Neue Chancen für Logistiker im E-Commerce von morgen

Der E-Commerce befindet sich im Umbruch: Wirtschaftliche Unsicherheit, die zunehmende Dominanz internationaler Plattformen und die wachsende Akzeptanz neuer Technologien wie künstliche Intelligenz (KI) prägen das Konsumverhalten und die strategische Ausrichtung des Handels. Kundinnen und Kunden agieren kritischer, verschieben Einkäufe zunehmend in digitale Kanäle und erwarten gleichzeitig flexible, schnelle und personalisierte Einkaufserlebnisse. Die Logistik wird damit in nahezu allen Unternehmen in den Wertschöpfungsnetzen zu einem zentralen Wettbewerbsfaktor. Im Folgenden werden vier zentrale Trends im E-Commerce dargestellt und ihre Implikationen für die Logistik analysiert. Fokus auf den Preis Der Handel kämpft weiterhin mit den Folgen der anhaltenden Wirtschaftskrise: Die Konsumstimmung bleibt gedrückt und spiegelt sich in einer erheblichen Kaufzurückhaltung wider, welche die Branche massiv unter Druck setzt. Mehr als die Hälfte der Verbraucherinnen und Verbraucher äußert die Sorge, den eigenen Lebensstandard künftig nicht halten zu können. Dabei kann von Entspannung keine Rede sein: Der Anteil derjenigen, die der Aussage "Ich habe Angst, angesichts der Wirtschaftskrise meinen Lebensstandard nicht mehr halten zu können" zustimmen, ist im Vergleich zum Vorjahr von 46 Prozent auf 53 Prozent noch deutlich gestiegen, wie die brandaktuelle "Schwerpunktstudie 2025" der IFH Förderer aufzeigt. Diese Stimmung spiegelt sich neben verschobenen Käufen auch in einem veränderten Kaufverhalten wider: Über die Hälfte der Konsumenten gibt an, bei Rabattaktionen Preise intensiver zu vergleichen als noch vor einigen Jahren. Fast ebenso viele (44 Prozent) kaufen gezielt online ein, um von der höheren Transparenz und Vergleichbarkeit der Preise zu profitieren. Dieser Trend führt dazu, dass auch die Markenloyalität sinkt: Rund ein Drittel der Konsumenten verzichtet inzwischen bewusst auf teurere Markenprodukte und greift stattdessen zu günstigeren Alternativen. Für Händlerinnen und Händler ist es zunehmend herausfordernd, die Balance zwischen preislicher Wettbewerbsfähigkeit und differenzierenden Services zu halten. Insbesondere Discounter und Plattformanbieter profitieren von dieser Entwicklung, da sie glaubwürdig Kostenvorteile kommunizieren können. Für die Logistik hat das weitreichende Folgen. Effizienz steht stärker im Fokus denn je, Händler versuchen ihre Logistikkosten weiter zu optimieren. Gleichzeitig bleiben auf Kundenseite sehr hohe Erwartungen an eine reibungslose Lieferung bestehen. Unternehmen sind daher gezwungen, durch Automatisierung, Digitalisierung und Kooperationen ihre Prozesse effizienter und effektiver zu gestalten. Ebenso gewinnen optimierte Retourenprozesse an Bedeutung, da gerade in preissensitiven Märkten hohe Rücksendequoten ein erhebliches Risiko darstellen. Omnichannel wird Standard Die extreme Preisorientierung verschärft in vielen Kategorien die Kanalverschiebung in Richtung Onlinehandel. Das Online-Wachstum fiel mit rund 3,5 Prozent im Jahr 2024 zwar vergleichsweise moderat aus, dennoch ist die Richtung eindeutig. IFH-Prognosen erwarten bis 2026 ein Volumen von rund 110 Milliarden Euro Umsatz. Diese Entwicklung geht in einem wachstumsschwachen Gesamtmarkt zulasten des stationären Handels, dessen Flächen weiter unter Druck geraten. Gleichzeitig verschwimmen die Grenzen zwischen Online- und Offline-Welt, und Konsumenten nutzen immer häufiger beide. Fast die Hälfte von ihnen informiert sich heute bereits online, bevor sie ein Produkt im stationären Handel erwerben. Besonders die jüngeren Zielgruppen wechseln ganz selbstverständlich zwischen Online- und Offline-Kanal - für sie ist ein "kanal-egal"-Einkaufsverhalten längst Normalität. Umgekehrt wird auch der Ladenbesuch digital unterstützt - das Smartphone fungiert als permanenter Begleiter, über den Preise verglichen, zusätzliche Produktinformationen abgerufen oder mobile Bezahlmöglichkeiten genutzt werden. Ein Drittel der Konsumenten, die im Rahmen einer Studie des ECC Köln und 1WorldSync befragt wurden, würde es begrüßen, jederzeit und überall mobil bezahlen zu können, bei den unter 30-Jährigen liegt dieser Anteil sogar bei 47 Prozent. Schon heute ersetzt das Smartphone bei jedem Sechsten das klassische Portemonnaie - ein klares Signal, dass digitale Schnittstellen den stationären Handel dauerhaft prägen werden. Damit steigen die Erwartungen an ein Omnichannel-Angebot, das heutzutage längst kein optionales Zusatzangebot mehr ist, sondern zum Standard gehört, den Konsumenten erwarten. Für Händler bedeutet dies, dass die klare Trennung zwischen Kanälen obsolet wird. Sie müssen ein nahtloses Einkaufserlebnis schaffen, das alle Kontaktpunkte konsistent verbindet - von der Inspiration über den Kauf bis hin zur Lieferung oder Rückgabe. Damit werden auch Themen wie Transparenz, Echtzeit-Bestandsführung und eine flexible Logistik zu Schlüsselfaktoren. Ob Click & Collect, Same-Day-Delivery oder Ship-from-Store: Die Leistungsfähigkeit der Logistik entscheidet zunehmend darüber, ob ein Omnichannel-Versprechen eingehalten und Kundenerwartungen erfüllt werden können. Neue Anbieter im Vormarsch Parallel dazu schreitet die Dominanz von Plattformen weiter voran. Zwar baut Amazon seine Stellung als Platzhirsch am Markt kontinuierlich weiter aus, mit einem Marktanteil von nunmehr rund 65 Prozent. Neue Anbieter wie Temu oder Shein gewinnen mit hohem Werbedruck und hoher Preisaggressivität an Bedeutung - insbesondere in den Segmenten Mode und Geschenkartikel. Schon heute wird mehr als die Hälfte des gesamten Online-Umsatzes über Plattformen abgewickelt, wobei neben den genannten insbesondere Ebay eine große Bedeutung aufweist. Für Hersteller und Händler ist die Anbindung an Plattformen kaum noch optional: Reichweite, Sichtbarkeit und Lieferstandards werden entscheidend über die Präsenz auf Plattformen bestimmt. Gleichzeitig verschärft der Preiswettbewerb die Bedingungen, da Kunden hier höchste Transparenz und Vergleichbarkeit erwarten. Für die Logistik ergibt sich daraus eine doppelte Herausforderung: Zum einen muss die Anbindung an Plattformservices wie Amazon FBA erfolgen, um die dort etablierten Standards für Liefergeschwindigkeit und Servicequalität zu erfüllen. Zum anderen müssen Händler ihre eigenen Kanäle parallel betreiben und die Versorgung stationärer Flächen sicherstellen. In diesem Kontext gewinnt Logistik als Differenzierungsfaktor an Bedeutung: Nachhaltige Verpackungen, Same-Day-Delivery oder flexible Zustelloptionen werden zu entscheidenden Elementen, um sich im Wettbewerb nicht nur über den Preis, sondern auch über den Service zu positionieren. Neue Plattformen aus Fernost verschärfen den Druck zusätzlich, da sie oft über integrierte Lieferketten verfügen und Produkte direkt zu extrem niedrigen Preisen nach Europa liefern. KI: Handel agiert zurückhaltend Einen weiteren Schub erfährt die Branche durch die zunehmende Nutzung neuer Technologien, allen voran künstliche Intelligenz. Neueste Ergebnisse aus der Schwerpunktstudie der IFH Förderer zeigen: Während bereits über 40 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten Anwendungen wie ChatGPT einsetzen und gerade jüngere Zielgruppen eine hohe Technologieaffinität zeigen, agiert der Handel selbst noch vergleichsweise zurückhaltend. Nur ein Drittel der Unternehmen rechnet mit revolutionären Veränderungen durch KI, und vielfach erfolgt der Einsatz bislang lediglich punktuell. Dabei ist das Potenzial von künstlicher Intelligenz beachtlich: Es reicht von Prozessoptimierungen über individualisierte Produktempfehlungen bis hin zu maßgeschneiderten Vorteilsprogrammen und kann an nahezu jedem Punkt der Customer Journey Mehrwert erzeugen. Flächendeckend etabliert ist KI bislang vor allem im Bestandsmanagement und in der Logistik - dort nutzen 53 Prozent der Händler entsprechende Lösungen, um Kosten zu senken, die Datenqualität zu verbessern oder manuelle Aufgaben zu automatisieren. KI-gestützte Prognosemodelle erhöhen die Genauigkeit von Absatz- und Nachfrageplanungen, automatisierte Routenplanung senkt Kosten und reduziert Emissionen, während Robotik und intelligente Lagerverwaltung die Produktivität steigern. Gleichzeitig unterstützt KI die Bereinigung und Analyse großer Datenmengen und schafft damit eine bessere Grundlage für operative Entscheidungen. Doch trotz dieser Fortschritte bleibt die Umsetzung eine Herausforderung: Fehlendes Know-how, komplexe IT-Integration und die oftmals unzureichende Datenbasis bremsen die flächendeckende Nutzung. Entscheidend wird sein, KI nicht nur punktuell einzusetzen, sondern strategisch zu verankern - als Rückgrat einer effizienten, flexiblen und datengetriebenen Logistik. Fazit: Aufwertung für die Logistik Das Fazit: Der E-Commerce wird derzeit von einer doppelten Dynamik geprägt. Konsumenten agieren preisbewusster und kritischer, erwarten aber gleichzeitig Geschwindigkeit, Flexibilität und Komfort. Plattformen und Omnichannel-Modelle verschärfen die Anforderungen, während KI neue Effizienzpotenziale eröffnet. Für die Logistik bedeutet dies eine strategische Aufwertung. Sie ist nicht länger nur eine Kostenstelle, sondern zunehmend das Element, das über Wettbewerbsfähigkeit und Kundenzufriedenheit entscheidet. Unternehmen, die Kostenoptimierung, Flexibilität, Plattformintegration und technologische Innovation miteinander verbinden, werden im künftigen Wettbewerb die Nase vorn haben. Kai Hudetz hat an der Universität Karlsruhe Wirtschaftsingenieurwesen studiert und wurde im Jahr 2000 an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln zum Doktor der Staatswissenschaften promoviert. Er ist seit August 2009 Geschäftsführer des IFH Köln (Institut für Handelsforschung), für das er inzwischen seit nahezu 30 Jahren tätig ist. 1999 gründete der E-Commerce-Experte der ersten Stunde die Wissens-, Beratungs- und Networking-Plattform ECC Köln, eine Tochtermarke des IFH Köln, und hat seitdem unzählige Unternehmen aus Handel und Industrie bei der kundenzentrierten Transformation ihrer Geschäftsmodelle beraten. Hudetz ist Mitglied in zahlreichen Aufsichtsräten und Beiräten und ein gefragter Referent bei Branchenevents.