unternehmen zusammen, die auf unterschiedlichen Stufen der Wertschöpfungskette stehen. Denkbar ist das zum Beispiel zwischen einem Händler und seinen Lieferanten, zwischen einem Produzenten und seinen Zulieferern. 

Welche Chancen, aber auch welche Risiken birgt Collaboration für die Beteiligten?

Die Firmen sparen dank Collaboration Kosten und Aufwand und können gleichzeitig neue Märkte erschließen – sowohl auf der Beschaffungs- als auch auf der Absatzmarkt-Seite. Denken Sie an den Trend zur Individualisierung. Um die Bedürfnisse der Endkunden kundenindividuell erfüllen zu können, hilft es den Unternehmen in einer Collaboration, wenn jeder seine speziellen Fähigkeiten einbringt. Dafür müssen Daten zur Verfügung gestellt und untereinander geteilt werden. So können beide Partner deutlich schneller agieren. Für Collaboration müssen sich die Unternehmen öffnen und etwas preisgeben. Das betrifft vielfach Daten, die nicht sensibel sind. Trotzdem braucht es Vertrauen, und ein gesundes Maß an Ethik. Sonst besteht das Risiko, dass einer plötzlich als Verlierer dasteht, weil der Wettbewerber Einblicke erhalten hat und diese für sich ausnutzt.

Es gibt in der Logistik-Dienstleistung sehr viele Collaboration-Projekte. Aus Ihrer Erfahrung heraus gefragt: Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer solcher Lösungen?

Wenn einer gewinnt und einer verliert, ist das ein schlechtes Collaboration-Projekt. Collaboration funktioniert nur, wenn beide Seiten gewinnen – es muss eine Win-Win-Situation sein, eine Partnerschaft. Wenn einer über dem Anderen steht, hat keiner Spaß daran. Das kann eine kurze Zeit gut gehen und dann wird die Partnerschaft scheitern.

Wenn aber Verlader durch Collaboration ihre Mengen bündeln und diese gebündelt an eine Spedition vergeben, geht das meist zu Lasten kleinerer Transporteure. Profitieren also nur die Großen von Collaboration?

Es mag Fälle geben, in denen Kleinere auf der Strecke bleiben, aber gerade Collaboration bietet für KMU besondere Chancen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Vor zwei Jahren hat die BVL den Landmaschinen-Anbieter AGCO für sein Collaboration-Projekt mit 4flow im Bereich Inbound-Transporte ausgezeichnet. Viele haben damals prognostiziert, dass diese Lösung zu Lasten mittelständischer Spediteure gehen würde. Das Gegenteil trat ein, weil die kleinen Dienstleister viel flexibler und spezifischer reagieren konnten. Das zeigt: Größe allein heißt nicht, dass man per se etwas besser kann. Mit Größe lassen sich Skaleneffekte und dadurch Kostenvorteile erzielen und neues Know-how erschließen. Aber klein, pfiffig und schnell ist noch immer ein riesiger Erfolgsgarant.

Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit Collaboration klappt?

Wichtig ist, dass beide Partner ausreichend wirtschaftlich stabil sind, um eine Zusammenarbeit durchzustehen – auch über Jahre hinweg. Und bei beiden muss die Bereitschaft da sein, sich vertrauensvoll zu öffnen, Einblicke zu gewähren und Zusammenarbeit zuzulassen. Ebenso wichtig ist, dass die technischen Systeme der Unternehmen zusammenarbeiten können, etwa über standardisierte IT-Schnittstellen. Und es muss klar sein, welche Daten und Informationen ausgetauscht werden, was mit diesen passiert, wer diese für was nutzt. Und man braucht Zeit zum Implementieren und zum Optimieren.

Was lässt Collaboration-Projekte scheitern? Welche Fehler sollte ein Unternehmer auf gar keinen Fall machen?

Klare Antwort: Sich den falschen Partner zu suchen. Aber ernsthaft gesprochen: Ein Collaboration-Projekt kann nicht scheitern, wenn man vorher emotional und sachlich gründlich recherchiert hat.

Gibt es bestimmte Branchen, oder auch Unternehmensgrößen und Tätigkeitsfelder, die besonders geeignet sind für Collaboration-Projekte? Und welche sind es nicht? 

Prinzipiell ist jede Tätigkeit im Mittelstand für Collaboration geeignet – sowohl in der Konsumgüterbranche (FMCG), im Anlagenbau oder auch in der Dienstleistung, um gemeinsam effizienter zu sein und mehr zu erreichen. Collaboration funktioniert meines Erachtens in jeder Branche.

Was ist der wichtigste Trend in den nächsten fünf, zehn Jahren, auf den sich Unternehmen in punkto Collaboration einstellen sollten?

Die Digitalisierung und die daraus resultierenden Möglichkeiten. Digitale Plattformen für Collaboration - und für Sharing, das ein verwandtes Thema ist – werden immer besser und leistungsfähiger. Die Zugangshürden sinken mit steigender, internationaler Standardisierung der Schnittstellen. Daten lassen sich immer zielgerichteter auswerten, ohne dass alle Beteiligten darauf direkten Zugriff haben müssten. Das wiederum reduziert das Risiko des „Ausgespäht Werdens“. Wer erfolgreich bleiben will, sollte seine Bedenken ablegen und sich positiv mit Collaboration auseinandersetzen.

Das Interview führte VerkehrsRundschau-Redakteurin Eva Hassa.

 

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