Was nun?

Noch vor zwei, drei Monaten, kurz nach dem Start der neuen Bundesregierung, standen die Zeichen auf Aufschwung. "Da spürten wir in der deutschen Wirtschaft wieder mehr Optimismus", erinnert sich Gianluca Crestani, Geschäftsführer der Roman Mayer Logistic Group. Die Hoffnung der Firmen sei groß gewesen, dass die Wirtschaft endlich von ihren Fesseln befreit werde und wieder durchstarten könne. "Doch das war nur ein kurzes Aufflackern. Inzwischen steigt vielerorts wieder der Frust, weil nichts passiert." Umso sorgenvoller blickt der Geschäftsführer auf das, was in der deutschen Wirtschaft gerade passiert. "Die Gewichte verschieben sich. Länder, die aus deutscher Sicht früher klassische Exportländer waren, werden zunehmend zu Importländern." Das heißt: China und andere europäische Länder wie Italien, Ungarn, Tschechien, Slowakei und allen voran Polen drängen vermehrt mit eigenen Produkten in den deutschen Markt, was den Wettbewerbsdruck hierzulande erhöht. "Die Welt bleibt ja nicht stehen", sagt Crestani. "Diese Länder entwickeln sich weiter, auch weil seit zwei, drei Jahren deutsche Hersteller, insbesondere im Maschinenbau und der Konsumgüterindustrie, vermehrt ihre Produktion dorthin verlagern." Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den jüngsten Zahlen wieder, die das Statistische Bundesamt am 22. August veröffentlicht hat. So ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland nach einem kurzen Höhenflug im ersten Quartal (plus 0,3 Prozent) im zweiten Quartal wieder um 0,3 Prozent gesunken. Und damit überraschend stark. In der BIP-Schnellmeldung vom 30. Juli hatte die Behörde noch 0,1 Prozent Rückgang erwartet. "Vor allem die Industrieproduktion entwickelte sich schlechter als zunächst angenommen", wird die Korrektur begründet. Mit ein Grund sind aber auch das schwache Baugewerbe (minus 3,7 Prozent) und der Export (minus 0,1 Prozent). Die deutsche Wirtschaft kommt also nicht vom Fleck. Zum Vergleich: In Frankreich ist das BIP im zweiten Quartal um 0,3 Prozent, in Spanien gar um 0,7 Prozent gestiegen, gleich stark wie in den USA (plus 0,7 Prozent). Erste positive Signale Wirtschafts- und Logistikexperten, mit denen die VerkehrsRundschau gesprochen hat, sehen die Zukunft der deutschen Wirtschaft aber nicht ganz so düster. "0,2 Prozent BIP-Wachstum sind in diesem Jahr drin, also etwas mehr als von uns ursprünglich prognostiziert", glaubt Carsten Klude, Chefvolkswirt der M.M. Warburg Bank in Hamburg. Außerdem könnte die Inflationsrate, die im Juli bei 2,0 Prozent lag, in der zweiten Jahreshälfte auf unter zwei Prozent sinken, auch wegen der moderateren Lohnabschlüsse in 2025 im Dienstleistungsbereich. Zudem seien ein, zwei weitere Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) vorstellbar, was schon jetzt auf niedrigere Zinsen einzahle - zumindest im Kurzfristbereich. "Wir kommen in eine wirtschaftliche Erholungsphase und diese wird im kommenden Jahr anhalten", erwartet auch Professor Stefan Kooths, Konjunkturchef des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). So rechne das IfW Kiel in seiner Sommerprognose für 2025 mit 0,3 Prozent BIP-Zuwachs für 2025 und in 2026 gar mit einer Zunahme von 1,6 Prozent - wobei hier der Dämpfer durch die höheren US-Zölle bereits weitgehend berücksichtigt sei. "Allerdings ist dieser Zuwachs für eine Erholungsphase sehr moderat", schränkt der Konjunkturforscher ein. "Und Ende 2026 ist es damit auch schon wieder vorbei." Grund dafür sei, erläutert er seine Einschätzung, dass die deutsche Wirtschaft bis dahin im Wesentlichen nur ihre Unterauslastung abbaue. Sprich, die Unternehmen schöpfen vor allem aus ihren nicht genutzten Kapazitäten, was zwischenzeitlich zu höheren Zuwachsraten führe. Ende 2026 werde die Gesamtwirtschaft jedoch schon wieder bei ihrer normalen Kapazitätsauslastung angekommen sein. "Die vergleichsweise günstigen Konjunkturprognosen, die derzeit noch im Raum stehen, dürfen die Wirtschaftspolitik also nicht zu dem Fehlschluss verleiten, dass es in der Wirtschaft jetzt wieder läuft", mahnt der Konjunkturchef des IfW Kiel. "Das ist vorerst alles nur konjunkturelle Luft, die wir noch atmen, und dahinter steht noch kein kräftigeres Wachstum. Hierzu müssten die Produktionskapazitäten stärker zunehmen, aber das ist derzeit nicht in Sicht. Erschwerend kommt laut Kooths der Zollkonflikt mit den USA dazu. Da habe sich die EU zwar mit den USA geeinigt - aber mit weiterhin offenen Fragen. Wichtig sei deshalb: "Die Wirtschaftspolitik darf sich jetzt nicht hinter dem Zollkonflikt verstecken", mahnt Kooths. "Im Gegenteil: Es gibt genügend Hausaufgaben, die sie jetzt hierzulande angehen kann, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken und damit das Wachstum der deutschen Wirtschaft zu fördern", unterstreicht er. Das Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz hält Kooths indes für nicht zielführend: "Das ist das falsche Signal, weil man damit konjunkturell nur ein Strohfeuer anfacht, wenn nicht gleichzeitig die Standortfaktoren insgesamt gestärkt werden. Das Ausweichen in höhere Staatsschulden ist keine Wachstumspolitik." Fakt sei, dass die deutsche Wirtschaft unter einer viel zu geringen Potenzial-Wachstumsrate leide, sehr vereinfacht also unter einer zu geringen Leistungsfähigkeit. Wachstumsmotor Verteidigung Positiver äußert sich Klude von der Warburg Bank Hamburg. Er spricht sogar von einem Wachstumsschub für die deutsche Wirtschaft durch das im Frühjahr beschlossene Infrastruktur- und Klimaschutzprogramm. Ein zentraler Bestandteil sei ja die Schaffung eines Sondervermögens von 500 Milliarden Euro, betont er, um zusätzliche Investitionen in Infrastruktur und Klimaneutralität zu ermöglichen "Das könnte eine erhebliche Multiplikator-Wirkung erzielen. Jeder Euro, der in die Infrastruktur investiert wird, könnte demnach die Wirtschaft um einen Faktor 1,2 oder 1,3 oder gar 1,4 nach vorne bringen - auch langfristig", hebt der Chefvolkswirt hervor. Dies würden auch Untersuchungen verschiedener Wirtschaftsforschungsinstitute belegen. "Der absolute Wachstumsmotor ist indes der Verteidigungsbereich, durch den im Moment sehr viel Geld in die Wirtschaft fließt", unterstreicht Klude und verweist auf das gigantische Sondervermögen, das Bundestag und Bundesrat im Frühjahr beschlossen haben. Davon würden die deutschen Unternehmen profitieren - auch auf mittlere Sicht, da auch in der EU und bei der Nato bis zum Jahr 2035 höhere Ausgaben für die Verteidigung anstehen. "Wer in der Lage ist, Dual-Use-Produkte herzustellen, hat im Moment eine Sonderkonjunktur. Das hilft auch und gerade dem Automobil- und Maschinenbau", so Klude. "1,2 Prozent, 1,5 Prozent oder gar 1,6 Prozent BIP-Wachstum sind in 2026 und 2027 also durchaus drin - vorausgesetzt, es kommt zu keinen weiteren politischen Verwerfungen", betont er. Hoffnungsschimmer am Horizont "Die deutsche Wirtschaft wird sich sukzessive aus der Krise herausarbeiten. Das wird im zweiten Halbjahr 2025 schon losgehen", macht auch Professor Christian Kille von der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS) Mut. "Da werden schon Unternehmen die ersten Investitionsentscheidungen treffen, auch weil manche sehr lange damit gewartet haben. Außerdem dürften die Desinvestitionsprogramme vieler Firmen abgeschlossen sein und bereits erste Früchte tragen", erklärt er. Zuversichtlich stimmt laut Kille auch: Die Modellwechsel der deutschen Automobilbauer werden positiv angenommen, die strauchelnde Chemiebranche fasst durch den Fokus auf bestimmte Spezialbereiche wieder allmählich Fuß, im Maschinenbau erholt sich die Nachfrage nach hochwertigen Maschinen, und in der Baubranche wächst die Zuversicht durch das Investitionsprogramm des Bundes."Diese kleinen Hoffnungsschimmer nehmen zu", sagt Kille. "Die wirklichen Effekte werden wir aber erst 2026 und vor allem in 2027 sehen. Dann geht es mit der deutschen Wirtschaft wieder aufwärts. Und damit auch mit der Logistikbranche." Vorausgesetzt, die Unternehmen machen ihre Hausaufgaben. Was da der Logistikprofessor für vordringlich sieht, zeigt das Interview unten. Mehr Innovation wagen - dank gezielter Kooperation Weltwirtschaft und Lieferketten sind im Umbruch. Wie gut gerüstet ist die deutsche Logistik? Grundsätzlich ist die Logistik in Deutschland nach wie vor gut aufgestellt, weil sie über eine hohe Qualität verfügt, umsetzungsstark ist und schnell Logistikprojekte skalieren kann, was in volatilen Zeiten für Industrie und Handel sehr hilfreich ist. Noch kann Deutschland auf seine Logistik stolz sein. Allerdings sehe ich da in den Unternehmen eine große Spreizung. Die Weltwirtschaft und die Lieferketten wandeln sich in der Tat gerade rasant. Da sortiert sich vieles neu - mit neuen Anforderungen an die Firmen. So stellen Kunden an ihre Logistikpartner neue Anforderungen, etwa in puncto Digitalisierung und Kosteneffizienz. Etliche Dienstleister sind da aber nicht wirklich gut aufgestellt. Es gibt noch immer Firmen, die sich für diese neuen Anforderungen nicht öffnen wollen, sich aber oft auch wegen des Kostendrucks ehrlicherweise nicht öffnen können. Was raten Sie deshalb? Das Wichtigste ist, dass sich in den Unternehmen das Mindset und die Herangehensweise verändern, wie Probleme zu lösen sind. Ein DHL kann aufgrund seiner Größe fünf Pilotprojekte auflegen, um Innovationen zu testen. Wenn nur eines davon funktioniert, ist alles gut. Ein Mittelständler kann dagegen vielleicht nur eine Innovation vorantreiben. Wenn genau diese nicht funktioniert, hat er ein Problem. Sinnvoller ist es deshalb, wenn sich mehrere Mittelständler für ein gemeinsames Innovationsprojekt zusammentun. Jeder kümmert sich um einen Teilaspekt, und am Ende teilen sie sich die Kosten und Gewinne anteilig auf.