Eine Nische mit Perspektive

Kaum eine Branche wächst so sicher wie der Gesundheitssektor: Seit vielen Jahren steigen hier die Umsätze schneller als die Gesamtwirtschaft, dank alternder Gesellschaft und steigendem Wohlstand. Und diese Entwicklung setzt sich fort: So erwartet der Verband der Chemischen Industrie (VCI) für das laufende Jahr ein Umsatzplus von 3,5 Prozent - getragen vor allem vom Pharmasektor. Entsprechend wird auch das Volumen der transportierten Arzneimittel und Medizinprodukte wachsen. Aber lohnt sich für Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP) und Transportlogistiker überhaupt der Einstieg in die Branche? Oder fressen die hohen Anforderungen (siehe Kasten Seite 22) die Gewinne gleich wieder auf? Muss-Anforderungen der Verlader Grundsätzlich ist die Ausgangsposition für KEP-Betriebe gut, denn die Lieferungen in der Branche werden kleinteiliger. "Durch häufige Bestellungen steigt die Zahl der Sendungen, aber ihre Größe nimmt ab", erklärt Achim Sponheimer, Partner von Miebach Consulting. Das hat zwei Gründe: Bei der Direktlieferung vom Hersteller an Apotheken (B2B-Bereich) sind die Sendungsgrößen beschränkt, da es dort keine großen Lager gibt. Daneben wird mehr Ware von KEP-Diensten direkt zu Endkunden gebracht, etwa, wenn der in einer Versandapotheke bestellt. "Die steigenden Mengen sind eine Chance für KEP-Dienste, aber die Anforderungen zwischen B2B und B2C unterscheiden sich", fasst Branchenkenner Sponheimer zusammen. "Natürlich bevorzugen wir Anbieter, die schon im Pharmasegment gefahren sind", sagt Kerstin Qualmann, Leiterin Qualitätsmanagement bei Intermed in Geesthacht. Die Firma versorgt Arztpraxen bundesweit mit medizinischem Material von der Kanüle bis zum Stethoskop. Für diese Transporte kommt der 500 Fahrzeuge große Eigenfuhrpark ebenso zum Einsatz wie externe Transportbetriebe. Erfahrungen im Pharmasektor werden bei Intermed gern gesehen, sind aber keine notwendige Voraussetzung bei der Auswahl der Dienstleister. Erfahrungen im Lebensmittelsektor könnten von Vorteil sein, so Qualmann. Intermed stellt unter anderem folgende Anforderungen an Dienstleister: - Ein System zur Qualitätssicherung muss vorhanden sein. "Das bedeutet allerdings nicht zwingend ein ISO-Zertifikat", betont Qualmann. - Das Personal ist geeignet und geschult. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Fahrer grundsätzlich mit der GDP-Richtlinie vertraut sind und Klimatechnik sowie Temperaturschreiber bedienen können. Geschult wird überwiegend in Präsenzseminaren, aber auch Onlinekurse sind möglich. - Fahrzeuge sind so ausgelegt, dass die transportierte Ware nicht den vorgegebenen Temperatur-Korridor verlässt (2 bis 8, oder 15 bis 25 Grad Celsius). Eine aktive Temperaturführung ist nicht zwingend vorgeschrieben. Entscheidend ist, dass der Temperatur-Korridor nachweislich eingehalten wird. - Es findet eine Dokumentation der Temperaturen während des gesamten Transports statt. Ein elektronischer Temperaturschreiber oder andere Datenlogger müssen vorhanden sein und jährlich kalibriert werden; Intermed bevorzugt elektronische Datenübermittlung. Priorität hat für Versender aus dem Gesundheitssektor vor allem Sicherheit - und die sollte am besten schwarz auf weiß nachgewiesen werden: mit einem Zertifikat. An Qualitätssiegeln mangelt es in der Logistik freilich nicht. Doch sind sie wirklich ein Muss? "In der Außendarstellung machen Zertifikate Sinn", meint Qualmann, räumt aber ein, dass sie keine Pflicht seien. Sie selbst hat den Bundesverband der Kurier-Express-Postdienste (BdKEP) dabei unterstützt, mit der Deutschen Gesellschaft zur Zertifizierung von Managementsystemen (DQS) ein spezielles Zertifikat für KEP-Betriebe, die im Pharmabereich aktiv werden wollen, aufzulegen. Firmen, die es erlangen wollen, werden je nach Betriebsgröße und Dienstleistungsangebot mindestens einen halben Tag lang auditiert und danach jährlich überprüft; BdKEP-Mitglieder können das Zertifikat zu einem günstigeren Preis bekommen. Allerdings ist wichtig zu wissen: Ein "echtes GDP-Zertifikat", also mit amtlicher Überprüfung, gibt es nur nach einer behördlichen Inspektion. Ob sich der Einstieg in den Pharmabereich für KEP-Betriebe lohnt, hängt vor allem von einem Thema ab: der Temperaturführung. Um Fahrzeuge aktiv zu temperieren, sind hohe Investitionen nötig, die viele Dienstleister finanziell überfordern können. Der Einstieg in den Markt kann aber auch ohne teure Fahrzeugaufbauten gelingen. Denn die GDP-Richtlinie schreibt nur vor, dass Arzneimittel grundsätzlich im für sie vorgegebenen Temperatur-Korridor gelagert und transportiert werden müssen, etwa im Ambientbereich zwischen 15 und 25 Grad. Wie genau er diese Vorgabe umsetzt, ist dem Transportbetrieb überlassen. Nutzt er zum Beispiel eine isolierte Transportbox, die den Inhalt 72 Stunden auf Temperatur hält, und erreicht stets spätestens nach 48 Stunden sein Ziel, wäre auch das GDP-konform. Eine solche passive Temperierung ist auch bei Versandapotheken aus Kostengründen der Weg der Wahl. "In der Endkunden-Belieferung haben aktive Lösungen keine Zukunft", findet auch Berater Sponheimer. Wo die Kundenakquise lohnt Welche Auftraggeber aus dem Arzneimittelsektor sind am vielversprechendsten? Hier zeigt sich ein klarer Trend: Überall da, wo es um den Transport anspruchsloser Massenware geht, lohnt die Akquise selten, da die großen Paketdienste das Feld schon besetzt haben. Internetapotheken wie DocMorris oder Aponeo etwa arbeiten mit DHL und Hermes. Aufgrund ihrer hohen Mengen operieren diese Paketgrößen auf der letzten Meile extrem kostengünstig. Das dürfte für kleine KEP-Dienste schwer zu unterbieten sein. Ihre Chancen liegen im B2B-Segment, in dem mit herkömmlichen Fahrzeugen gefahren werden kann. Das zeigt Messenger Transport & Logistik in Berlin. Der KEP-Dienst befördert Blutproben von Arztpraxen zu Labors. "Es handelt sich um Stadtfahrten, die nicht länger als 30 Minuten dauern. Das erfordert keine gekühlten Transporte", erklärt Florian Falk, Manager Business Development. Die Blutproben werden in einer Dreifach-Verpackung nach P650-Vorschrift befördert. Wenn Messenger empfindliche Medikamente für Apotheken fährt, kommen Kühlakkus und Trockeneis zum Einsatz. Eine komplett geschlossene Kühlkette herzustellen sei für einen kleineren Kurierdienst zu aufwendig, sagt Falk. "Zumal die nötigen Investitionen von unseren selbstständigen Kurieren getätigt werden müssten." Er kann sich aber vorstellen, in Zukunft als Alternative Kühlboxen einzusetzen. Im täglichen Geschäft machen aber weder GDP-Vorschriften noch Temperaturführung die meisten Probleme. Wenn es knirscht, "dann meist beim Thema Kommunikation", weiß Intermed-Expertin Qualmann. Ein typisches Problem: Der Fahrer erfährt von der belieferten Arztpraxis, dass sie demnächst urlaubsbedingt schließt, leitet diese Information aber intern nicht weiter. So kann es sein, dass sich ein Fahrer vergebens auf den Weg macht. Wer sich als Transporteur im Medizinsektor etablieren will, sollte also an der Kommunikation mit dem Kunden arbeiten. Lukrative Mehrwertdienste Mehr Gewinn als der reine Transport versprechen Mehrwertdienste. Welche das sein können, zeigt Intermed geradezu exemplarisch: Das Unternehmen liefert nicht nur Verbrauchsmaterial an die Ärzte, sondern entsorgt auch die Praxisabfälle und bietet einen Sterilgut-Service an. Auf Wunsch führt Intermed sogar Hygiene-Überprüfungen durch und schult das Personal. Andere Kurierdienste liefern nicht nur Ware in die Apotheken, sondern stellen dort auch Produkt-Displays auf und befüllen sie. Solche Services schätzen Kunden. Doch das Geschäftsmodell birgt auch Risiken. "Wenn der Fahrer noch andere Tätigkeiten ausübt, verlängert sich die Durchlaufzeit pro Sendung", warnt Sponheimer. Und dies laufe Wünschen der Kunden nach schneller Lieferung zuwider. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Pharmalogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Anforderungen Das verlangen die Kunden Was KEP- und Transportlogistiker auf dem Pharmamarkt vorweisen müssen, sagt Wolfgang Engel, Leiter des Competence Center Logistics (CCL) bei der Zertifizierungsgesellschaft DQS in Frankfurt/Main:- Risikomanagement: Jeder Dienstleister muss nachweisen können, dass er eine Risikoanalyse und -bewertung vorgenommen hat. Er muss zudem Maßnahmen zur Risiko-Minimierung ergreifen und sie regelmäßig auf Wirksamkeit überprüfen. Die Risikoanalyse ist schriftlich vorzulegen. Ein vordefiniertes Format gibt es nicht, die Ausführungen müssen plausibel und nachvollziehbar sein.- Geeignete Fahrzeuge: Die Anforderungen hängen von den transportierten Arzneimitteln ab. Für OTC-Produkte reichen unter Umständen normale Fahrzeuge aus, für temperaturgeführte Ware sind Aufbauten nach DIN SPEC 91323 nötig. Fahrzeuge und Transportverpackungen müssen von einem entsprechenden Dienstleister qualifiziert werden. Auch passive Kühlung mit speziellen Transportboxen ist möglich. Entscheidend ist, dass der Temperatur-Korridor nachweislich und sicher eingehalten wird.- Geschultes Personal: Der Dienstleister muss nachweisen können, dass alle Mitarbeiter ab dem ersten Arbeitstag geschult werden. Sie müssen mit grundlegenden Hygienevorschriften (Beispiel: im Fahrzeug nicht rauchen) und Sicherheitsregeln (Beispiel: Fahrzeug stets abschließen) vertraut sein.- Sichere Gebäude: Welche Sicherheits-Anforderungen erfüllt werden müssen, hängt von der Art der beförderten Arzneimittel ab. Bei besonders diebstahlgefährdeten Produkten ist es sinnvoll, höhere Sicherheitsstandards zu integrieren. Es ist zum Beispiel hilfreich, dass der Betrieb eine TAPA-Zertifizierung hat (TAPA schreibt etwa Alarmanlagen und Videoüberwachung vor, mehr Informationen unter tapaonline.org).- Klare Prozesse: Der Dienstleister muss nachweisen, dass er die nötigen Abläufe sicher abwickeln kann - von der Übernahme der Ware bis zur Auslieferung an den Empfänger (gegebenenfalls mit Identitätsüberprüfung). cg Praxislösung pralle Logistik "Ausgaben über den Frachtpreis kompensieren" Bis zu sechs Mal am Tag werden deutsche Apotheken mit Arzneimitteln aus dem Großhandel beliefert. Zu den Dienstleistern, die diese Transporte organisieren, gehört auch Pralle Logistik aus Langenhagen: Das Familienunternehmen beschafft die nötigen Frachtführer, übernimmt Tourenplanung sowie Störungsmanagement und kümmert sich um die nötige Software auf den im Fahrzeug mitgeführten Datenfunkgeräten (unter anderem für die Ortung und Ermittlung von Leistungsdaten)."Der Kunde will möglichst vom gesamten Transportprozess befreit sein", erklärt Geschäftsführer Andreas Pralle. Eine Herausforderung war für seinen Betrieb 2014 die Umsetzung der GDP: Mehrere Hundert Fahrzeuge mussten mit einer zusätzlichen Verschalung und Lüftungsauslässen für eine Klimatisierung des Laderaums ausgestattet werden. Das bedeutete Investitionen von 6000 bis 9000 Euro pro Fahrzeug, die komplett von den Subunternehmern getragen werden mussten. Durch Verhandlungen mit dem Hersteller der Ausrüstung hat Pralle erreicht, dass auch Frachtführer ohne perfekte Bonität eine Finanzierung für das Equipment bekamen."Außerdem konnten wir die Ausgaben über den Frachtpreis kompensieren - nach harten Kämpfen", so der Geschäftsführer. Die aktuell größte Herausforderung liegt für den mittelständischen Transport- und KEP-Dienstleister im Fahrermangel, der auch im Kuriersegment zunimmt. Die Ertragslage im Pharmasegment beurteilt Praktiker Pralle verhalten."Wir leisten eine einmalige Hochfrequenz-Logistik, doch die Frachtumsätze entsprechen dem leider nicht." Dennoch will Pralle das Pharmageschäft fortführen."Das ist einer der Märkte, die sich massiv positiv entwickeln werden, nicht zuletzt durch die demografische Entwicklung." cg