"Sicherheit geht vor Schnelligkeit"

Das Motto der IAA lautet: Ideen sind unser Antrieb. Welche Ideen gibt es zu sehen? Wir betonen damit, dass es bei keiner Nutzfahrzeugmesse der Welt so viele Innovationen zu erleben gibt wie auf der IAA. Das heißt: Innovationen bei der Optimierung des klassischen Antriebs über den Leichtbau bis zur Digitalisierung im Nutzfahrzeug. Vor allem Vernetzung ist das entscheidende Stichwort für moderne Nutzfahrzeuge. Auch Innovationen wie Platooning und hochautomatisiertes Fahren werden eine Rolle spielen. Die IAA ist Zukunftsschaufenster der Nutzfahrzeugindustrie, für Transport und Logistik. Auch auf der vergangenen IAA war autonomes Fahren das Thema. Mit autonom fahrenden Pkw gab es Unfälle mit Todesfolge und YouTube-Videos von schlafenden Fahrern. Was muss passieren, dass die autonomen Trucks nicht floppen? Wir können aus diesen Unfällen lernen, dass eines ganz wichtig ist: Sicherheit geht bei der Entwicklung vor Schnelligkeit. Deswegen verkaufen die deutschen Hersteller und Zulieferer nur Produkte, die sie absolut sicher beherrschen und die sie verantworten können. Wir versprechen niemandem, dass heute oder morgen vollautomatisches Fahren in hochkomplexen Situationen möglich sein könnte. Wir brauchen auf absehbare Zeit noch immer den Fahrer und seine Aufmerksamkeit. Noch fehlen für das autonome Fahren die rechtlichen Rahmenbedingungen zu Abstand und Haftung zum Beispiel. Wann gibt es praxistaugliche Regelungen? Wir haben das aktuelle Wiener Übereinkommen für die internationalen Rahmenbedingungen. Außerdem will das Bundesverkehrsministerium einen nationalen Gesetzentwurf auf den Weg bringen. Dabei geht es um teilautomatisiertes und hochautomatisiertes Fahren. In diesen Fällen ist der Fahrer noch am Steuer und muss in kritischen Situationen übernehmen. Für das fahrerlose Fahren sehen wir noch keine ausgereiften Vorschläge. Eines ist aber klar: Wenn der Mensch irgendwann nur noch Passagier sein sollte, kann die Haftung nicht bei ihm liegen. Wann kommt die gesetzliche Regelung? Ich gehe davon aus, dass der Gesetzentwurf aus dem Verkehrsministerium noch in dieser Wahlperiode bis Herbst 2017 einen entscheidenden Schritt vorangebracht wird. Es wäre problematisch, wenn die gesetzgeberischen Rahmenbedingungen hinter den technischen Möglichkeiten hinterherhinkten. Richtig Sinn macht Platooning erst, wenn Fahrzeuge verschiedener Hersteller ein Platoon bilden können. Das können sie nicht. Dafür braucht es Standards. Natürlich. Es geht darum, dass die wichtigen Hersteller Schnittstellen organisieren, damit Spediteure in einigen Jahren Fahrzeuge verschiedener Marken koppeln können. Dafür brauchen wir zudem eine digitale Infrastruktur, um die Datenmengen, die für die digitale Vernetzung von Pkw und Lkw benötigt werden, zu bewältigen. Den Pkw-Herstellern machen Newcomer wie Google Car und Tesla Konkurrenz. Droht das Schicksal auch den Lkw-Bauern? Unsere deutschen Nutzfahrzeughersteller sind Treiber. Das wird man erneut bei der IAA sehen. Aber, wie im Pkw-Bereich auch, kommen zusätzlich neue Spieler zumeist aus der IT-Branche auf den Markt. Die Frage, wer in ein paar Jahren im Driver's Seat sitzen wird, ist berechtigt. Unser Ziel ist, nicht nur die Hardware zu verkaufen, sondern auch die Software und dazugehörige Mobilitätsanwendungen. Gerade im Nutzfahrzeugbereich sind logistische Mobilitätsdienste gefragt, die einen Nutzen für den Spediteur bringen. Hier sind unsere Unternehmen bestens aufgestellt. Denken Sie an die mehreren Hunderttausend Trucks und Trailer, die bereits vernetzt sind. Das ist eine gute Absprungbasis für die Logistik der Zukunft. DHL hat jetzt mit dem elektrischen Street-Scooter ein Fahrzeug von einem Newcomer gewählt. Sehen Sie da keine Bedrohung für die deutschen Hersteller? Die schnellen Entwicklungen in den Bereichen Vernetzung, logistische Dienste und Digitalisierung fordern unsere Unternehmen enorm heraus. Aber wenn sie ihr Wissen über die Nutzfahrzeuge mit modernster Softwareentwicklung verbinden - dann bleiben sie Leader. Nicht jeder fährt einen Neuwagen, wie passen Altfahrzeuge in die neue digitale Welt? Teil- oder hochautomatisierte Fahrzeuge und von Menschen gesteuerte Autos werden noch lange Zeit nebeneinander unterwegs sein. Aber gerade für Logistiker sind automatisierte Lkw besonders attraktiv. Denn im Speditionsgeschäft ist vor allem derjenige erfolgreich, der auf technologische Innovationen setzt. Vernetzung und Automatisierung werden dem Lkw rasch voranschreiten - eben weil das Effizienzpotenzial enorm ist. Wenn autonome Lkw und Pkw auf der Straße unterwegs sein werden neben Altfahrzeugen, die nicht autonom fahren - wie soll das dann im Verkehrsfluss miteinander funktionieren? Hochautomatisierte Lkw werden auf der rechten Spur der Autobahn unterwegs sein. Die Fahrer übergeben die Fahraufgabe an das System und übernehmen wieder das Steuer, wenn sie dazu aufgefordert werden. Natürlich wird es einen Mischbetrieb von automatisierten und herkömmlichen Autos geben. Die automatisierten Fahrzeuge werden sich an die Verkehrsregeln halten. Natürlich kann es bislang unbekannte Situationen geben. Etwa wenn ein Fußgänger an einem Zebrastreifen ein automatisiertes Auto vorbeiwinken will. Das Auto wird trotzdem stehen bleiben, weil es einen Menschen erkennt, der Vorrang hat. Das sind neue Situationen, die wir Schritt für Schritt kennenlernen werden. Schauen wir noch mal auf die Autobahn: Ein Lkw-Platoon müsste sich vor Ausfahrten auflösen oder in größeren Abständen fahren, damit Pkw einscheren können. Kleine Schritte sind auf der IAA zu sehen: Ein Rechtsabbiegeassistent von Daimler und ein Ausweichassistent von ZF. Soll der Gesetzgeber auch den Einbau dieser Fahrerassistenzsysteme vorschreiben? Ich halte nichts davon, zu früh nach dem Gesetzgeber zu rufen. Aber es wird sicher in absehbarer Zeit eine verpflichtende Regelung geben. Und das ist auch grundsätzlich sinnvoll. So eine Vorschrift muss dann aber europaweit, wenn nicht weltweit, greifen und keineswegs nur national. Was der Gesetzgeber tun muss, ist, die verlängerten Fahrerhäuser und Auflieger in nationales Recht umzusetzen. Wie weit sind die Hersteller hier technisch? Neue Fahrerhäuser kommen nicht von heute auf morgen. Die Entwicklungszyklen beim Nutzfahrzeug sind lang. Auch der Entwicklungsaufwand ist hoch, denn die neuen Fahrerhäuser müssen sowohl Verbrauchsvorteile als auch einen Sicherheitsgewinn bringen. Im Übrigen muss die EU noch Typgenehmigungsvorschriften anpassen, die genau beschreiben, welche technischen Anforderungen neue Fahrerhäuser erfüllen müssen. Heckflossen für Trailer sind im Prinzip schon jetzt zulässig. Die konkrete Umsetzung für den europaweiten Verkehr wird aber erst im Frühjahr 2017 erfolgen. Inwieweit führt der Abgasskandal bei VW Diesel-Pkw zu einem Imageschaden für eine ganze Motorengattung? Diese unerfreulichen Vorgänge haben Vertrauen gekostet. Auf der anderen Seite sind die Verkaufszahlen für Diesel-Pkw in Europa weitgehend stabil. Die Dieseltechnologie ist auf absehbare Zeit unverzichtbar, wenn die ambitionierten europäischen CO2-Ziele erreicht werden sollen. Beim schweren Nutzfahrzeug weiß jeder, dass der Diesel wegen seiner Wirtschaftlichkeit noch sehr lange eine zentrale Rolle spielen wird. Dennoch arbeiten die Hersteller intensiv an alternativen Antrieben und Kraftstoffen für Nutzfahrzeuge. Die Öffentlichkeit glaubt, dass auch die Abgaswerte von Lkw nicht stimmen. Hat sie recht? Moderne Nutzfahrzeuge sind in Sachen Abgasemissionen mustergültig. Beim Lkw werden die Emissionen schon seit der Einführung von Euro-6 im Jahr 2013 auch im Betrieb gemessen. Und zwar mit den sogenannten PEMS-Geräten. Das Nutzfahrzeug ist dem Pkw hier einen Schritt voraus und hat bewiesen, dass geringste Emissionen mit dem Diesel möglich sind. Beim Verbrauch beziehungsweise bei den CO2-Emissionen liegt die Wahrheit auf der Straße: Spediteure sind extrem verbrauchssensibel. Diese Peitsche zwingt die Hersteller, technologisch alles herauszuholen. Bislang ist der Verbrauch trotz strengerer Abgasregeln stets weiter gesunken. Saubere Elektro-Pkw werden mit einer Kaufprämie gefördert. Würde so ein Zuschuss für alternative Antriebe im Lkw Sinn machen? Beim Nutzfahrzeug sind die Total Cost of Ownership entscheidend. Wenn Elektro-Lkw im konkreten Einsatz rentabel sind, werden sie auch gekauft. Da brauchen wir keine Prämie. Im leichten und schweren Verteilerverkehr wird sich bis 2020 in Sachen Elektro-Lkw einiges tun. Wie bewerten Sie das Vorgehen der EU, um CO2-Grenzwerte für Lkw festzulegen? Nutzfahrzeuge sind wegen der vielen verschiedenen Formen viel schwieriger zu regulieren als Pkw. Die Frage ist, was man regulieren will. Nur den Motor, einzelne Komponenten oder das Gesamtfahrzeug - einmal als Sattelzug, als Kipper oder als Tankfahrzeug? Diese Aufgabe ist ohne erheblichen bürokratischen Aufwand kaum zu meistern. Erst in der Optimierung für den konkreten Einsatzzweck werden die Fahrzeuge effizient. Ein aerodynamisch optimierter Fernverkehrs-Truck ist nicht weniger effizient als ein Verteiler-Lkw mit einem optimal ausgelegten Antriebsstrang. Die viel zitierten USA taugen als Beispiel für unsere Situation nur bedingt, die Lkw verbrauchen dort im Schnitt mehr als ihre Pendants in Europa. Was wäre ein sinnvolles Vorgehen, um zu Grenzwerten zu kommen? Verbrauch und Effizienz werden künftig mit dem Simulationstool Vecto ermittelt und für die Kunden noch transparenter. Die Nutzfahrzeugindustrie hat in den vergangenen 20 Jahren Stickoxide und Partikelausstoß massiv gesenkt. Und gleichzeitig sind der Verbrauch und damit die CO2-Emissionen gesunken. Jetzt wollen wir erst einmal sehen, was gesetzgeberisch aus den noch recht allgemeinen Ankündigungen der EU-Kommission wird. Das heißt, sie arbeiten daran, dass kein CO2-Grenzwert kommt? Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Kommission das machen will und ich habe den Eindruck, sie weiß es selbst noch nicht. Das ist eine schwierige Aufgabe und die Kommission wusste, warum sie mit Vecto bislang auf einen anderen Weg gesetzt hat. Wenn Grenzwerte kommen, wie werden das die Hersteller lösen? Es muss darum gehen, den gesamten Transportprozess auf CO2-Effizienz zu trimmen. Und dafür gibt es wesentlich mehr Einflussfaktoren als den Verbrauch der neuen Fahrzeuge. Der wird so oder so weiter sinken. Neben dem autonomen Fahren ist noch ein anderes Thema der IAA 2014 in Misskredit geraten, der Lang-Lkw. Laut einer Umfrage lehnen die Menschen ihn ab. Hat der VDA, im Vergleich zum Gegner Allianz pro Schiene, zu wenig in Sachen Image-PR getan? Das automatisierte Fahren ist nicht in Misskredit geraten. Beim Lang-Lkw haben manche Kritiker noch nicht gemerkt, dass der VDA und die Bahn sich bereits vor Jahren auf ein gemeinsames verkehrspolitisches Konzept verständigt haben. Darin hat die Bahn ihre Offenheit für neue Längen erklärt. Sie nimmt ja mittlerweile auch selbst am Feldversuch teil. Wenn man die Leute fragen würde, ob sie drei normale oder zwei etwas längere Lkw bevorzugen, würde das Ergebnis anders ausfallen. Aber genau das hat die Allianz pro Schiene sehr geschickt gemacht. Hätte der VDA da nicht früher dagegenhalten müssen? Wenn Sie sich die Umfrage anschauen, sehen Sie, dass hier mit Formulierungen gearbeitet wird, die den Befragten von vornherein in eine bestimmte Richtung lenken. Nicht Fakten und Sachargumente stehen im Vordergrund, sondern Angstmache. Wir gehen davon aus, dass der Lang-Lkw demnächst vom Versuch in den Regelbetrieb übergeht. Deswegen sind das Nachhutgefechte. Selbst die grüne Regierung in Baden-Württemberg hat sich dem Feldversuch geöffnet, weil die Fahrzeuge effizient und sicher sind. Der Lang-Lkw hat sich im Praxistest als sinnvolle technische Innovation erwiesen. Vita Matthias Wissmann Der amtierende Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann, wurde am 15. April 1949 im schwäbischen Ludwigsburg geboren. Er hat Rechtswissenschaften, Politologie und Volkswirtschaft in Tübingen und Bonn studiert und brachte es als CDU-Mann in seiner Politikerkarriere bis zum Bundesverkehrsminister (1993-1998). 1976 wurde er erstmals direkt in den Bundestag gewählt, damals als jüngster Abgeordneter. Seit 1999 ist der Jurist Rechtsanwalt in der internationalen Sozietät Wilmer Cutler Pickering Hale & Dorr. Der ehemalige Hockey-Bundesligaspieler ist zudem seit 2007 oberster Lobbyist der Automobilindustrie. Der VDA veranstaltet die IAA Pkw und IAA Nutzfahrzeuge. sv Sekt oder Selters Entscheiden Sie sich für ... Lkw: Vollelektrisch oder Hybrid?Für den Fernverkehrs-Lkw noch auf lange Zeit der Verbrennungsmotor.Maut für Lkw unter 7,5 Tonnen?Nein.Voll-Autonomer Truck oder Fahrer muss eingreifen können?Irgendwann vollautonom, aber in den nächsten Jahren mit Fahrer.Verbandsarbeit oder Politikerkarriere?Beides zu seiner Zeit.Hockey oder Fußball?Im Hockey war ich besser.VfB Stuttgart: Wiederaufstieg oder Klassenerhalt?Sie treffen den wundesten Punkt. Ich hoffe auf den Wiederaufstieg.GPS-Tempomat oder geschulte Fahrer?Geschulte Fahrer und GPS-Tempomat, wo ist der Widerspruch?Spätzle oder Currywurst?Eindeutig Spätzle.

"Sicherheit geht vor Schnelligkeit"

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