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Debatte über Wochenend-Fahrverbote – Kritik an Wissing

15.04.2024 15:13 Uhr | Lesezeit: 6 min
Leere A99
Im Jahre 973 gab es schon einmal wegen der Ölkrise "autofreie Sonntage" in Deutschland
© Foto: picture alliance/SvenSimon/Frank Hoermann

Der Verkehrssektor ist weit von gesetzlichen Vorgaben beim CO₂-Einsparen entfernt. Die Klimaschutz-Vorgaben für den Verkehr ließen sich nur mit Fahrverboten erreichen, meint Minister Wissing – und pocht auf die geplante Reform. Dafür erntet er Kritik. Ein neuer Bericht zeigt, wie groß die Lücke ist.

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Der Verkehrsbereich hat nach Angaben des unabhängigen Expertenrats für Klimafragen auch 2023 deutlich mehr Abgase verursacht als gesetzlich erlaubt. Statt der erlaubten 133 Millionen Tonnen CO₂seien im Verkehr im vergangenen Jahr 146 Millionen Tonnen Treibhausgase entstanden, schreiben die Fachleute in ihrem am Montag in Berlin veröffentlichten Prüfbericht zu im März vorgestellten Daten des Umweltbundesamts (UBA). Damit verfehlt der Verkehrssektor sein Klimaziel das dritte Jahr in Folge. 

 Auch der Gebäudesektor hat sein Ziel nach UBA-Berechnungen knapp verpasst, was der Expertenrat angesichts großer Unsicherheit bei den berechneten Daten aber weder bestätigen noch verwerfen möchte. Dennoch müsse auch hier nun das gesetzlich vorgeschriebene Sofortprogramm zum Nachsteuern vorgelegt werden, so die Fachleute. Dafür haben die zuständigen Minister drei Monate Zeit. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat Wochenend-Fahrverbote angedroht – anders sei das Verkehrsziel nicht zu schaffen. Er will damit Druck machen für eine zügige Reform des Klimaschutzgesetzes, die diese Pflicht abschaffen soll. Das Bundeskabinett hat sie bereits verabschiedet, eine Einigung im Bundestag steht aber noch aus.

Rund 10 Prozent weniger Treibhausgase

Trotz Unsicherheiten bestätigt auch der Expertenrat den starken Rückgang der Emissionen im vergangenen Jahr von rund 10 Prozent gegenüber 2022. Der Ausstoß ist von 750 auf 674 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente gesunken. Zur besseren Vergleichbarkeit werden andere Treibhausgase in CO₂ umgerechnet.

Dies sei der höchste prozentuale Rückgang binnen eines Jahres seit 1990. Wie schon das UBA und Bundesklimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) führt aber auch der Expertenrat das nicht auf wirksame Klimaschutzpolitik, sondern die schwächelnde Wirtschaft und das Wetter zurück. "Ohne den Rückgang der energieintensiven Industrie und die erneut milde Witterung im Jahr 2023 hätten die Emissionen deutlich höher gelegen", sagte der Vorsitzende des Rates, Hans-Martin Henning. Unter anderen Bedingungen wäre das Jahres-Gesamtziel wohl nicht erreicht worden. Mit den steigenden Temperaturen könne es aber sein, dass auf Dauer weniger geheizt werden müsse.

Die umstrittenen Sofortprogramme

Wenn einzelne Bereiche Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ministerien der Bundesregierung mit Sofortprogrammen nachlegen. Die jährlich zulässigen Jahresemissionsmengen für die Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude stehen im Klimaschutzgesetz. Die bisher beschlossenen Maßnahmen reichten nicht aus, betonte der Expertenrat. 

Die genauen Klimaziele für einzelne Wirtschaftsbereiche sind der FDP ein Dorn im Auge. Im Grundsatz hat sich die Koalition aus SPD, Grünen und FDP eigentlich auch bereits auf eine Reform geeinigt: Demnach soll es künftig vor allem darauf ankommen, ob Treibhausgas-Sparziele über alle Bereiche hinweg insgesamt eingehalten werden. Die Ampel-Fraktionen im Bundestag können sich bislang jedoch nicht auf die Details einigen, die Grünen fürchten eine Aufweichung. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) stellte zuletzt Fahrverbote in den Raum, falls die geltende Regelung nicht bald durch die Reform abgelöst werde. 

Fehlt Geld für den Klimaschutz?

Wenn schon die im vergangenen Sommer vorgelegten Klima-Pläne nicht reichten, dann hat sich die Lage seither noch verschlechtert, merken die Experten an. Denn nachdem das Bundesverfassungsgericht im November ein Milliardenloch in die Finanzplanungen des Bundes gerissen hatte. Die danach in der Regierung ausgehandelten Kürzungen betreffen auch den Klima- und Transformationsfond (KTF), einen wichtigen Topf zur Förderung des klimafreundlichen Umbaus der deutschen Industrie. "Das KTF-Urteil resultiert in Mittelkürzungen in diesem Jahr und engt den Spielraum für die folgenden Jahre ein. Da fast die Hälfte der Maßnahmen des Klimaschutzprogramms fiskalischer Natur sind, verringert dies die Wahrscheinlichkeit, dass die angenommene Minderungswirkung tatsächlich eintritt", erklärte die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats, Brigitte Knopf, zum erwarteten Treibhausgas-Ausstoß. Zudem werde das Klimaschutzprogramm im Gebäudesektor "weniger ambitioniert" umgesetzt, so die Fachleute. "Auch im Verkehrssektor ist bei einigen Maßnahmen eine verminderte Wirkung zu erwarten, zudem ist eine Zunahme des Pkw-Verkehrs zu beobachten."

Der Expertenrat ist ein Wissenschaftler-Gremium. Zu seinen Aufgaben laut Bundesklimaschutzgesetz gehört die jährliche Prüfung der vorläufigen Daten des Umweltbundesamts zum Treibhausgas-Ausstoß des Vorjahres. Endgültige Daten werden aber erst im kommenden Jahr geben. Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, seinen Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein, also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als wieder gespeichert werden können.

Ablenkungsmanöver und Panikmache

Nach einer Warnung vor möglichen Wochenend-Fahrverboten werfen Grünen-Politiker und Verbände Bundesverkehrsminister Volker Wissing Ablenkungsmanöver und Panikmache vor. Der nordrhein-westfälische Verkehrsminister und Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Oliver Krischer (Grüne), sagte der Deutschen Presse-Agentur, bei allem Verständnis für politische Zuspitzung wäre es angebracht, dass Wissing zur Sachpolitik zurückkehre. "Das Problem ist nämlich nicht das Klimaschutzgesetz des Bundes, sondern eine Verkehrspolitik, die eben nicht an den Zielen von Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgerichtet ist." Wissing erhöhte derweil weiter den Druck auf die Ampel-Partner, die geplante Reform des Klimaschutzgesetzes rasch umzusetzen.  Krischer sagte, es lägen zahlreiche verkehrspolitische Maßnahmen auf dem Tisch, die auf Verbesserung von Mobilität genauso einzahlten wie auf das Erreichen von Klimaschutzzielen. "Statt Menschen zu drohen, würden wir gerne mit Herrn Wissing bei der Verkehrsministerkonferenz nächste Woche darüber reden, wie wir die Finanzierung von Erhalt und Ausbau der Infrastruktur hinbekommen."

Die Verkehrsministerkonferenz tagt am kommenden Mittwoch, 17. April, und Donnerstag, 18. April, in Münster. Ein wichtiges Thema ist die Zukunft des Deutschlandtickets im Nah- und Regionalverkehr. Der Grünen-Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar warf Wissing Desinformation vor. "Selbst die gerichtliche Verpflichtung, endlich ein ordentliches Klimaschutzprogramm vorzulegen, beinhaltet null die Verpflichtung zu Fahrverboten", sagte er dem "Stern" am Samstag. 

Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sprach von Panikmache. Es sei überfällig, dass mehr Klimaschutz im Verkehrssektor umgesetzt werde, sagte sie der Funke Mediengruppe. "Eine Verkehrswende für Klimaschutz zeichnet sich durch eine Vielzahl von Komponenten aus, wie beispielsweise die Aufhebung des Dieselsteuerprivilegs und Dienstwagenprivilegs, die Förderung von ÖPNV und Schienenverkehr oder aber ein Bonus-Malus-System zur Förderung emissionsarmer Fahrzeuge und der Elektromobilität."

Der Handelsverband Deutschland (HDE) mahnte, dass eine Debatte über Fahrverbote am Wochenende für den Einzelhandel Gift sei. "Die Konsumstimmung ist schon schlecht genug. Das Letzte, was der Einzelhandel jetzt braucht, ist noch mehr Verunsicherung für die Kundinnen und Kunden", sagte der Hauptgeschäftsführer Stefan Genth der Funke Mediengruppe. 

Auch Lindner warnt vor möglichen Fahrverboten

Nach Verkehrsminister Volker Wissing hat auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (beide FDP) vor möglichen drastischen Mobilitätseinschränkungen bis hin zu Fahrverboten für Verbrenner-Motoren gewarnt. Lindner appellierte am Samstag an den Grünen-Koalitionspartner, die Reform des Klimaschutzgesetzes nicht zu blockieren. Das einst von der CDU auf den Weg gebrachte Klimaschutzgesetz sei "zutiefst planwirtschaftlich" und stoße an die Freiheit der Menschen, sagte Lindner beim Landesparteitag der Nordrhein-westfälischen FDP in Duisburg. 

Sollten die Grünen ihre Blockade nicht aufgeben, wären in Deutschland "drakonische Freiheitseinschränkungen bis hin zu Fahrverboten für Verbrennungsmotoren" denkbar, so Lindner. Die Grünen dürften die Akzeptanz des Klimaschutzes nicht gegen "dramatische Freiheitseinschränkungen" aufs Spiel setzen. Das derzeitige Gesetz könne auch dazu führen, dass die Bundesregierung verklagt werde, weil "unerreichbare Ziele im Bereich des Verkehrs verfehlt werden". Man könne sich aber "nicht herbeizaubern, dass plötzlich fünf Millionen neue Elektrofahrzeuge zugelassen werden".

In den ARD-"Tagesthemen" wiederholte Wissing seine Forderung nach einer raschen Reform des Klimaschutzgesetzes. "Diese Sektorziele sind natürlich nicht erreichbar im Verkehr, wenn man nicht ganz rabiate Maßnahmen ergreift", sagte er. Ein von vielen befürwortetes Tempolimit auf Autobahnen würde dabei aus seiner Sicht nicht helfen, weil dadurch zu wenig Treibhausgase eingespart würden. "Dann hätten Sie die Situation, dass Sie quasi den Rest nicht mit zwei Tagen Fahrverbot, sondern mit eineinhalb Tagen erreichen müssen – das ist keine Lösung".

Deutsche Umwelthilfe fordert Tempolimit und Sanierungs-Turbo

Der Expertenrat der Bundesregierung für Klimafragen hat heute seinen Prüfbericht zu den klimarelevanten Emissionsdaten des Jahres 2023 vorgelegt und kritisiert darin die unzureichende Klimaschutzpolitik des Bundes – insbesondere in den Sektoren Verkehr und Gebäude. Diese haben im letzten Jahr zum dritten beziehungsweise vierten Mal in Folge die gesetzlich festgelegten Emissionsobergrenzen gerissen. Dazu sagt die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe (DUH) Barbara Metz: "Der von der Bundesregierung selbst berufene Expertenrat bescheinigt ihr, dass sie beim Klimaschutz versagt – vor allem bei Verkehr und Gebäuden. Wie groß die Panik in der Regierung deswegen ist, zeigt sich an den durchschaubaren Fahrverbots-Manövern der FDP-Minister Wissing und Lindner am vergangenen Wochenende. Sie fürchten zu Recht, dass sie nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nun am 16. Mai durch unsere nächsten Klimaklagen zu mehr Klimaschutz verurteilt werden. Sie wollen ihre Koalitionspartner erpressen, das Klimaschutzgesetz zu entkernen, um so ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen und ihren jahrelangen Bruch des Gesetzes zu vertuschen.

Und Wissing und Lindner lügen: Denn es gibt natürlich sofort wirksame Klimaschutzmaßnahmen, die viel weniger einschneidend sind, die überall auf der Welt bereits laufen und die durch eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung gewollt sind. Wir fordern SPD und Grüne auf, sich nicht erpressen zu lassen, sondern stattdessen jetzt sofort ein Tempolimit 100/80/30 einzuführen, das mehr als 11 Millionen Tonnen CO₂  pro Jahr einsparen würde. Zusammen mit der Abschaffung klimaschädlicher Subventionen wie dem Dienstwagenprivileg wäre das ein großer Schritt in die richtige Richtung für den Verkehrssektor. Und wir fordern die Ampel auf, sofort einen Sanierungs-Turbo zu beschließen, um insbesondere die schlechtesten Gebäude schnellstmöglich zu dämmen und enorme Mengen unnötiger Treibhausgase einzusparen. Falls die Regierung dies nicht tut, werden wir sie auf dem Rechtsweg dazu zwingen!"

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