Vom Schotterfeld zum Logistik-Hub: Brownfields überholen Greenfields

Insgesamt 52 Prozent der rund 1,7 Millionen Quadratmeter Neubaubauvolumen im ersten Halbjahr 2025 entstanden auf einer Industriebrache – so viel wir nie zuvor. Dies zeigen Researchdaten des Logistikimmobilienberaters Logivest. Damit überwiegen erstmals Brownfields bei den Neubauentwicklungen. Für Logivest-CEO Kuno Neumeier ist der Trend zu Brownfieldentwicklungen nur folgerichtig: „Sie bieten eine effiziente und nachhaltige Nutzung der immer knapper werdenden Flächen und stoßen in der Öffentlichkeit auf deutlich höhere Akzeptanz als Logistikneubauten auf der grünen Wiese.“ Gerade große Projekte würden daher immer öfter nicht mehr auf der grünen Wiese, sondern auf Brachflächen realisiert, so Neumeier. Erstmals überwiegen bei den Neubauentwicklungen Brownfields Logix-Gewinner entstand auf ehemaligem Zechengelände Dies lässt sich auch am Finalistenfeld des diesjährigen Logix-Awards ablesen, der alle zwei Jahre an herausragende Logistikimmobilienvergeben wird: vier der sechs Finalisten-Projekte waren Brownfieldprojekte. Mit dem Logix-Award ausgezeichnet wurde im Rahmen der Expo Real schließlich das Levi Strauss & Co. European Distribution Center des Projektentwicklers Delta Development. Es entstand auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Wulfen nahe Dorsten in Nordrhein-Westfalen. Projektentwickler setzen fast vollständig auf Brachflächen Kein Einzelfall – im Gegenteil, wie Edwin Meijerink, CEO Deutschland Delta Development, gegenüber der VerkehrsRundschau betont: „Alle Projekte, die wir aktuell planen, sind Brownfields.“ Auch andere Projektenwickler haben erkannt, „dass es wenig Sinn ergibt, immer wieder neue Ackerböden zuzupflastern, anstatt alte Industrieliegenschaften zu nutzen, die seit vielen Jahren brachliegen“, wie es Fred-Markus Bohne ausdrückt, Managing Partner Panattoni Deutschland und Österreich. Panattoni folgt diesem Credo schon lange - Stand heute hat Panattoni allein in Deutschland 3,5 Millionen Quadratmeter Brownfieldfläche revitalisiert. „Der Anteil von Brownfields an unserer insgesamt entwickelten Grundstücksfläche liegt mittweile bei rund 70 Prozent“, sagt Bohne. Philipp Feige, Vice President, Head of Capital Deployment und Co-Geschäftsführer Deutschland Prologis, weiß: „Auch wenn wir gerade bedingt durch die Wirtschaftskrise eine kleine Delle sehen, übersteigt in Ballungsräumen langfristig gesehen die Nachfrage das Angebot.“ „Ob Dortmund, Herne, Berlin, Pforzheim – alles, was wir gerade projektiert haben, sind Brownfields. Für den Logistiknutzer bedeutet das im Umkehrschluss: er bekommt moderne Immobilien auf Flächen, wo sie sein müssen.“ Die Vorteile von Brownfields liegen auf der Hand: „Sie finden sich in etablierten Industriegebieten, wo die Infrastruktur oft schon vorhanden ist“, betont Martin Birkert, Chief Country Officer Germany, MLP Group. Bei der Infrastruktur gehe es aber nicht nur um Verkehrswege, sondern auch um die versorgungstechnische Infrastruktur, sagt Carsten Lümkemann, Director Technical Development, Segro Deutschland. Was aber nicht immer automatisch bedeute, dass die vorhandene Stromversorgung auch für die vorgesehene Nutzung ausreicht. Auch Julian von Hodenberg, Senior Projektmanager Delta Development, verweist auf die Versorgungsinfrastruktur – Stichwort: Elektrizität. "Gerade wenn eine Logistikanlage stark auf Automatisierung ausgelegt ist, ist das ein ganz zentraler Faktor." Logistikimmobilien Spezial: Hier die aktuelle Ausgabe lesen! Nachhaltige Flächennutzung überzeugt Kommunen Vor allem hat man über Brownfields aber die Chance, Logistikflächen überhaupt noch entwickeln zu können. „Wir füllen alte Liegenschaften mit neuem Leben und kommen damit auch unserer gesellschaftlichen Verantwortung als Unternehmen nach. Bei den Kommunen kommt das gut an“, betont Bohne von Panattoni. Er nennt als Beispiel das in diesem Jahr eröffnete International Consolidation Center (ICC) von Mercedes-Benz, das auf der 15 Jahre brachliegenden Fläche eines ehemaligen Spanplattenwerkes in Bischweier entstand. "Hier ist aus einem 250.000 Quadratmeter großen Schandfleck am Ortseingang etwas Tolles, Neues entstanden", sagt Bohne. Auch Meijerink von Delta Development sieht große Chancen, mit der Revitalisierung von Brachflächen die Flächenknappheit für die Logistik zu lindern. „Kommunen können alte Industrieflächen, die lange ungenutzt blieben, wieder einem sinnvollen Zweck zuführen." Deltas Senior Projektmanager von Hodenberg konkretisiert: "Bei den Kommunen kann man vor allem mit der Kompensation von zuvor verloren gegangenen Industrie-Arbeitsplätzen punkten. In Dorsten wurden durch das Levi Strauss Logistikzentrum 600 Arbeitsplätze geschaffen." Das ist auch für Kuno Neumeier von Logivest ein wichtiger Punkt, der insbesondere fürs Ruhrgebiet gelte. Hier gebe es kaum noch Greenfields – rund 90 Prozent aller neuen Logistikimmobilien entstünden bereits auf Brownfields. „So wird nicht nur Flächenrecycling betrieben, sondern auch der Strukturwandel aktiv gestaltet“, so Neumeier. Viele Vorteile – trotz langer Verfahren Viele Vorteile also. Die Kehrseite der Medaille aber sind teils lange Projektlaufzeiten – vor allem, wenn der Bebauungsplan angepasst oder komplett neu erstellt werden muss. „Allein dafür können schon einmal zwei Jahre ins Land ziehen“, sagt Birkert von MLP. Umso wichtiger sei es deshalb, eng mit der Kommune zusammenzuarbeiten. Ein aktuelles Beispiel sei der MLP Business Park Schalke. „Das Grundstück haben wir 2021 gekauft und in engem Dialog mit der Stadt Gelsenkirchen zu einem Bebauungsplan hin gewidmet, der die gewerbliche Nutzung wieder ermöglicht“, sagt Birkert. Der erste Bauabschnitt mit 30.000 Quadratmetern Nutzfläche werde zum Jahresende fertig. Risiken: Altlasten, Genehmigungen und wirtschaftliche Unsicherheiten Der lange Vorlauf fängt schon beim Grundstück an. „Zentrale Parameter bei der Ankaufprüfung sind der Verkaufspreis des Grundstücks und die Kosten für die Baureifmachung“, sagt Birkert. Schließlich stehe am Anfang jedes Projekts immer die Wirtschaftlichkeit. „Im Blindflug in ein Brownfield-Projekt zu gehen, birgt erhebliche wirtschaftliche Risiken“, weiß der Immobilienexperte. So müssten Bodenproben genommen und Schadstoffgutachten durchgeführt werden. „Diese Expertise holen wir uns bei externen Spezialisten. Die Vorprüfungen im Rahmen der Due Diligence dauern in der Regel zwölf bis 16 Wochen“, so der MLP-Manager. „Ein Brownfield ist immer erstmal eine Black Box“, sagt auch Carsten Felix, Managing Director der Logivest Projektmanagement GmbH. Deshalb sei eine genaue Bestandsaufnahme inklusive einer Altlastenuntersuchung und der Erstellung eines Schadstoffkatasters elementar. Letzteres ist auch für Panattoni "ein zentraler Faktor bei der Kostenkalkulation“, wie Managing Partner Bohne betont. Panattoni beschäftigt ein eigenes Environmental-Team, das sich ausschließlich um alte Liegenschaften kümmert und zusammen mit externen Gutachtern das Ausmaß der Kontamination abschätzt, Bodenverunreinigungen und Altlasten prüft. Es komme immer mal vor, dass ein Grundstückkauf nach eingehender Prüfung nicht zustande kommt. „Etwa wenn sich ein Grundstück als zu hoch belastet herausstellt und der Verkäufer auf einem für die Gesamtkalkulation zu hohem Preis beharrt. Das ist dann reine Mathematik“, so Bohne. Birkert von MLP sieht das genauso: „Natürlich kalkuliert man einen Risikopuffer mit ein. Wenn aber selbst dieser nicht mehr ausreicht, muss man trotz der bereits investierten Zeit und Mittel, die in die Ankaufsprüfung gesteckt wurden, im Zweifel die Reißleine ziehen.“ Artenschutz und Umweltauflagen erschweren Revitalisierungen „Bei einer Revitalisierung trifft man auf alles, was man sich vorstellen kann – oder was man sich bis dahin nicht vorstellen konnte“, sagt Philipp Feige von Prologis. Typische Hürden, die einem bei der Brownfield-Entwicklung begegnen, waren schon immer Altlasten, Genehmigungsverfahren und Anwohnerinteressen, sagt Lümkemann von Segro. „Ein Thema, das in letzter Zeit aber immer stärker in den Vordergrund rückt, ist der Artenschutz. Gerade auf Brachen mit Schotterböden siedeln sich gerne Tiere an, etwa Kröten oder Bodenbrüter wie der Flussregenpfeifer.“ Ein weiteres Problem, das Entwickler umtreibt, ist die Kampfmittelbeseitigung. "In Nürnberg haben wir ein ehemaliges Areal von Thyssen Krupp erworben. Eine sehr gute Lage, von der wir uns viel versprechen. Das Areal ist nur durchschnittlich belastet", berichtet Bohne von Panattoni. Jedoch wurde Nürnberg im 2. Weltkrieg nahezu vollständig zerbombt. "Nicht selten wurden die Bombenkrater damals mit Beton aufgefüllt, damit müssen wir uns bei der Revitalisierung ebenfalls auseinandersetzen", so Bohne. Die Kampfmittelbeseitigung erfolge in Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen und könne je nach Behörden-Zuständigkeit durchaus langwierig sein. "Kostenseitig ist der Aufwand aber oft vertretbar, weil die Kampfmittelräumdienste von den Kommunen mitfinanziert werden", sagt Bohne. Entwickler müssen sich also den verschiedensten Herausforderungen widmen – und das nicht selten gleichzeitig. So vielfältig die Projekte, so vielfältig auch die Geschichten, die die Experten zu erzählen haben. Philipp Feige, Vice President, Head of Capital Deployment und Co-Geschäftsführer Deutschland Prologis: „Bei einem aktuellen Projekt gibt es eine besonders kuriose Situation: Über das Grundstück verlief zu Zeiten des Kaiserreichs eine Bahnstrecke. Die gibt es zwar seit 100 Jahren nicht mehr und das Gelände wurde bebaut. Mit den Folgen der seinerzeit ausgesprochenen Widmung müssen wir uns aber noch heute rechtlich auseinandersetzen.“ Carsten Lümkemann, Director Technical Development, Segro "Bei der Kostenkalkulation für die Altlastenbewältigung helfen Gutachten - beim Artenschutz dagegen ist schwer kalkulierbar, was am Ende auf einen zukommt. Bei unserem Segro Park Dortmund haben wir Ausgleichsflächen für den Flussregenpfeifer geschaffen. Der brütet aber immer noch lieber auf unserer Fläche. Und solange das so ist, kann auf dem betreffenden Abschnitt nun mal nicht gebaut werden." Fred-Markus Bohne, Managing Partner Panattoni Deutschland "Kampfmittelbeseitigung ist ein Riesenthema. Auch am Hamburger Hafen werden immer wieder Weltkriegsbomben gefunden, die damals tief in den weichen Marschlandboden eingedrungen sind und nun langsam wieder nach oben wandern. Bei unserem Campus-Projekt in Hannover hatten wir zuletzt den Fall, dass grünes Licht für den Bau gegeben wurde, Dreiviertel des Areals wurden bebaut. Bei Arbeiten am letzten Bauabschnitt wurden dann doch noch zwei Bomben gefunden." Martin Birkert, Chief Country Officer Germany, MLP Group: "Der MLP Business Park Schalke entsteht auf dem Gelände eines ehemaligen Thyssen-Drahtwerks, daher mussten wir punktuell Altlasten beseitigen. Auch gab es bodenarchitektonische Fundamente, also alte Mauern, unter den Gebäuden. Ein weiteres Thema ist die mögliche Wiederverwendbarkeit von Abbruchbaustoffen. Oftmals muss aus topografischen Gründen auch der Boden nivelliert werden. Alles, was wir auf dem Grundstück belassen und wiederverwenden können, kommt natürlich der CO2-Bilanz des Projekts zugute." Julian von Hodenberg, Senior Projektmanager Delta Development: "In Dorsten war das Gelände geräumt worden. Unterirdisch war für uns aber noch einiges zu tun. Da ging es weniger um die Belastung durch Schadstoffe, sondern um die Tragfähigkeit des Erdreichs, das stark mit Kohle und organischen Stoffen versetzt war. Wir mussten viel Erde austauschen. Die Tragfähigkeit wurde mittels dynamischer Tiefenverdichtung sichergestellt. Der Lärm und die Erschütterungen durch das Verfahren waren leider auch im nächsten Wohngebiet zu spüren." Gekommen, um zu bleiben Auch wenn die Herausforderungen mitunter hoch sind – in einem sind sich die Logistikimmobilienexperten sicher: Brownfield-Entwicklungen sind gekommen, um zu bleiben. „Der Trend in Richtung Brownfield-Revitalisierung wird bleiben, alleine aus dem Grund, dass die Kommunen immer weniger neue Greenfield-Flächen ausweisen“, sagt Bohne von Panattoni. „Aus rein wirtschaftlicher Sicht sind Greenfield-Entwicklungen unter identischen Voraussetzungen natürlich attraktiver als Brownfield-Entwicklungen. Angesichts der Flächenknappheit sind wir aber immer mehr auf Brownfields angewiesen“, stellt Lümkemann von Segro Deutschland klar. „Wir konzentrieren uns insbesondere auf Grundstücke in urbanen Lagen und verfolgen einen Multi-User-Ansatz. Wenn sich eine passende Gelegenheit ergibt, schließen wir auch ein weiteres Greenfield-Projekt nicht aus – aber das ist in den Top-Lagen meist illusorisch“, sagt Birkert von MLP. „Da wir nur in Kernlagen investieren, gibt es zu Brownfields keine Alternative", meint auch Feige von Prologis. "Ich sehe einen langfristigen Trend zu Brownfield-Entwicklungen." Heute schon an morgen denken Nach Einschätzung von Julian von Hodenberg von Delta Development werde der Trend zu Brownfields allein schon deswegen zunehmen, weil die städtebaulichen Strategien ganz eindeutig zu weniger Versiegelung gingen. Er bringt aber noch einen anderen Punkt aus Tableau: "Was wir schon heute mitdenken müssen: Was ist mit dem Abriss und Rückbau der Immobilien, die wir heute bauen?" Die Nutzungszyklen für Immobilien jeglicher Art würden immer kürzer. "Rezyklierbarkeit und die Wiederverwendbarkeit von Materialien werden künftig einen viel größeren Stellenwert haben. Das klingt noch utopisch, ich halte dies im Sinne von Cradle-to-Cradle aber für eine absolute Notwendigkeit." Mehr zum Thema Logistikimmobilien Expo Real 2025 zeigt Trends bei nachhaltigen Logistikimmobilien Delta Development erhält Logix Award 2025 Logistikimmobilien-Spezial: Schaltzentrale der Logistik Logistikimmobilienmarkt: Stabilisierung nach schwierigem Vorjahr Nachhaltige Logistik: Zertifizierungen und Standards für Logistikimmobilien Mehr als 50 Prozent der Logistikneubauten entstehen auf Industriebrachen