Interview Anja Ludwig: "Oft fehlt die Zeit"

In Kürze Die Transport- und Logistikbranche hat einiges an Herausforderungen zu stemmen: Egal ob Fachkräftemangel, Digitalisierung, Elektromobilität oder Cybersicherheit. Versicherer wie die Kravag wollen bei diesen Punkten helfen. Wie genau, berichtet Anja Ludwig im Interview. Sie leiten seit Juli des vergangenen Jahres das Kompetenzzentrum Straßengüterverkehr und Logistik der Kravag. Wenn Sie eine Kurzbeschreibung geben müssten: Was macht das Zentrum aus? Das Kompetenzzentrum ist Verbindungsglied zwischen uns als Versicherer und den Unternehmen. Es hat die Aufgabe, Kundenwünschen und -bedürfnissen auf den Grund zu gehen sowie Entwicklungen in der Branche früh zu erkennen, um darauf reagieren zu können. Außerdem bildet es ein Verbindungsglied zu Wissenschaft und Forschung, mit der wir zusammenarbeiten, zu Verbänden, der Politik und den Medien. Um es zu versinnbildlichen: wie ein Zahnrad, das in verschiedene andere Zahnräder greift und Austausch ermöglicht. Was meinen Sie damit? Wir möchten zum Beispiel dazu beitragen, Unternehmen zu vernetzen - zum eigenen Nutzen, aber auch für die Unternehmen: Die einen entwickeln Ideen oder müssen Hürden bewältigen, die anderen haben Erfahrungen gesammelt oder Lösungen entwickelt. Trotzdem finden sich beide Parteien nicht unbedingt. Wenn Sie diese miteinander vernetzen und daraus entsteht etwas - das ist großartig … Und welchen Nutzen ziehen Sie daraus? Wir wollen auch Versicherungen verkaufen und Services bieten, so ehrlich muss man sein. Aber die Kravag ist aus der Unternehmerschaft gegründet worden. Sie ist ein genossenschaftlicher Versicherer, gehört zur R+V. Wir sehen uns als Dienstleister für die Unternehmen und verfolgen einen partnerschaftlichen Ansatz: Was hilft den Unternehmen und wo können wir helfen, damit diese gut wirtschaften können? Wenn wir als Partner dazu beitragen, dass es den Unternehmen gutgeht, dann geht es auch uns gut. Sozusagen als eine Investition in die Zukunft. Wie sehen Sie denn die Entwicklung im Bereich Digitalisierung? Die digitale Transformation treiben die Unternehmen unterschiedlich stark voran - nach meiner Beobachtung unabhängig von der Größe des Unternehmens und dem Alter der Akteure. Manche sind von der eigentlichen Digitalisierung noch ein Stück weit weg, lösen noch viel über Excel-Tabellen. Sie stecken so tief im Tagesgeschäft, dass sie einfach keine Zeit haben, sich strategisch in puncto Digitalisierung aufzustellen. Dabei könnte das auf lange Sicht gesehen Prozesse verschlanken und Zeit einsparen. Aber diesen einen Schritt, den muss der Betrieb erst einmal gehen. Und der kostet Zeit und Geld. Wie lässt sich das Thema vorantreiben? Es gilt, den Prozess in ein konkretes Doing herunterzubrechen, also in einzelne Schritte. Ich glaube, wir könnten hier auch noch mehr an Best Practice zeigen. Dabei bieten wir gemeinsam mit Partnern schon Hilfe. Die Kravag ist einer der Mitgründer von Wedolo: einer offenen Logistik-Plattform, die Unternehmen bei ihren Digitalisierungs-Bemühungen unterstützt. Allerdings finde ich, müssen wir uns auch fragen, in welchem Tempo man bestimmte Produkte und Services entwickelt, um die Unternehmen nicht zu überfordern. Natürlich gilt es, das Thema voranzutreiben, aber wir sollten es nicht überfrachten. Was heißt das? Denken Sie einmal an den elektronischen Frachtbrief. Das ist eine wunderbare Idee, die alle Akteure auf jeden Fall weiter vorantreiben sollten. Aber da gibt es meiner Ansicht nach noch viele blinde Flecken. Was ist, wenn der italienische Zöllner das Dokument nicht anerkennt? Wenn die Kommunikation und Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten noch nicht ausgereift sind, wird es schwierig. Wie hat sich Corona auf die Digitalisierung ausgewirkt? Corona hat den Unternehmen einen Digitalisierungsschub verpasst. So haben wir eine verstärkte Nachfrage nach digitalen Services bei unserer Kundschaft bemerkt. Zum Beispiel können die Unternehmen in unserem Kundenportal Kravag online jetzt eine Versicherungs-Bestätigung über ihre Verkehrshaftung und Betriebshaftpflicht-Versicherung online und in Echtzeit abrufen. Das System stellt diese auch mit Start- und Ablaufdatum aus - das haben wir auf den Wunsch der Kunden hin realisiert. Geplant ist auch eine Version des Dokuments in englischer Sprache. Über das Portal stellen wir zudem Schnittstellen zu Transportmanagement- und Schadenverwaltungs-Programmen zur Verfügung. Kunden fragen mehr und mehr nach digitalen Schnittstellen in ihre Systeme. Wo sehen Sie aktuell sonst noch größere Herausforderungen für Unternehmen der Transport- und Logistikbranche? Wie können Sie hier unterstützen? Das sind vor allem drei Themen: Personal, alternative Antriebe und Cybersicherheit. Das Thema Fachkräftemangel zieht sich durch fast alle Branchen. Wir wollen den Unternehmen aus Transport und Logistik hier Ideen zur Personalfindung und -bindung an die Hand geben. Für die Personalbindung haben wir 2020 das Versorgungswerk der Verkehrswirtschaft ins Leben gerufen: Hier bieten wir betriebliche Altersvorsorge, betriebliche Krankenversicherung und Gruppen-Unfallversicherung speziell für Mitarbeiter im Verkehrsgewerbe. Wir arbeiten zudem im Kompetenzzentrum an weiteren Ideen zur Personalfindung. Diese sind aber noch nicht spruchreif. Mit welchen Anforderungen haben Betriebe im Bereich E-Mobilität zu kämpfen? Der Druck großer Auftraggeber auf die Transport- und Logistikbranche steigt. Diese wollen ihre Nachhaltigkeitsziele vorantreiben und zum Beispiel ihre Waren künftig CO2-neutral ausliefern lassen. Das bedeutet, dass sich immer mehr Unternehmer überlegen müssen, wie sie ihren Fuhrpark auf alternative Antriebe umstellen. Batterieelektrisch, Wasserstoff, E-Fuels, Infrastruktur - da sind viele Fragen offen. Ich höre von vielen Unternehmen, die sich an das Thema rantasten, dass sie überlegen, den Weg in Richtung Batterieelektrisch einzuschlagen. Aber die Komplexität ist nicht zu unterschätzen … Das bedeutet? Allein die Fördermittel sind ein Dschungel. Was wird zu welchen Bedingungen von wem gefördert? Dann bildet der Energieversorger oft den Flaschenhals, wenn es um Aufbau und Genehmigung der Ladeinfrastruktur vor Ort geht, um eine eigene Trafostation, gegebenenfalls einen Batteriespeicher als Puffer. Man kann nicht mal eben eine zweite Technologie auf den Hof setzen. Man benötigt auch anderes Werkstattpersonal und ein Change-Management im Unternehmen. Kurzum: Es ist ein Rieseninvest an Zeit und Geld. Das ist nicht einfach so zu stemmen für einen Mittelständler, der bis zum Hals im Tagesgeschäft steckt. Da sehe ich uns und vor allem die Straßenverkehrs-Genossenschaften in der Pflicht. Wir müssen den Unternehmen beratend zur Seite stehen: durch Informations-Veranstaltungen, durch Vernetzung mit Playern, die sich im Thema auskennen. Benötigt ein Unternehmen auch andere Versicherungslösungen? Wir haben erste Lösungen für E-Lkw im Angebot und beschäftigen uns intensiv mit dem Thema. Hier sind andere Risiken zu versichern als bei einem Fuhrpark mit konventionellen Antrieben, auch was die Ladeinfrastruktur betrifft. Dabei gilt auch für uns: Es ist ein permanentes Evaluieren und Dazulernen. Wie schätzen Sie das Thema Cybersicherheit ein? Als extrem ernst. Es gibt Unternehmen, die dadurch in die Insolvenz getrieben wurden. Längst ist es nicht mehr so, dass nur die großen Player betroffen sind. Jeder kann angegriffen werden. Um es einmal in Zahlen auszudrücken: 2022 ist der deutschen Wirtschaft durch Cyberkriminalität insgesamt ein Schaden von 200 Milliarden Euro entstanden. Gibt es ein Bewusstsein bei den Unternehmen der Branche für die Gefahr von Hackerangriffen? Abstrakt ist dieses vorhanden, aber wenn es um konkrete Maßnahmen geht, gibt es bei vielen noch deutliche Lücken. Im Tagesgeschäft fehlt oft die Zeit dafür. Wir verzeichnen bei Unternehmen aber durchaus eine Nachfrage nach konkreten Schritten. Und was ist dabei wichtig? Das Hauptaugenmerk sollte meines Erachtens auf der Prävention liegen. Sie können zum Beispiel beim Gesamtverband der Deutschen Versicherer einen Online-Check zu verschiedenen Risikofragen durchführen und bekommen eine Auswertung. Wichtig ist, seine Mitarbeiter permanent zu schulen. Damit lassen sich die größten Einfallstore schließen. Ein Unternehmen kann das Risiko nicht auf null absenken, aber mit vergleichsweise einfachen Schritten deutlich minimieren. Gibt es weitere Maßnahmen, die ein Unternehmen außerdem in Angriff nehmen kann und vielleicht sogar sollte? Man sollte ein analoges Notfall-Handbuch erstellen, mit den wichtigsten Kontakten und Handlungsanweisungen. Um noch reagieren zu können, wenn im Falle eines Angriffs wirklich nichts mehr geht. Wir bieten gemeinsam mit den Straßenverkehrs-Genossenschaften den SVG Cyber-Pakt, gerade für den Mittelstand. Der Hintergedanke: Das schafft einer alleine nicht, aber gemeinsam lassen sich Synergien heben - beim IT-Dienstleister, bei Schulungen et cetera. Wann ist eine Versicherung sinnvoll? Gegen was sollte man sich absichern? Die Maßnahmen mit einer CyberRisk-Versicherung zu koppeln, ist mit Sicherheit sinnvoll. Unsere Versicherung deckt Schäden durch Cyberangriffe auf das IT-System eines Unternehmens ab. Sie bietet Support, den Fehler, das Einfallstor des Hackerangriffs zu finden, und deckt die laufenden Kosten bei einer Betriebsunterbrechung im Schadenfall ab. Wir bieten zudem eine Versicherung gegen Wirtschaftskriminalität, die auch Schäden durch digitale Betrugsmaschen abdeckt. Zum Beispiel, wenn Zahlungsströme auf ein Konto der Kriminellen umgeleitet werden. Kommt es nicht auf den Einzelfall an, was man versichert? Natürlich. Im konkreten Fall beraten unsere Experten, welche Bausteine einer Versicherung für das jeweilige Unternehmen die richtigen sind. Es ist auch immer eine unternehmerische Entscheidung: Er kann sagen, ich mache regelmäßige Schulungen gegen digitale Betrugsmaschen und halte das Risiko für handhabbar. Aber ich denke, ein Unternehmen sollte sich zumindest mit den Gefahren und möglichen Tools auseinandersetzen. Vita Anja Ludwig leitet seit Juli 2022 das Kompetenzzentrum Straßengüterverkehr und Logistik der Kravag. Sie ist die Nachfolgerin von Axel Salzmann, der Anfang 2023 in den Ruhestand gegangen ist. Zwölf Jahre war Anja Ludwig beim Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen (BDO) tätig. Seit 2015 fungierte sie dort als stellvertretende Hauptgeschäftsführerin. mwi

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