Zwischen Nutzwert und Netzwerken

Ja natürlich, man hätte auch einen Kollegen anrufen können. Hat man womöglich auch schon getan. Aber wenn ein guter Kunde - vielleicht sogar ein ziemlich guter - sich unzufrieden mit der erbrachten Leistung im Englandverkehr zeigt, dann kann es nicht schaden, sich doppelt abzusichern und mal die Frage in die Runde zu werfen: "Hey, habt auch ihr Probleme damit, angesichts der vielen Flüchtlinge pünktlich nach England zu kommen?" Und wenn man dann die Bestätigung erhält, dass sich auch andere Spediteure schwer damit tun, hat sich womöglich nur wegen dieser einzigen Antwort das Kommen bereits gelohnt.Junioren wollen dazulernenWir befinden uns in der Geschäftsstelle des Landesverbandes Bayerischer Spediteure (LBS). Ein typisches Besprechungszimmer: Die Tische sind genauso strahlend weiß wie die Wände, an denen keine Bilder hängen, die einen ablenken oder gar träumen lassen könnten. Stattdessen klebt an der Kopfwand des Raumes das Bild einer Powerpoint-Präsentation, vom Beamer an der Decke dorthin geworfen. Immerhin, der Geruch von Kaffee und Wurst- und Käsesemmeln lässt darauf schließen, dass den Teilnehmern dieser Runde nicht nur Wissen rund um die Spedition angedient werden soll. Schließlich haben die anwesenden Spediteure einen mitunter stressigen Arbeitstag bereits hinter sich.Denn es ist schon 17:30 Uhr, als sich der Juniorenkreis des LBS hier in München Nordschwabing trifft. Ein Angebot, das es in mehreren Landesverbänden des Deutschens Speditions- und Logistikverbandes (DSLV) gibt (siehe Tabelle Seite 32) und auch bei den Landesverbänden des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (siehe VR 10/15, Seite 20). Hier beim bayerischen Ableger des DSLV geht es nicht nur um den gemütlichen Austausch, man will schon auch etwas dazulernen. Heute stehen vor allem juristische Themen im Mittelpunkt wie das Mindestlohngesetz und ganz konkrete Fragestellungen dazu: zum Beispiel, ob Spesen auf den Mindestlohn angerechnet werden können, und wenn ja, wie. Eine Antwort dazu findet sich in keinem Gesetz. Der Verband hat dazu das Bundesfinanzministerium angeschrieben. Eva Fricke, im LBS zuständig unter anderem für die Junioren, präsentiert den Teilnehmern die Antwort des Ministeriums.Heute steht eine Reihe juristischer Fragen auf der Tagesordnung, mit denen die Junioren im Speditionsalltag konfrontiert werden: In welcher Form muss eine Spedition das IT-Sicherheitsgesetz berücksichtigen? Was hat es mit dem Energiedienstleistungsgesetz auf sich? Und was ist beim Werkvertragsrecht zu berücksichtigen?Bei rechtlichen Themen gibt es BedarfRechtliche Themen gewinnen ein immer größeres Gewicht. Damit werden auch zunehmend die Junioren - wie ihre Kollegen in der Regel keine Rechtsexperten - konfrontiert: "Wir haben mit einer Vielzahl neuer Gesetze zu tun und müssen uns mittlerweile mehr darum kümmern als um das eigentliche Geschäft und um die Kunden", klagt einer der Teilnehmer.Fricke betreut den Juniorenkreis seit 2008. Damals gab es zwar bereits ein solches Gremium, aber es dümpelte ein wenig vor sich hin und war aufgeteilt in einen Juniorenkreis Bayern Süd und Bayern Nord. Zu diesem Zeitpunkt stießen dann Christian Klas und Ludwig Müllerlei zum LBS. Sie hatten vorher gemeinsam in München eine Art Stammtisch ins Leben gerufen, zu dem sich junge Speditionskaufleute trafen, die sich von der Ausbildung her kannten. An diesem Stammtisch wurde zwar auch gefachsimpelt, aber das Gesellige kam nicht zu kurz und gewann zum Schluss zunehmend an Bedeutung. "Uns reichte das irgendwann nicht mehr. Wir wollten uns auch fachlich mehr austauschen", sagt Klas, Group Director Sales & Marketing bei der Möbelspedition Hasenkamp in München, und neben Müllerlei einer der beiden Vorsitzenden des Juniorenkreises.Also wandte man sich an den LBS. Dort stießen Klas und Müllerlei mit ihrem Interesse auf offene Ohren und sie engagierten sich fortan im Juniorenkreis des Verbandes. "Es ist nicht immer ganz einfach, die Junioren für eine Teilnahme an dem Kreis zu gewinnen", sagt Fricke. In der Tat, bei 430 Mitgliedsunternehmen im Verband scheinen elf junge Spediteure, die heute gekommen sind, auf den ersten Blick eher wenig. Fricke gesteht ein, dass München als Tagungsort nicht für alle Mitglieder in Bayern gut zu erreichen ist, "wobei immer auch Junioren aus dem Raum Nürnberg kommen", so Fricke. Aber für Interessenten aus Nordbayern sei es schwierig, bereits um 17:30 Uhr in München zu sein.Zumal es unabhängig von der Entfernung für die Nachwuchs-Spediteure schwierig ist, sich aus dem Betrieb loszueisen. "Wir sprechen für den Juniorenkreis Mitarbeiter der höheren Führungsebene oder potenzielle Unternehmensnachfolger an", sagt Fricke. "Wenn da im Tagesgeschäft etwas dazwischenkommt, dann können sie nicht einfach alles stehen und liegen lassen und zum Juniorenkreis fahren."Auch wenn sich der Juniorenkreis nur vier Mal im Jahr trifft, ist laut Müllerlei "es nicht immer einfach, sich die Zeit dafür zu nehmen", sagt der Leiter der Niederlassung Karlsfeld von Logwin. "Außerdem muss dieses Engagement auch von den Vorgesetzten unterstützt werden", nennt Müllerlei eine weitere Hürde, die es potenziellen Interessenten erschweren kann. Müllerlei hat damit keine Probleme, im Gegenteil, Logwin unterstützt seine Mitwirkung in dem Kreis.Bei LBS achtet man zudem darauf, dass der Juniorenkreis seinen Namen verdient und die Teilnehmer nicht zu alt werden. "Mit 40, spätestens mit 45 Jahren sollte so langsam Schluss sein", sagt Fricke. Es fällt auf, dass in dem Kreis ganz unterschiedliche Vertreter sitzen. Vom Juniorchef bis zum angestellten Mitarbeiter, vom Konzernangestellten bis hin zum Mittelständler: Die gesamte Palette ist vertreten. Doch ist das nicht auch mal problematisch,wenn damit Auftraggeber und Auftragnehmer an einem Tisch sitzen? Müllerlei verneint: "Ganz im Gegenteil, ich glaube, beide Seiten können nur davon profitieren, wenn sie um die Probleme der jeweiligen Anderen wissen."Junioren werden stärker eingebundenFür den LBS spielt der Juniorenkreis eine wichtige Rolle. Zum einen, um frühzeitig Nachwuchs an den Verband heranzuführen und Unternehmen damit zu binden. Zum anderen aber auch, um gegebenenfalls aus diesem Kreise Kandidaten für Verbandspositionen zu rekrutieren. Um den Juniorenkreis noch stärker in den Verband einzubinden und auch aufzuwerten, hat das LBS-Präsidium seit Kurzem den Vorsitzenden der Juniorenkreise die Möglichkeit eingeräumt, als Gäste bei den Präsidiumssitzungen dabei zu sein. Müllerlei und Klas begrüßen diesen Schritt, wobei damit wieder ein neuer Termin verbunden ist. Aber die Aufwertung ihres lockeren Treffens zu einem Fachausschuss, damit können sie sich nicht so richtig anfreunden. "Dann müssen wieder irgendwelche Formalien eingehalten werden", wendet Klas ein. Die empfinden nicht nur die beiden Sprecher als Einschränkung. So sind sie frei, wie häufig sie sich treffen wollen.Hier kommt dann doch die Vorliebe für das Zwanglose zum Vorschein, damit auch für das Gesellige und - wie es Klas und Müllerlei formulieren - "für das Netzwerken". Denn auch das spielt für die Nachwuchskräfte eine wichtige Rolle, sowohl wenn es vielleicht mal darum geht, eine neue Aufgabe anzunehmen, aber auch um zu hören, wie ein Kollege Probleme im Alltag löst oder mit welchen Schwierigkeiten er gerade zu kämpfen hat.Mittlerweile hat der Uhrzeiger die 22.00 Uhr-Marke deutlich überschritten. Es geht darum, den Termin für die nächsten Treffen zu planen. "Wenn wir es noch in diesem Jahr machen, dann aber nicht nur deshalb, um uns nochmals zu sehen, sondern dann muss auch inhaltlich etwas bei herumkommen", sagt ein Teilnehmer. "Für diejenigen, die sich zum Jahresabschluss nur noch mal sehen wollen, können wir ja auch gemeinsam zum Weihnachtsmarkt gehen." Zustimmendes Nicken zumindest bei denjenigen, die aus der Umgebung Münchens kommen. Ein weiterer Beleg dafür, dass bei diesem Treffen beides gewünscht wird: Geselligkeit und Nutzwert. Beides dürfte auch bei den jährlichen Ausflügen wie zuletzt zum Hafen Rotterdam oder zum Flughafen Leipzig nicht zu kurz gekommen sein.Mehr zum Thema finden Sie im Dossier DSLV www.verkehrsrundschau.de/dossiersJuniorenkreis des DSLVRüstzeug für die kommenden AufgabenNeben den Landesverbänden des DSLV (Deutscher Speditions- und Logistikverband) hat auch der Bundesverband selbst einen Juniorenkreis. Urspünglich entstanden ist er aus dem Juniorenkreis der VKS (Vereinigung der Kraftwagenspediteure)."Wir treffen uns zweimal im Jahr", sagt Markus Olligschläger, im DSLV zuständig für den Juniorenkreis. Die Gruppe ist mit zwölf Teilnehmern überschaubar. In der Mehrzahl sind es Töchter oder Söhne von inhabergeführten Unternehmern, die irgendwann Verantwortung übernehmen und Geschäftsführer werden. Bei den Treffen werden verschiedene Themen behandelt wie betriebswirtschaftliche und rechtliche Fragestellungen oder wie man den Übergang vom jungen Nachfolger zum Chef mit Führungsfunktion meistert. Verknüpft werden die Treffen in der Regel mit Besichtigungen. Zuletzt haben sich die Junioren das Hochregallager von Henkel angesehen und mit den Verantwortlichen über verschiedene, nicht nur logistische Themen diskutiert. cd