1000 Stunden für 32 Seiten

Mit Thomas A. Edison eröffnet der Logistikdienstleister Contargo seinen Nachhaltigkeitsbericht. "Wenn es einen Weg gibt, etwas besser zu machen, finde ihn", soll der amerikanische Erfinder gesagt haben. "Wir gehen davon aus, dass nachhaltige Prozesse die Persönlichkeit eines Unternehmens prägen", versichert Verkaufs- und Vertriebsleiterin Kristin Kahl im Vorwort. Wesentlich nüchterner begründet die Spedition Hoyer Group ihren Auftritt. Wer im weltweiten Markt langfristig und nachhaltig unternehmerischen Erfolg haben will, muss bei den Themen Ökonomie, Ökologie und Soziales Verantwortung zeigen, heißt es in den ersten Sätzen. Der Dienstleister, der in 115 Ländern tätig ist, veröffentlicht seinen Bericht ausschließlich auf Englisch und online. Auch Contargo verzichtet auf eine Version auf Papier. Mit dieser Maßnahme wollen beide ein zusätzliches Signal für ihre Nachhaltigkeit setzen. Hoyer und Contargo sind keine Einzelfälle. Immer mehr große Logistikunternehmen wenden sich mit Nachhaltigkeitsberichten an Kunden und andere "Stakeholder". Auf bis zu 50 Seiten beschreiben sie, welche Maßnahmen sie bislang für den Schutz der Umwelt, die Sicherheit ihrer Dienstleistungen oder die sozialen Belange ihrer Mitarbeiter getroffen haben und wie sie diese weiter verbessern wollen. Die meisten kleineren und mittleren Unternehmen haben von einem solchen Werk bislang abgesehen, weil sie offenbar einen zu hohen Aufwand fürchten. Wenigstens eine halbe Stelle müsse ein Unternehmen für die Vorbereitung eines Nachhaltigkeitsberichts einplanen, räumt Stefan Hinz ein. Trotzdem hält der Teamleiter Nachhaltigkeit der Hermes Logistikgruppe, der auch den Arbeitskreis Nachhaltigkeit der Logistikinitiative Hamburg (LIHH) leitet, einen Verzicht für falsch. "Auch kleine Unternehmen sollten wenigstens alle zwei Jahre einen Nachhaltigkeitsbericht vorlegen", rät Hinz. "Weil unsere Branche immer stärker unter der Beobachtung der Öffentlichkeit steht, müssen möglichst viele Unternehmen ihre Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesellschaft transparent dokumentieren und kommunizieren." In einem Leitfaden bezeichnet die LIHH Nachhaltigkeitsberichte als ideales Instrument, um Umwelt- und andere Maßnahmen darzustellen. Die Unternehmen müssten hierbei über ihre Lösungen für Energieeinsparungen, Treibstoffreduktion und Abfallvermeidung hinaus auch soziale Maßnahmen für die Mitarbeiter wie Arbeits- und Gesundheitsschutz oder Ausund Weiterbildung schildern. Die meisten Inhalte inklusive Managementsystem für weitere Verbesserungen seien ohnehin Gegenstand von ISO 14001 und anderen Umweltnormen, räumt Hinz ein. Genau deshalb rät Hartmut Zadek (Universität Magdeburg), Aufwand und Ertrag eines Nachhaltigkeitsberichts vorab genau zu kalkulieren. Ein zertifiziertes Unternehmen könne seine Nachhaltigkeit auch per Pressemeldung oder Newsletter kommunizieren. "An einer Zertifizierung oder einem Balanced-Scorecard-Verfahren, welches Verbesserungen anhand von Kennzahlen misst, kommt ein Logistikunternehmen nicht mehr vorbei", bekräftigt Zadek. Auf neue Anforderungen des Gesetzgebers wie die Corporate-Social-Responsibility-Richtlinie der EU, welche die Logistikbranche zumindest indirekt betrifft, seien solche Unternehmen dann besser vorbereitet (siehe Kasten Seite 30). Öffentlichkeit macht Druck Für die seit Jahren zertifizierten Unternehmen Contargo und Hoyer gilt dies in jedem Fall. Die Inhalte ihrer Nachhaltigkeitsberichte gleichen sich weitgehend. Beide Dienstleister zeigen, welche Fortschritte ihre Mitarbeiter bereits erreicht haben und beschreiben das weitere Vorgehen. "Als große Gefahrgutspedition stehen wir bei Marktbeobachtungen immer in der ersten Reihe und haben deshalb bereits 2011 den ersten Nachhaltigkeitsbericht angefertigt", sagt Mark Binns, Nachhaltigkeitsmanager von Hoyer. So will die Spedition die CO2-Emissionen bis 2020 um 25 Prozent senken. Die Hamburger möchten hierfür ihre Transportprozesse weiter optimieren und zusätzliche Intermodalverkehre einführen. Außerdem sollen dann über 95 Prozent der 2500 Lkw-Zugmaschinen mit Euro-5- oder Euro-6-Motoren ausgerüstet sein. Contargo will 2018 mit einer verstärkten Nutzung vorhandener Tools rund 25 Prozent Energie weniger verbrauchen. Ausführlich beschreiben die Mannheimer das Slow Steaming (Langsamfahrt) ihrer Binnenschiffslinienverkehre, damit die Schiffe "just in time" im Terminal eintreffen. "Mit 18 Prozent verringerter Geschwindigkeit können Binnenschiffe Energieverbrauch und CO2-Verbrauch halbieren", heißt es in dem Bericht. Außerdem kündigt der Dienstleister Fahrerschulungen an allen 25 Standorten an, um noch mehr als die bislang bereits erreichten 15 Prozent Treibstoff einzusparen. Beworben wird zudem ein kostenloser Tarifrechner, mit dem derzeit 1280 Nutzer die Emissionen ihrer Transporte ermitteln und umweltfreundlichere Alternativen wählen können. "Wir bieten bereits heute solche Lösungen mit vielen eigenen Bahn- und Binnenschifflinien selbst an", spielt Nachhaltigkeitsmanagerin Kahl den Ball an die Kunden zurück. Gemeinsam können die selbst gestellten Ziele noch schneller und leichter erreicht werden. Auch Weiterbildung ist ein Thema Der Contargo-Bericht ist 32 Seiten lang. Hoyer kommt hingegen mit 12 Seiten aus. Die Hamburger Spedition stellt Fortschritte bei CO2-Emissionen, Umstellung auf Intermodal-Verkehre und andere Themen ausschließlich in Tabellen dar. So wurden Schadstoffausstöße in fünf Jahren von 27,82 Gramm CO2 pro Tonnenkilometer (2009) auf 21,11 Gramm (2014) gesenkt, der Anteil von intermodalen Transportkilometern stieg im gleichen Zeitraum von 69,2 Prozent auf 80,8 Prozent. Auch die Förderung der Mitarbeiter wird nach Alters- und Berufsgruppen aufgeschlüsselt in Tabellen abgebildet. So haben sich Lagermitarbeiter 2014 im Schnitt 4,24 Stunden lang weitergebildet. Fahrer kommen auf 13,82 Stunden. Regelmäßig befragt das Unternehmen seine Mitarbeiter zu deren Anforderungen. Allerdings bleibt unklar, was diese wirklich wünschen und zu welchen Themen sie weitergebildet werden. Contargo wird hier präziser. Die Mannheimer listen auf, welche Schulungen die fast 900 Mitarbeiter vom Fahrer bis zur Führungskraft durchlaufen haben. Außerdem schildern sie, wie die Kollegen im Berufsalltag dank LED-Lampen, Recycling-Papier und anderen nachhaltigen Produkten immer umweltfreundlicher arbeiten. Contargo erwähnt aber sogar auch das private Umweltengagement der Belegschaft. "Wir legen großen Wert auf Vorschläge unserer Mitarbeiter", sagt Kahl. "An allen Standorten steht ein Nachhaltigkeitsbotschafter als Ansprechpartner zur Verfügung." 2015 haben die Contargo-Kollegen abschaltbare Verteilersteckdosen durchgesetzt und den Naturschutzbund Deutschland (NABU) als Empfänger des Preisgelds für den Eco Performance Award 2015 gewünscht. Mit diesem europäischen Gütesiegel wurden die Mannheimer auf der Messe Transport Logistic in München ausgezeichnet. Jetzt hat Contargo an 30 Plätzen Flusspatenschaften für zwei Jahre übernommen. Dieses Engagement wird im Nachhaltigkeitsbericht 2016 ebenso hervorgehoben wie eine neue Webapplikation für die Terminvergabe an Lkw-Fahrer. Mit diesem Tool will Contargo Wartezeiten und Rückstaus an den 25 Terminals vermeiden. Kunden lesen Nachhaltigkeitsberichte Eine derart detaillierte Berichterstattung kostet Zeit. Auf 1000 Arbeitsstunden schätzt Contargo den Aufwand für den ersten Bericht 2015, als sich Kennzahlenerhebungen und weitere Abläufe erst noch einspielen mussten. Bleibt die Frage, wie die Kunden auf den Bericht reagieren. Das Schifffahrts- und Containerunternehmen CMA CGM hat die 32 Seiten von Contargo offenbar genau gelesen. "Unser Ziel sind schlanke und nachhaltige trimodale Transportdienstleistungen", versichert Benelux-Director Patrick Kockx. "Contargo ist deshalb einer unserer wichtigen strategischen Partner geworden." Zurückhaltender äußert sich der Hoyer-Neukunde Total Deutschland, dennoch legt das Mineralölunternehmen auch Wert auf Nachhaltigkeit: "Bei jeder Ausschreibung hat Sicherheit oberste Priorität", sagt Sprecher Manuel Fuchs. "Gleichzeitig achten wir auch auf Umweltfreundlichkeit und verlangen von unseren Logistikpartnern doppelwandige Tanksilos." Genau dies ist auch die Kernbotschaft des Nachhaltigkeitsberichts von Total. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Grüne Logistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Tipps zum Erstellen eines Nachhaltigkeitsberichts Nicht nur eine Aufgabe für Großkonzerne - Mit dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) steht auch kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) ein anerkannter Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zur Verfügung. Anhand von 20 Kriterien, welche aus den internationalen Richtlinien Global Reporting Initiative (GRI) und EFFAS (Netzwerk europäischer Finanzanalysten) stammen, kann diese Zielgruppe ihre Nachhaltigkeit ermitteln.- Anhand der 20 DNK-Kriterien kann ein Unternehmen einen Bericht mit Aussagen zu Strategie, Prozessmanagement, Umwelt und Gesellschaft aufbauen. Wichtig sind konkrete Aussagen, welche Einsparungen und Verbesserungen in einem fest umrissenen Zeitraum erreicht werden sollen. Für KMU liegt sogar ein eigener Leitfaden vor.- Gründen Sie für wenigstens ein bis zwei Monate eine Stabsstelle für die Koordination des Berichts. Aufgrund der steigenden Anforderungen macht es langfristig auch für KMU Sinn, eine Person für Nachhaltigkeitsthemen zu bestimmen. Pro Kriterium müssen 500 bis 2000 Zeichen geschrieben werden. Mit einem jährlichen Bericht dokumentieren Sie die Fortschritte Ihres Hauses besonders eindrucksvoll. Neues Gesetz in Arbeit Auch für die Logistik hat die CSR-Richtlinie Folgen Bis Ende 2016 muss die Bundesregierung die sogenannte CSR-Richtlinie (Corporate Social Responsibility) der EU in nationales Recht umsetzen, ein Entwurf des Bundesjustizministeriums liegt seit Frühjahr vor. Vor allem börsennotierte Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern, aber auch weitere Hersteller und Dienstleister dieser Größenordnung, welche international tätig sind und somit von Verbrauchern und Investoren genau beobachtet werden, müssen dann in ihrer jährlichen Berichterstattung beim Thema Nachhaltigkeit Flagge zeigen. Der Gesetzgeber wünscht Informationen zu Umwelt-, Arbeitnehmer- und anderen sozialen Belangen, zur Einhaltung von Menschenrechten sowie zur Bekämpfung von Korruption. "Auch Lieferanten und ihre Logistikpartner müssen ab 2017 mit Nachfragen rechnen", warnt der Leitfaden der Logistik-Initiative Hamburg. Wenn nämlich solche Unternehmen beim Umweltschutz nachlässig sind oder korrupte Mitarbeiter beschäftigen, müssten sich berichtspflichtige Verlader vorwerfen lassen, dass sie wenigstens indirekt Vorteile aus solchen Vorfällen ziehen. bot