Verkehrsrecht: Die Haftungsfrage

Im Bußgeld- und Strafrecht haften der Fahrer, der Halter und gegebenenfalls der Verlader zugleich. "Es ist kein Entwederoder", erklärt Inka Pichler, Rechtsanwältin und Head of Legal Fleet bei der Kanzlei Voigt in Wiesbaden. Verantwortlich statt fahrlässig Beim Lkw-Fahrer basiert die Haftung auf dem eigenen Handeln, also dem Verursachen des Unfalls. Das Unternehmen haftet nur, wenn es bestimmte Handlungen oder Zustände angeordnet oder fahrlässig zugelassen hat. Das "fahrlässige Zulassen" erläutert die Anwältin am Beispiel des Paragrafen 31 Straßenverkehrs-Zulassungsordnung: Der Halter darf demnach nicht zulassen oder anordnen, dass das Kraftfahrzeug in Betrieb genommen wird - etwa gefahren oder beladen wird -, wenn er weiß oder wissen müsste, dass der Fahrer nicht zur selbstständigen Leitung geeignet ist. Das Gleiche gilt im Fall, dass das Fahrzeug, das Gespann, die Ladung oder die Besetzung (Personenanzahl) nicht vorschriftsmäßig ist. Auch wenn ihm bekannt ist oder bekannt sein müsste, dass die Verkehrssicherheit durch den Fahrer oder die Anzahl der Personen leidet, darf er nicht zulassen, dass der Lkw losfährt. "Dies bedeutet, dass der Halter für Mensch, Maschine und Ladung verantwortlich ist und Sorge dafür zu tragen hat, dass alles seine Richtigkeit hat und niemand gefährdet wird", so Pichler. Vielzahl an Pflichten beachten Der Halter hafte nur, wenn ihm Vorsatz oder fahrlässiges Verhalten zur Last liegt. "Ein festgestellter Verstoß des Fahrers allein belegt noch kein ordnungswidriges Verhalten des Halters." Das ist nur der Fall, wenn ihm bekannt war oder sein musste, dass etwas nicht vorschriftsmäßig gewesen ist. Letztlich sei das alles eine Organisationsfrage, Stichwort Compliance. Hält der Halter alle verkehrsüblichen und von ihm verlangten Regeln ein und baut ein entsprechendes Kontrollsystem auf, könne er sich im Falle eines Bußgeldoder Strafverfahrens entlasten. Dabei gibt es eine Vielzahl an Halterpflichten, die laut der Anwältin gesetzlich geregelt sind. Ein Beispiel ist die Fahrerlaubniskontrolle: Hat der Mitarbeiter die richtige Fahrerlaubnis für das entsprechende Kraftfahrzeug? Zudem gilt es, regelmäßig zu kontrollieren, ob der Führerschein des Fahrers nicht entzogen wurde oder der Fahrer einem Fahrverbot unterliegt. Bei der Fahrerlaubniskontrolle reicht es allerdings nicht, nur die Fahrerlaubnisklassen zu kennen, wie die Anwältin ausführt. "Das Wesentliche spielt sich auf der Rückseite der Führerscheine ab, vor allem in den Spalten elf und zwölf." So findet sich in Feld elf das Gültigkeitsdatum befristet erteilter Fahrerlaubnisklassen. Feld zwölf beinhaltet codiert formulierte Beschränkungen und Zusatzangaben wie Schlüsselzahlen. "Eine Kenntnis und Prüfung sind hier unabdinglich. Außerdem sollte man sich regelmäßig fortbilden, denn das Fahrerlaubnisrecht ändert sich stetig." Ein aktuelles Beispiel sei der neue Paragraf 6 Absatz 3b Fahrerlaubnisverordnung für E-Fahrzeuge zur Güterbeförderung. "Auch sollte man stets die Ausnahmeverordnungen kennen - so wie die brandaktuell zum 1. Juni 2022 in Kraft getretene 15. Änderung der Fahrerlaubnisverordnung." Die Fahrerlaubniskontrolle ist nicht die einzige Pflicht, die Pichler hervorhebt. "Eine elementare Halterpflicht ergibt sich auch aus den Unfallverhütungsvorschriften", so Pichler. Basis dafür ist das Sozialgesetzbuch VII. Dieses gibt der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung das Recht, Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen. Pflichten, die sich daraus ableiten, sind laut Pichler etwa die Gefährdungsbeurteilung, die Sachkundigenprüfung sowie die Einund Unterweisung. "Ladungssicherung ist auch ein großes und wichtiges Thema. Der Halter muss geeignetes Ladungssicherungsmaterial zur Verfügung stellen und die Fahrer entsprechend schulen." Das Thema tangiert auch das Bußgeldrecht. Versicherungsschutz im Zivilrecht Ein anderer Fokus besteht bei einem Unfall bezüglich des Zivilrechts: Hier haftet der Halter Dritten gegenüber, entweder für Verschulden oder aus Betriebsgefahr. Dafür treten meist Versicherungen ein, denn die überwiegenden zivilrechtlichen Risiken sind versicherbar, so Pichler. Die Versicherer wie Kfz-Haftpflichtversicherer, Transportversicherer oder Güterschadenhaftpflichtversicherer sind im Zweifel eintrittspflichtig. "Bei Unfällen durch Verlademängel kommt es immer auf den Einzelfall an."Eine Versicherung zahle nicht in jedem Fall, etwa bei einer Unfallflucht. "Hier kann es sein, dass der eigene Fahrzeugschaden vom Kaskoversicherer nicht übernommen wird und der Schaden am gegnerischen Fahrzeug zwar im Außenverhältnis gezahlt, aber im Innenverhältnis bis zu bestimmten Höchstbeträgen regressiert wird." Von diesem Regress gebe es eine Ausnahme nach Paragraf 28 Absatz 3, Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz. Demnach muss der Versicherte nichts zahlen, wenn die Unfallflucht auf die Feststellung des Versicherungsfalls und Höhe der Versicherungsleistung keine Auswirkung hat. "Außerdem ist nicht jede vorgeworfene Unfallflucht auch tatsächlich ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, es kommt auf den Vorsatz des Fahrers an", so Pichler. "Der Fahrer muss den Unfall tatsächlich bemerkt haben, sonst kann er sich nicht bewusst vorsätzlich entfernen. Dies ist gerade im Lkw-Bereich nicht immer der Fall." Neben der akustischen ist die visuelle und taktile Wahrnehmbarkeit zu berücksichtigen. "Sind alle nicht gegeben, scheidet eine Unfallflucht aus. Dann bleibt der Versicherer in der Zahlungspflicht." Wird das Firmenfahrzeug bei einem Unfall beschädigt, stellt sich oft die Frage, inwieweit man den Mitarbeiter auch haftbar machen kann. Nach der Rechtsprechung geht dies nicht für jedes Verschulden des Fahrers. "Sondern erst, wenn das Verschulden in einem besonders hohen Maße vorliegt", so Pichler. Dies ist meist erst ab grober Fahrlässigkeit der Fall. "Zudem sind hier Grenzen im Verhältnis zum Gehalt oftmals zu beachten." Mehr zum Thema finden Sie unter #Verkehrsrecht www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Bei einem Schaden kann je nach Recht die Haftungsfrage etwas unterschiedlich ausgestaltet sein. Um sich etwa im Falle eines Bußgeld- oder Strafverfahrens entlasten zu können, ist es sinnvoll, schon im Vorfeld ein Kontrollsystem aufzubauen, mit dem der Betrieb das Einhalten von Pflichten nachweisen kann.

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