Wie viel Bio geht?

Biologische Kraftstoffe können ein wichtiges Puzzlestück im Kampf gegen den Klimawandel werden. Denn auch wenn Lkw, die mit Erdgas betrieben werden, von Haus aus schon weniger Stickoxide und CO2 in die Umwelt blasen, so ist dennoch von einem fossilen Brennstoff die Rede. Clever scheint also der Gedanke, das Erdgas einfach auf biologischem Weg zu gewinnen und dann als Treibstoff zu verwenden. Diesen Weg beschreitet die Firma Alternoil aus Niedersachsen, die der VerkehrsRundschau den Weg des Bio-LNG bei einer Rundreise veranschaulicht hat. Zunächst stellt sich die Frage, wo der Treibstoff überhaupt herkommt. "Basis für CO2-freies Bio-LNG ist die Verarbeitung von Gülle und kommunalen Abfällen", sagt Henrik Bramlage. Der 35-Jährige, den manch einer vielleicht auch als Schiedsrichter aus den obersten Fußball-Ligen kennt, ist der Leiter Business Development bei Alternoil. Er erklärt: "Das Biomethan stammt von regionalen Biogasanlagenbetreibern. Als Basis kommen für uns ausschließlich kommunale Abfälle und Gülle infrage. Uns ist wichtig, dass wir keine Produkte wie beispielsweise nachwachsende Rohstoffe verwenden, die nur für die Gasgewinnung angebaut werden." Unromantische Rechnungen Ab diesem Zeitpunkt endet der Traum vom "glücklichen Erdgas", den manch einer vielleicht hatte. Denn es wird eher mathematisch. Das Produkt wird nach der Gewinnung in das öffentliche Erdgasnetz gegeben und an der nächsten Bearbeitungsstelle wieder entnommen. Ob dort nun umweltfreundliches Gas oder solches aus fossilem Ursprung aus der Leitung kommt, weiß logischerweise niemand. Die Bilanzierung läuft am Ende ähnlich wie auch bei Ökostrom. In einer beeindruckend futuristischen Anlage im Ort Werlte wird der zweite Bestandteil des Bio-LNG produziert. Überschüssiges CO2 aus einer benachbarten Biomethanproduktion landet in einer Elektrolyseanlage für Wasserstoff, die mit Windenergie arbeitet. So entsteht das sogenannte E-LNG, das dem Endprodukt beigemischt wird, ebenso wie fossiles Erdgas. Ja, richtig gelesen: Das fertige Bio-LNG besteht immer zu einem gewissen Teil aus fossilem Erdgas. Bramlage erklärt: "Das liegt daran, dass unser Ausgangsprodukt, also das Biomethan, positive CO2-Werte aufweist. Hintergrund ist unter anderem die Verwendung von Gülle, denn diese wird nicht auf Ackerflächen ausgetragen, wodurch kein Methan freigesetzt wird und weder Nitrat noch Antibiotika in die Böden gelangen können. Durch die direkte Verarbeitung der Gülle in den Biogasanlagen werden einige Probleme der Landwirtschaft gelöst und sogar ein CO2-freier Kraftstoff hergestellt." Basis dessen ist die RED II-Richtline der EU, die Biogas aus Gülle einen stark CO2-positiven Effekt zuschreibt. Denn würde die Gülle offen gelagert oder auf Felder ausgebracht werden, würden Methanemissionen freigesetzt, die für die Umwelt noch schlechter wären als CO2. Das aktuelle Bio-LNG-Topprodukt namens Reefuel 30 erreicht, wie der Name bereits andeutet, bilanziell eine CO2-Reduktion von 30 Prozent. Je nach Ursprung des Biomethans (Abfall oder Gülle) variiert der fossile Anteil des LNG. In einer Beispielrechnung von Alternoil kann mit 88 Prozent fossilem Flüssigerdgas ein CO2-neutrales Produkt generiert werden. 2023 nimmt Alternoil eine eigene Verflüssigungsanlage in Fulda in Betrieb, die dann unter anderem das LNG namens Reefuel 100 produzieren wird. Dieses gilt als CO2-neutral und kann diesen Wert beispielsweise mit einem fossilen Anteil von rund 50 Prozent erreichen. Der Preis entscheidet Nun fragen sich sicherlich die meisten Unternehmer, was das gute Produkt kostet. "Wir beabsichtigen, Reefuel dauerhaft gegenüber dem fossilen LNG preisneutral anzubieten. Jedoch bedarf es hierfür verlässlicher gesetzlicher und politischer Rahmenbedingungen", sagt Bramlage. Einen gewissen Hebel dürfte man sich auch von der blanken Menge erhoffen, die man auf den Markt bringt. Mit Inbetriebnahme der eigenen Verflüssigungsanlage in Fulda lässt sich die Menge des Bio-LNG skalieren, heißt es. Derweil baut das Unternehmen auch das hauseigene Tankstellennetz weiter aus. "Bis Ende des Jahres wollen wir 40 eigene Stationen in Betrieb haben", sagt Friederike Hempel, die für das Marketing des Unternehmens verantwortlich ist. Eine der Stationen, eine sogenannte XL-Variante, steht in Bakum, nur unweit des Hauptsitzes der Partnerspedition Paneuropa, die das flüssige Erdgas zu den Stationen fährt. Der technische Leiter Stefan Roeder erklärt, wie die Anlage funktioniert: "Hier drin werden bis zu 27 Tonnen LNG gespeichert", sagt er und deutet auf den Turm, der senkrecht in die Höhe ragt. "Gekühlt wird mit Stickstoff, das ist viel effizienter als andere Varianten." Gleichzeitig können an der Station bis zu drei Lkw tanken. Die Nachfrage ist so groß, dass die Anlage teilweise mehrfach am Tag wieder aufgefüllt werden muss. Und woher weiß man jetzt, ob gerade Bio-LNG getankt wird? Henrik Bramlage erklärt: "Unser Reefuel 30 kann zukünftig direkt an der Tankstelle ausgewählt werden. Neben der Auswahl der richtigen Temperatur für den jeweiligen Lkw können die Fahrer auch das Produkt Reefuel direkt am Point of Sale auswählen." Mittlerweile werden alle Stationen von Alternoil mit Bio-LNG versorgt. Einer der Nutznießer des Erdgases ist die Spedition Bode in Reinfeld bei Lübeck. "Wir haben aktuell 26 Ivecos und elf Volvos mit LNG-Antrieb im Einsatz", berichtet der Geschäftsführer Kai Bode. "Aber vor der Anschaffung war auch klar, dass ich die Fahrzeuge irgendwo tanken muss." Also kam es zum Kontakt mit Alternoil, das daraufhin eine seiner XS-Stationen aufbaute. Auch Kai Bode sieht einen wesentlichen Vorteil in der Stickstoffkühlung der Anlage: "Weil die Temperatur des LNG so exakt auf das jeweilige Fahrzeug angepasst ist, können wir mehr Treibstoff aufnehmen als an anderen Stationen. Stellenweise sind das bis zu 40 Kilogramm pro Tankladung. Das führt zu einer deutlich größeren Reichweite." Technischer Hintergrund ist, dass die Lkw verschiedener Hersteller mit unterschiedlichen LNG-Temperaturen arbeiten. So tankt ein Volvo zum Beispiel Erdgas mit -140 Grad, wohingegen Iveco das LNG mit etwa -125 Grad verwendet. Es ist also in der Praxis möglich, LNG auf umweltfreundlicheren Wegen herzustellen. Ein großer Einsatz von 100 Prozent Bio-LNG ist im Moment natürlich noch illusorisch, weil es sich niemand leisten kann und will. Und selbst wenn irgendwann reines Bio-LNG zu einem guten Preis angeboten wird, stößt man mutmaßlich an neue Grenzen: Wo kommt die ganze Gülle für den Treibstoff her? Schafft man das ohne Massentierhaltung? Wie weit sind bis dahin synthetische Kraftstoffe? Davon abgesehen, dass nicht jeder Fuhrunternehmer von LNG überzeugt ist, zeigt sich wieder einmal, dass eine restlos grüne Fortbewegung noch sehr weit entfernt ist. Aber zumindest ist man auf dem Weg dahin. Mehr zum Thema finden Sie unter #LNG www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Bio ist nicht gleich Bio. Alternoil hat einen Weg gefunden, LNG herzustellen, das CO2-neutral ist. Dass dabei trotzdem fossile Kraftstoffe zum Einsatz kommen, ist zunächst verwirrend, aber insgesamt alternativlos. Denn reiner Biosprit ist aktuell noch zu teuer, um auf dem Markt bestehen zu können.

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