Hamburg. Nach der Demonstration der Geschlossenheit zum Auftakt zeigten sich die Genossen am Tag danach aufmüpfig. Am zweiten Tag des Hamburger SPD-Parteitags musste sich die Parteispitze von der störrischen Basis nicht nur einmal geschlagen geben. Die Delegierten forderten erneut ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen, obwohl die Spitze davon dringend abriet. Nach dieser Schlappe reagierte die Führung aber gelassen: schon mindestens vier SPD-Kongresse haben in den vergangenen 20 Jahren einen solchen Beschluss gefasst - der dann aber sofort in der Schublade verschwand. Richtig ernst wurde es erst am Nachmittag, als im Saal über die Bahnreform gestritten wurde. Die SPD-Führung machte sich keine Illusionen darüber, wie explosiv die Stimmung war. Eine Mehrheit der Landesverbände hatte sich bereits vor dem Parteitag auf eine klares Nein zur Teilprivatisierung festgelegt. Um das Projekt doch noch über die Bühne zu bekommen, hatten sich die SPD-Oberen einen rettenden Köder für die murrende Basis einfallen lassen: das zuerst von SPD-Linken propagierte Volksaktien-Modell, von dem die SPD-Prominenz zunächst nichts wissen wollte. Doch in der Debatte in Hamburg zeigte sich schnell, dass sich ein unkalkulierbar großer Teil im Saal auch damit nicht einfach abspeisen lassen wollte. Generalsekretär Hubertus Heil und Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee beknieten die Parteifreunde geradezu, sich nicht einfach querzustellen. Fast flehentlich wandte sich Transnet-Gewerkschaftschef Norbert Hansen an den Parteitag mit der Bitte, den Plänen keinen endgültigen Riegel vorzuschieben. „Wir haben uns immer auf Euch verlassen können. Bitte enttäuscht uns nicht“, rief Hansen den Delegierten zu. Doch von dort kam zunächst wenig Entgegenkommen. „Die Bahn gehört auf die Schiene und nicht an die Börse“, warb der SPD-Altparlamentarier Peter Conradi in einem flammenden Appell unter großem Applaus für die pauschale Ablehnung. Man sei eben misstrauisch, dass sich die SPD-Führung ohne eine klare Festlegung über den Parteitag retten wolle, gaben andere Redner als Grund für ihr striktes Nein an. Für die SPD-Führung zeichnete sich plötzlich ein Debakel ab. Kurt Beck spürte dies und beriet sich mit Tiefensee und anderen, bevor er kurz entschlossen zur Intervention ans Rednerpult eilte. Ungehalten reagierte der Parteichef auf lautes Murren aus den Reihen der Privatisierungs-Gegner. „Lasst mich doch bitte zu Ende reden“, erregte er sich. Als eine für beide Seiten gesichtswahrende Lösung schlug Beck dann vor, dass Zwischenergebnisse von den Verhandlungen über die Bahnreform mit der Union auf jeden Fall vom Parteirat beraten und vom SPD-Vorstand gebilligt werden müssen. Und wenn die SPD-Spitzen dabei Einwände hätten, werde die ganze Angelegenheit dem nächsten Parteitag vorgelegt. Becks Angebot wurde ohne weitere Debatte von den Delegierten akzeptiert. Mit dieser Offerte des SPD-Chefs an die eigenen Reihen wird jedoch immer unwahrscheinlicher, dass eine Einigung noch in dieser Wahlperiode zu Stande kommt. Der nächste SPD-Parteitag findet aller Voraussicht nach erst nach der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2009 statt. (dpa)
SPD-Chef rettet Bahnreform

Kurt Beck konnte durch persönlichen Einsatz ein Debakel auf dem SPD-Parteitag vorerst abwenden