Auf den ersten Blick scheint Bundeskanzlerin Angela Merkel in den sechs Monaten als EU-Ratspräsidentin gute Arbeit geleistet zu haben. Selbst die Opposition stellt der Bundesregierung insgesamt ein gutes Zeugnis aus. Doch bei allem Glanz, hat der schöne Schein doch manche trübe Stelle. Eines ist den Deutschen in den vergangenen sechs Monaten tatsächlich gelungen: Merkel und ihre Kabinettskollegen haben das Thema Klimaschutz auf die politische, wenn nicht sogar gesamtgesellschaftliche Agenda gesetzt. Quer durch alle Politikbereiche zog sich ein „grüner Faden“. So auch in der Verkehrspolitik, wo sich Ressortchef Wolfgang Tiefensee für die Einführung des Emissionshandels in der Luftfahrt und die Förderung umweltfreundlicher Schiffsmotoren einsetzte. Auswirkungen hatte diese Themensetzung auch abseits der politischen Bühne: Der überstürzte Abgang des langjährigen VDA-Präsidenten Bernd Gottschalk lag zum guten Teil an der aufkochenden Klimadebatte, welche die deutsche Fahrzeugindustrie und deren obersten Lobbyisten völlig unvorbereitet traf. Auf der europäischen Bühne musste sich Tiefensee ausgerechnet beim Prestigeprojekt Galileo als Krisenmanager beweisen. Die Industrie hatte sich aus der Finanzierung des europäischen Satellitennavigationssystems verabschiedet und Europas Verkehrspolitiker setzten bewährt auf den Steuerzahler, um das milliardenteure Vorhaben zu retten. Das war keine europäische Sternstunde! Ein wichtiges Thema der deutschen Ratspräsidentschaft hätte für Tiefensee und Wirtschaftsminister Michael Glos die Postliberalisierung sein müssen. In Berlin ist jedoch die schwarz-rote Koalition in der Frage der Briefmarktöffnung tief gespalten. Auf dieser Grundlage war eine Einigung in Brüssel mit den 26 EU-Partnern unmöglich. So erbt Tiefensees Nachfolger, der Portugiese Mário Lino, neben der Galileokrise auch dieses schwierige Thema. Sebastian Bollig Redakteur
Deutsche Ratspräsidentschaft: Europäische Sternstunden
Der Kommentar der Woche von Sebastian Bollig, Redakteur