"Wir sind die Lösung, nicht das Problem"

Lassen Sie uns mit dem Postgesetz starten. Was ist schiefgelaufen bei der Postmarktliberalisierung - die Deutsche Post hat im Briefmarkt 86 Prozent und im Paketbereich 55 Prozent Marktanteil ...? Es gibt das Postgesetz, das zum 1. Januar 1998 in Kraft getreten ist - aber bislang noch keine Novelle. Das bedauern wir, da sich in den letzten Jahrzehnten sehr viel auf dem Paketmarkt verändert hat. Nicht allein die Deutsche Post, sondern alle Paketdienstleister gemeinschaftlich - und das ist ganz wichtig - erbringen den sogenannten Universaldienst. Alle stellen flächendeckend von der Alm bis zur Hallig zu und bieten eine zuverlässige und qualitativ hochwertige Dienstleistung. Sie sprechen jetzt von den privaten Paketdiensten? Ich meine die Branche in ihrer Gesamtheit. Die Post ist im Übrigen auch mehrheitlich ein Privatunternehmen und befindet sich zu über 80 Prozent in Privatbesitz, zu knapp 60 Prozent im internationalen privaten Streubesitz. Die Mitglieder des Bundesverbandes Paket und Expresslogistik (BIEK) und die Deutsche Post in einem Atemzug genannt ... Ja, selbstverständlich, das mache ich bewusst. Der Universaldienst wird ja, wie gesagt, gemeinschaftlich erbracht. Die EU-Gesetzgebung schreibt vor, dass die Regierung nur bei Versorgungsdefiziten jemanden mit einer Universaldienstverpflichtung beauftragen darf. Aber nur dann. Es gibt keine Region in Deutschland, in der der Universaldienst nicht gewährleistet ist. Und darum ist eine Privilegierung der Post nicht notwendig. Sie ist sogar absurd. Womit wir immer noch nicht geklärt hätten, was schiefgelaufen ist. Das sollten Sie besser die Bundesregierung fragen. Wir haben den Eindruck, dass die Regierung leider nicht mutig genug ist, alte Zöpfe abzuschneiden. Stattdessen hält sie an alten Strukturen fest und macht den Weg zu einem vollumfänglich liberalisierten Markt nicht frei. Dieses tradierte Denken, dass früher alles besser war, ist völlig überholt. Die Wettbewerber der Deutschen Post, die ich vertreten darf, erbringen eine genauso gute Leistung und sind damit genauso schützenswert. Wir fordern den Abbau von Regulierung, faire Bedingungen und gleiches Recht für alle. Sind 20 Prozent Staatsbeteiligung nicht schützenswert? Was die Deutsche Post an Dividende dem Finanzminister in die Kassen spült, ist natürlich eine handfeste Größe. Unsere Empfehlung ist, die Bundesanteile zu verkaufen und das Geld in den Breitbandausbau zu stecken. Da hinkt Deutschland immer noch hinterher. Das Bundeswirtschaftsministerium will jetzt nachbessern und eine Postgesetznovellierung auf den Weg bringen. Was haben Sie dazu für Signale empfangen? Zunächst einmal begrüßen wir es sehr, dass die Novellierung des Postgesetzes nun endlich vorgenommen wird. Dies wurde ja bereits mit dem Koalitionsvertrag beschlossen, den wir auch intensiv begleitet hatten. Guten Absichten müssen jetzt aber Taten folgen. Zum aktuellen zeitlichen Verlauf: Wir haben erfahren, dass der Referentenentwurf statt im Dezember 2019 nun erst Ende März 2020 kommen soll. Gehen denn die bisherigen Vorschläge aus dem BMWi aus Ihrer Sicht in die richtige Richtung? Bislang gibt es nur ein Eckpunktepapier. Dieses Eckpunktepapier basiert im Grunde auf vielen Ideen. Dazu gab es bereits Anhörungen, bei denen auch unser Verband sich selbstverständlich eingebracht hat. Wir lesen aus diesem Papier die grundsätzliche Bereitschaft, endlich faire Wettbewerbsbedingungen auf dem Paketmarkt sicherzustellen. Nun kommt es natürlich auf die weitere Ausgestaltung des Gesetzes an. Das heißt konkret? Wir fordern, dass es eine wirksame Dumping-Kontrolle für Paketprodukte des Marktbeherrschers Deutsche Post zur Verhinderung von Kampfpreisen geben muss. Briefporti dürfen keine Paketprodukte finanzieren. Aufgrund der gemeinsamen Erbringung des hochwertigen Universaldienstes im Paketmarkt müssen die Privilegien der Deutschen Post endlich abgeschafft werden. Außerdem müssen Paket- und Briefmarkt klar voneinander getrennt werden. Ist es richtig, dass Sie gegen die letzte Portogenehmigung Klage erhoben haben? Ja, das stimmt. Wir sind der Meinung, dass die letzte sogenannte Ministerverordnung der Post viel zu hohe Briefporti ermöglicht. Was wir zudem problematisch finden, ist, dass der Gesetzgeber generell viel zu großzügig bei der Festlegung der Briefporti ist. Wäre es nicht an der Zeit, das "Kriegsbeil" zwischen dem BIEK und der Deutschen Post zu begraben - gerade vor dem Hintergrund der White-Label-Lösungen, die ja immer mehr gefordert werden? Zwischen uns und der Deutschen Post gab und gibt es kein Kriegsbeil! Wenn endlich faire Wettbewerbsbedingungen herrschen und diese auch umgesetzt werden würden, wäre das für alle besser. Man darf nicht vergessen, dass die Paketbranche nur durch Privatisierung und Wettbewerb so innovativ geworden ist, wie sie heute ist. Das hat auch der Post sehr genützt. Zum Thema konsolidierte Zustellung haben wir im vergangenen Jahr eine Studie veröffentlicht. Diese belegt, dass die konsolidierte Zustellung in Stadtgebieten keine Lösung ist und dem Wettbewerb schadet. Warum ist sie keine Lösung? Die Untersuchungen anhand der Städte Nürnberg und München haben gezeigt, dass eine Gebietskonsolidierung die Anzahl der Zustellfahrzeuge in unterschiedlichen Szenarien entweder gar nicht oder nur um maximal ein Fahrzeug reduzieren kann. Man darf nicht vergessen, dass jeder zusätzliche Umschlag Aufwand, eine längere Paketlaufzeit und zusätzliche Verkehre bedeutet. Unklarheiten bestehen zudem vor allem in Bezug auf die Haftung. Grundsätzlich steckt es in der DNA eines jeden Unternehmens, Zustellprozesse zu optimieren. Die Deutsche Post meint, dass es nicht mehr zeitgemäß ist, wenn in einer Straße mehrere Paketzusteller vorfahren und Schadstoffe ausstoßen. Ich meine, dass der Schadstoffausstoß gesenkt wird, wenn wir nachhaltige Antriebe einsetzen. Die KEP-Dienste agieren sehr effizient und investieren schon seit Jahren in nachhaltige Zustellkonzepte. Die Zustellfahrzeuge fahren voll in die Städte rein und voll wieder heraus. Sie bündeln also per se Verkehre und tragen damit zur Senkung von Emissionen bei. Hinzu kommt das permanent optimierte Routenmanagement, das die KEP-Unternehmen betreiben. Haben Sie beim Thema Antriebe das Gefühl, dass sich etwas bewegt? Wir fordern seit Jahren einen Ausbau der Elektromobilität. Die KEP-Branche ist ein prädestiniertes Einsatzfeld für Elektrofahrzeuge. Lange gab es zu wenige geeignete Fahrzeuge auf dem Markt. Das ändert sich derzeit. Die KEP-Unternehmen stellen ihre Flotten nach und nach um. Ich möchte aber die grundsätzliche Technologieoffenheit betonen. Parallel arbeiten wir an neuen Zustellkonzepten wie Mikro-Depots und Lastenrädern. Das löst viele Probleme und ist nachhaltig. CO2-Neutralität erreicht man aber nicht nur durch entsprechende Fahrzeuge und Konzepte, sondern dadurch, dass das Paket möglichst beim ersten Zustellversuch übergeben wird. Das ist das Nadelöhr. Wie kann man das in den Griff bekommen? Durch die heutigen digitalen Möglichkeiten wird der Empfänger auch immer mehr zum Regisseur seiner Sendung. Eine Möglichkeit ist die Zustellung am Arbeitsplatz, beim Nachbarn oder in Paketshops. Je nachdem, wo er sich befindet, kann er das Paket kurzfristig dorthin umleiten, eine Abstellgenehmigung erteilen oder ein anderes Zustellzeitfenster wählen. Aus meiner Sicht sind Paketkästen leider noch nicht weit genug verbreitet. Perspektivisch sollte zu Wohnquartieren künftig ein individuell genutzter Paketkasten ebenso dazugehören wie der Briefkasten oder die Wechselsprechanlage. Der Paketkasten der Deutschen Post hat sich aber nicht durchgesetzt ... Ja, weil die Deutsche Post eine Insellösung angeboten hat. Wir haben immer für eine anbieteroffene Lösung plädiert. Einen Kasten, den alle KEP-Dienste nutzen können. Wir erleben einen Wandel des Handels. Menschen kaufen immer mehr online ein. Der E-Commerce boomt. Mit dem Internet der Dinge, mit der Kommunikation der Maschinen, wird es irgendwann selbstverständlich, dass der Kühlschrank bestellt. Das heißt noch mehr Zustellverkehre in der Innenstadt. Dabei denken die Kommunen darüber nach, die Innenstädte für Lieferdienste zu sperren. Was sagen Sie dazu? Da habe ich eine ganz klare Antwort: Wir bündeln Verkehre. Wir reduzieren Verkehre. Wir sind die Lösung und nicht das Problem. Würden die KEP-Dienste nicht schon existieren, dann hätte man sie spätestens jetzt erfinden müssen. Der BIEK hatte in der Vergangenheit das Ladezonenschild gefordert. Wie geht es denn damit weiter? Unsere Initiative "Liefern lieber in der ersten Reihe!" läuft sehr erfolgreich. Die politischen Entscheider wie der Bundesverkehrsminister und die verkehrspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen wollen die Ladezone. Ladezonen sind aber nur eines Ihrer Probleme. Macht Ihnen der Fahrermangel angesichts des Mengenwachstums nicht ebenfalls Sorgen? Bei den KEP-Unternehmen sind rund 238.000 Menschen beschäftigt. Jedes Jahr werden es 10.000 mehr. Man muss kluge Lösungen haben, um dem Fachkräftemangel zu entgegnen. Die Effizienz der Branche und die vielfältigen digitalen und innovativen Lösungen, die teilweise schon heute im Einsatz sind, können hierzu beitragen. So wird beispielsweise an Erleichterungen wie neuartigen Scannern, die mehrsprachig sind, oder an der Optimierung des Routenmanagements gearbeitet. Auch Exoskelette könnten in der Zukunft Erleichterungen bringen. Der anspruchsvolle Job des Zustellers muss insgesamt in der Gesellschaft mehr Wertschätzung bekommen. Was bedeutet das vor dem Hintergrund des Paketboten-Schutz-Gesetzes? Ich war kürzlich bei Hubertus Heil und habe ihm signalisiert, dass wir gerne mit ihm zusammenarbeiten. Grundsätzlich sind wir aber der Meinung, dass die Durchsetzung und Kontrolle geltender Regeln hoheitliches Handeln erfordert, in diesem Fall der Zollbehörden. Wir plädieren für ein System effektiver Kontrollen, das mögliche Missstände aufdeckt. Das Paketboten-Schutz-Gesetz kann auch dabei helfen. Wir sind daran interessiert, dass es anständige, faire Arbeitsbedingungen gibt und dass Unternehmen, die dagegen verstoßen, aus dem Verkehr gezogen werden. Wir verfolgen eine "Vision Zero". Wie man hört, haben Sie beim Thema Präqualifizierung schon einiges an Vorarbeit geleistet? Jetzt plaudere ich aber wirklich aus dem Nähkästchen... Das von uns erarbeitete Präqualifizierungsprogramm wird gerade von der deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) geprüft. Bekommt man dann künftig eine Art Gütesiegel als Subunternehmer? Die Details werden wir demnächst der Öffentlichkeit vorstellen. Wird sich der KEP-Markt angesichts neuer Player demnächst verändern - Zalando entdeckt die Liebe zum eigenen Fuhrpark, chinesische Anbieter drängen auf den Markt? Nichts ist stetiger als der Wandel und nur Unternehmen, die den Fortschritt im Blick haben, haben auch eine Zukunft. Die KEP-Branche zeichnet sich seit ihrem Bestehen durch Innovationen und Wettbewerb aus. Also könnte Amazon theoretisch auch BIEK-Mitglied werden? Über Mitgliedschaften entscheidet die Mitgliederversammlung. Wäre es nicht besser, so einen Player wie Amazon als Mitglied im Verbund zu haben, als gegen ihn agieren zu müssen? Noch einmal: Darüber entscheiden die Mitglieder. Außerdem agieren wir nicht gegen Amazon. Unser Bundesverband Paket und Expresslogistik steht für Wettbewerb. Wettbewerb fördert Innovationen und bedeutet Vielfalt. Mehr zum Thema finden Sie unter #KEP-Markt www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Trotz Postgesetz ist der deutsche Postmarkt noch nicht vollumfänglich liberalisiert. Der BIEK setzt sich dafür seit Jahren ein. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) plant nun eine Postgesetznovellierung. Wann diese ansteht, was sich für KEP-Dienste dadurch ändern könnte. Vita Marten Bosselmann, geboren in 1973, ist seit 2019 Vorsitzender des Bundesverbandes Paket und Expresslogistik (BIEK) in Berlin. Zuvor war er mehr als zehn Jahre Geschäftsführer des BIEK. Von 2003 bis 2007 war Bosselmann wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag. Zuvor hatte er diverse Positionen bei Burg-Wächter, Williams-Renault und Volvo inne. Bosselmann ist Volljurist und hat Geschichte, VWL und Jura in Rostock, Köln und Göttingen studiert. eh