Hafen Antwerpen

Hafen Antwerpen Der Gigant an der Schelde Der Hafen Antwerpen ist Drehkreuz für die Stahllogistik. Um diese Stellung zu sichern und gegen den Wettbewerb zu punkten, lassen sich die Belgier einiges einfallen. Wieder einmal konnten an der Schelde die Korken knallen: Anfang März kündigte der schwedische Stahlgigant SSAB an, den Hafen Antwerpen auch in Zukunft als logistische Drehscheibe zu nutzen. Der Konzern, der 4,6 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr hat, wickelt dort seit 2002 die gesamte Lagerung und Distribution seiner Produkte für Europa und Nordamerika ab. Die hochfesten Stähle von SSAB kommen unter anderem im Automobilbau zum Einsatz, etwa bei Fiat oder Opel. Für den Hafen Antwerpen bedeutet die Vertragsverlängerung mit dem Konzern: Der Ruf als Europas be-deutendster Stahlhafen ist gesichert. „Wir bleiben die europäische Nummer eins im Breakbulk-Segment und bei Stahl“, freut sich Wim Dillen, Business Development Manager und für das Geschäft mit Stahl sowie verderblichen Gütern zuständig. Er schätzt, dass 2012 zehn Millionen Tonnen Stahl durch den Hafen an der Schelde gelaufen sind – das Volumen teilt sich jeweils zur Hälfte auf den Im- und Export auf. Zum Vergleich: Der niederländische Konkurrent Rotterdam kommt auf weniger als die Hälfte. Allerdings beginnen auch in Antwerpen die Grenzen zum restlichen Geschäft zu verschwimmen. „Stahl wird zunehmend auch in Containern transportiert“, berichtet Dillen. Was vor zehn Jahren nahezu unbekannt war, ist bei Spezialstählen mittlerweile an der Tagesordnung: Coils in 20- oder 40-Fuß-Containern transportieren. Kunden aller Unternehmensgrößen Natürlich sind es vor allem große Stahlproduzenten und -händler, die in Antwerpen für Volumen sorgen. Doch auch mittlere und kleine Unternehmen sind hier präsent. Dazu gehört Scholz Edelstahl: Die Firma aus dem schwäbischen Essingen mit 380 Millionen Euro Umsatz beliefert die Schmiedeindustrie, Maschinenbauer und Zulieferer. In Antwerpen hat Scholz Edel-stahl eine Freifläche angemietet, auf der eingeführte Rundstähle über längere Zeit kostengünstig gelagert werden können. Mehrere tausend Tonnen Stahlstäbe finden hier Platz. „So können wir auch große Lots reinholen, die nicht sofort abfahren müssen“, erklärt Martin Jäger, Logistiker bei Scholz Edelstahl. Außerdem nutzt das Unternehmen die Fläche in Antwerpen, um eingehende Lieferungen zu kommissionieren und von dort aus direkt mit dem LKW zu den Kunden zu transportieren. Dass als Standort Antwerpen gewählt wurde, hält Jäger für die logische Entscheidung. „Dort kennt man sich einfach mit dem Handling aus.“ Allerdings: Nachdem der Stahlhändler in den letzten Jahren viel Material aus China bezogen hatte, gewinnen derzeit andere Herkunftsländer an Bedeutung, die bessere Qualität bieten. Das Lager in Antwerpen wird dennoch aufrechterhalten. Vernetzung mit dem Hinterland Dass Lagerflächen und Grund in Belgien relativ billig zu haben sind liegt daran, dass Antwerpen – anders als viele andere Häfen – noch Platz für Wachstum hat. Mit 13.000 Hektar verfügt man über die größte Fläche aller europäischen Häfen (Rotterdam erreicht nur 11.000 Hektar) – hinzu kommen 5,5 Millionen Quadratmeter überdachte Areale. „Fläche ist dort kein Thema“, bestätigt Gunnar Platz von der Unternehmensberatung Planco, Essen. Für den Fall, dass die Stahlkonjunktur wieder anzieht und damit auch die transportierten Volumina steigen, könnten weitere 1100 Hektar Freiflächen erschlossen werden, heißt es von der Hafengesellschaft. Berater Platz lacht: „Nur die nahe niederländische Staatsgrenze schränkt die Expansion ein.“ Ganz oben auf der Agenda der Belgier steht –wie auch in Rotterdam oder Hamburg – die Vernetzung mit dem Hinterland. Wer sich als logistischer Drehpunkt etablieren will, muss Ladungen möglichst schnell weiterverteilen können. Deshalb strecken alle Seehäfen ihre Fühler ins Hinterland aus, um dort Terminals – so genannte Dryports – einzurichten, wo Waren abgefertigt, zwischengelagert und verteilt werden können. Das wohl spektakulärste Beispiel für diesen Trend lieferte der Streit um den Duisburger Hafen: Anfang letzten Jahres hatte das Verkehrsministerium angekündigt, seine Anteile am Duisport im Schätzwert von 150 Millionen Euro verkaufen zu wollen; Kaufinteresse meldeten sowohl Antwerpen als auch Rotterdam an. Im November dann ruderte Minister Ramsauer zurück, sagte, er stehe in Sachen Verkauf „eher auf der Bremse“. Auch wenn dieser Deal gescheitert ist: Die Seehäfen werden ihre Fühler weiter ins Hinterland ausstrecken. Was entsprechende finanzielle Engagements angeht, hält sich Antwerpen bedeckt. „Unsere Strategie sieht vor, ein möglichst breites Netzwerk zu etablieren“, so Dillen. Möglich sei unter anderem eine Beteiligung an trimodalen Hubs, er schließe auch Investitionen in Deutschland nicht aus. Man schaue weiter auf „bestimmte Möglichkeiten“, heißt es von der Schelde. Wie solche Hubs funktionieren, zeigt das Beispiel Wien: Hier werden seit zwei Jahren Ladungen aus Österreich und Osteuropa konsolidiert, mittels mehrerer Ganzzüge täglich nach Amsterdam transportiert und – umsortiert – direkt zu den verschiedenen Terminals gebracht. Das spart Platz im Hafen und erhöht das Beförderungstempo. Auch deutsche Binnenhäfen ließen sich zu Hubs für Antwerpen ausbauen. Für „durchaus denkbar“, hält das Jan Sönke Eckel, Prokurist bei der Rhein-Cargo, dem neuen Zusammenschluss der Häfen Köln, Neuss und Düsseldorf. Allerdings spielt eine Entwicklung gegen die Binnenhäfen. „Wir beobachten seit rund zwei Jahren eine veränderte Einkaufspolitik bei den Stahlhändlern und -verarbeitern: Die Lieferungen werden kleinteiliger“, berichtet Eckel. Es würde häufiger nur kurzfristig auf Bedarf gekauft und weniger gelagert. „Davon profitiert der Verkehrsträger LKW“, räumt Rhein-Cargo-Mann Eckel ein. Wachstumstreiber Mehrwertdienste Wo kommt in der Stahllogistik in Zukunft das Wachstum her? Die Antwort lautet auch hier: über Mehrwertdienste. Schon seit Jahren werden in Antwerpen Dienstleistungen wie Konsolidierung, Lagerung oder Qualitätskontrolle angeboten. Diese Palette wächst ständig weiter: In so genannten Service Centern wird Stahl auf Länge gebracht, abgerollt (Decoiling) oder zugeschnitten (Slitting). „Im zweiten Halbjahr werden weitere Slitter in Betrieb genommen“, kündigt Dillen an. Außerdem soll die Zahl der Service Center in diesem Jahr von sechs auf neun erhöht werden. Wohlgemerkt: Diese Services vor Ort werden von Privatunternehmen wie der deutschen Firma USG angeboten. Die Hafengesellschaft fungiert als reiner Vermieter, der sich nur um die Infrastruktur wie Hafenbecken, Wege oder Brücken kümmert. Bei allen guten Aussichten: In den Himmel werden die Bäume in Antwerpen in den kommenden Jahren sicher nicht wachsen. „Stahl ist kein Markt, der sich besonders dynamisch entwickelt“, urteilt Branchenkenner Platz. Lediglich das Verhältnis zwischen Export und Import verschiebe sich ein wenig zugunsten der Einfuhren, die Gesamtvolumina blieben jedoch mehr oder weniger gleich. Das zeigt übrigens auch Antwerpen: Der Umschlag von Massengütern hat sich dort in den letzten Jahren seitwärts bewegt, bei Stahl sank er zuletzt sogar um 19 Prozent. ❙❚■ Constantin Gillies, freier Journalist Stahl wird zunehmend in Containern transportiert – das war vor zehn Jahren fast unbekannt „Unsere Strategie sieht vor, ein möglichst breites Netzwerk zu etablieren“ Wim Dillen, Business Development Manager, Hafen Antwerpen Der Weg vom Kai bis zum Kunden Entladung. Circa 5 Millionen Tonnen Stahl werden in Antwerpen jedes Jahr gelöscht. Rund 60 Prozent entfallen auf kalt- oder warmgewalzte Coils, der Rest sind Langstahl, Röhren oder Träger. Zunächst wird das ankommende Schiff mit Kränen entladen. Je nach Typ (zweistöckig, einstöckig) nimmt das mehrere Tage in Anspruch. Bei maximalem Tempo können 40.000 Tonnen Stahl aber auch in 36 Stunden ausgeladen werden. Umschlag. Wichtigster Verkehrsträger für Stahl bleibt das Binnenschiff. 45 Prozent der Ladungen in Antwerpen werden auf diesem Weg weitertransportiert, 15 Prozent per Bahn, der Rest auf der Straße. Alle Stahl-Terminals in Antwerpen sind trimodal ausgelegt. Weitertransport. Per Binnenschiff reist die Ladung weiter, zum Beispiel über die Oosterschelde ins Rheindelta und nach Duisburg. Die Laufzeiten bis zum Niederrhein liegen bei 24 bis 48 Stunden. Dort wird die Ladung gelöscht und typischerweise per LKW oder Bahn zum Stahlhändler oder -verarbeiter weitertransportiert. cg