Segen oder Fluch?

Segen oder Fluch?In vielen Branchen wird eifrig über die Einführung eines Mindestlohns debattiert. Auch wenn die Tarifparteien in der Transportbranche sich in dieser Sache zurückhaltend äußern, gibt es durchaus Argumente für den Mindestlohn. Mit dem Mindestlohn und den Spediteuren ist es eine seltsame Sache. Öffentlich sind die Unternehmer gegen den Mindestlohn. Hinter vorgehaltener Hand legen jedoch viele ihre Scheu ab. "Ich wäre für dessen Einführung in der Transportbranche", sagt beispielsweise ein Unternehmer – zugleich Verbandsfunktionär – gegenüber der VerkehrsRundschau. Seinen Namen will er jedoch nicht in diesem Zusammenhang lesen: "Die Prügel der Kollegen erspare ich mir lieber", sagt er. Denn es macht sich nie gut, wenn sich ein Unternehmer vor den Karren von Gewerkschaftsforderungen spannen lässt.Dass diese Stimme kein Einzelfall ist, beweist eine Umfrage der VerkehrsRundschau. Im Rahmen der Erhebung des VerkehrsRundschau-Index sind Logistikdienstleister und Verlader gefragt worden, ob sie für einen Mindestlohn in der Transport- und Logistikbranche sind. Das auf den ersten Blick überraschende Ergebnis: Mit 55 Prozent der Befragten sind unerwartet viele für dessen Einführung. 38 Prozent lehnen ihn ab, während 7 Prozent sich nicht äußern wollen. Betrachtet man die Antworten nur der Dienstleister, sind immerhin noch 53 Prozent für einen Mindestlohn (siehe Grafik links). Ein Ergebnis, über das sich zumindest diejenigen Beschäftigten in der Transportbranche freuen würden, deren Gehalt eher dürftig ausfällt. Die Vergütungsstudie 2007 der VerkehrsRundschau in Zusammenarbeit mit den Entgeltspezialisten PersonalMarkt und Baumgartner & Partner (siehe Kasten auf S. 23) zeigt, dass das Jahresgesamtgehalt zum Beispiel eines Berufskraftfahrers in der Logistikbranche je nach Größe des Betriebes zwischen 24.108 und 31.490 Euro beträgt (siehe Kasten auf S. 22). Laut einer Tariflohnübersicht Spedition des Arbeitgeberverbands Spedition und Logistik Deutschland (ASL) schwanken die Tariflöhne für Berufskraftfahrer auch nach Bundesland extrem: 12,58 Euro pro Stunde in Baden-Württemberg stehen 5,81 Euro im Mecklenburg-Vorpommern gegenüber. Allerdings: Grundlage des Mindestlohns in Mecklenburg ist der Tarifvertrag aus dem Jahr 1996. Seitdem konnten sich die Tarifparteien auf keine neue Vereinbarung einigen, weshalb der Vertrag nach wie vor seine Gültigkeit hat. Doch werden laut Norbert Voigt vom Landesverband des Verkehrsgewerbes Mecklenburg-Vorpommern in der Praxis höhere Löhne gezahlt.Hört man sich in der Branche um, so wird am häufigsten die Dumpinglohnproblematik als Vorteil eines Mindestlohns genannt. Speditionen, die nicht an Tarifgehälter gebunden sind oder sich nicht daran halten, können bei der Auftragsvergabe die Firmen unterbieten, die sich an Tariflöhne halten. Aber sowohl für Arbeitnehmer (s. Interview Seite 25) wie auch für die Arbeitgeberseite ist dieses Ungleichgewicht offenbar kein Grund, einen Branchenmindestlohn einzuführen. "Wir wollen uns den Lohn nicht staatlich vorschreiben lassen", sagt Claus-O. Herzig, Vorsitzender des Ausschusses für Sozialpolitik im Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). "Da bei uns die Landesverbände in dieser Sache autonom entscheiden, kommt für unsere Branche ein bundesweiter Mindestlohn sowieso nicht in Frage", so Herzig. Das Problem mit den Dumpinglöhnen sei ihm zwar bekannt. "Hier muss es jedoch Ziel von Arbeitgeber wie Arbeitnehmer sein, über eine Stärkung des Flächentarifvertrages diese Unterbietungen zu bekämpfen", sagt Herzig. Im Übrigen verwies er auf die Regelung, nach der ein Unterschreiten des im Flächentarifvertrag vereinbarten Lohnes um mehr als ein Drittel sittenwidrig ist.Kritik an der GewerkschaftIn die gleiche Kerbe schlägt Oskar Vogel, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Spedition und Logistik Baden-Württemberg: "Grundsätzlich sind wir gegen einen Mindestlohn." Aus seiner Sicht liege es vor allem an der Entwicklung der Tariffähigkeit in den neuen Bundesländern, dass die Mindestlohndiskussion aufgekommen sei. Die Gewerkschaften sind dort so schwach organisiert, dass sie zum Teil seit Jahren nicht in der Lage waren, Tarifverträge abzuschließen. "Das ist die Krux: Die Ohnmacht der Gewerkschaften führt dazu, dass der Ruf nach dem Gesetzgeber laut wird", so Vogel.Der scheint ihn vernommen zu haben: Die deutsche Regierung will beim Mindestlohn nachziehen – 20 der 27 EU-Mitgliedstaaten haben ihn bereits gesetzlich festgelegt (siehe Grafik S. 25). Erst am letzten Wochenende hat SPD-Chef Kurt Beck nochmals bekräftigt: "Deutschland braucht einen gesetzlichen Mindestlohn." Doch auf dem Weg zum Branchenmindestlohn sind einige Hürden zu überwinden. Erst am 18. Juni 2007 hat der Koalitionsausschuss beschlossen, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf weitere Branchen auszuweiten und das Mindestarbeitsbedingungengesetz zu modernisieren. Daher befinden sich die zwei Gesetzesentwürfe – vorgelegt von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz – in der Ressortabstimmung.Derzeit gibt es zwei Möglichkeiten, einen Branchenmindestlohn zu erreichen. Zum einen über Tarifverträge zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Über eine Allgemeinverbindlicherklärung nach dem Tarifvertragsgesetz (siehe Grafik S. 24) können Tarifparteien beantragen, dass der Vertrag auch für alle nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Beschäftigten der Branche gelten soll. Voraussetzung: Die tarifgebundenen Arbeitgeber müssen über die Hälfte der Arbeitnehmer der Branche beschäftigen und es muss ein öffentliches Interesse bestehen. Doch die Tarifbindung in Deutschland ist rückläufig. Und auch die Anzahl der neu für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträge sinkt. Im Jahr 1997 wurden 140 Tarifverträge neu für allgemein verbindlich erklärt, 2007 nur noch 16. Einfacher ist es, einen Branchenmindestlohn über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu erwirken. Hier ist bislang kein Einvernehmen mit einem Tarifausschuss nötig. Zudem war es nicht erforderlich, dass die Arbeitgeber über die Hälfte der Arbeitnehmer in der Branche beschäftigen. Der aktuelle Entwurf zum Entsendegesetz sieht jedoch vor, dass beim Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit künftig ein Tarifausschuss beteiligt wird. Um Mindestlöhne auch in Branchen oder Regionen ohne Tarifverträge oder mit geringer Tarifbindung einführen zu können, soll das Mindestarbeitsbedingungengesetz modernisiert werden. Experten sollen feststellen, ob ein Mindestlohn für die Branche nötig ist und die konkrete Höhe bestimmen. "Mit beiden Gesetzen schaffen wir die Grundlage dafür, flächendeckend Wettbewerb über Lohndumping zu verhindern. Wir schützen damit die ehrlichen Unternehmen vor unfairer Billigkonkurrenz", heißt es in einem Schreiben des Bundesarbeitsministers Scholz an die Mitglieder der Fraktionen von CDU/CSU und SPD. Interesse an einem branchenspezifischen Mindestlohn zeigt die Entsorgungswirtschaft. Der Bundesverband der Entsorgungswirtschaft (BDE) will gegen Dumpinglöhne angehen, so Rainer Cosson, Geschäftsführer des BDE. Das zweite Ziel: Unternehmen, die sich noch an Tarife halten, sollen mit dem Mindestlohn unterstützt werden. Weniger als die Hälfte der nicht tarifgebundenen Unternehmen würden "sozial inadäquate Löhne" zahlen. "Wenn wir es nicht schaffen, ein unterstes Level einzuziehen, dann führt die Tarifbindung dazu, dass eine konkurrenzfähige Tätigkeit nicht mehr gewährleistet ist", sagt Cosson. Als weiteres Argument für einen Mindestlohn sieht der BDE den Auftragsschwund aufgrund des schlechten Images der privaten Entsorger. Der "wichtigste Auftraggeber", die Kommunen, würde mit Unternehmen zusammenarbeiten wollen, die sozialverträgliche Löhne zahlen. Immer mehr Kommunen würden die Aufgaben daher selbst übernehmen, so Cosson. Leiharbeitsfirmen unterbieten TariflöhneEntspannter sehen andere Logistikbranchen die Situation. Im Hafenbereich etwa sind die Tarifstrukturen laut Verdi-Fachgruppenleiter Andreas Bergemann relativ ausgewogen. Die Löhne würden meist weit über dem diskutierten Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde liegen. Es gebe aber ein paar "schwarze Schafe", die aus den Flächentarifverträgen ausgetreten seien und mit Leiharbeitsfirmen zusammenarbeiten würden. Diese würden dann unter Mindestlohngrenze zahlen, so Bergemann. Klaus Heitmann, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutscher Seehäfen, kann diese Entwicklung nicht bestätigen. Die Gewerkschaft sei sehr stark im Hafenbereich. Auf der Schiene werden ebenfalls tarifliche Lösungen bevorzugt: "Wir brauchen den Mindestlohn nicht unbedingt, um gerechte Löhne erzielen zu können", so Transnet-Sprecher Oliver Kaufhold. Auch der Arbeitgeberverband Deutscher Eisenbahnen (AGVDE) zeigt sich skeptisch: Alle Eisenbahnervergütungen lägen "sehr weit oberhalb des politisch diskutierten Mindestlohnniveaus von 7,50 Euro pro Stunde". In der Luftfracht ist die Lage nicht so eindeutig: Die großen Carrier würden in der Regel über dem diskutierten Mindestsatz von 7,50 Euro entlohnen, sagt Gerhard Straube, Gewerkschaftssekretär des Verdi-Flughafenbüros Frankfurt. "Nach gewerkschaftlicher Sicht liegt das Problem bei den externen Dienstleistern im Handling-Bereich. Es gibt dutzende kleine Anbieter, die in der Regel wenig bezahlen", so Straube weiter. Da fange der Stundensatz bei etwa 5,50 Euro an. Auch die Luftfrachttochter der Lufthansa (LH) greift auf Externe zurück: "LH Cargo gibt je nach Saison rund ein Viertel an externe Arbeitskräfte im Handling-Bereich ab", sagt Nils Haupt, Sprecher von LH Cargo. Vor einem Jahr hat das Unternehmen eigens für das Handling eine Tochter gegründet. Für die LH-Tochter bestehe zwar noch kein Tarifvertrag, das Unternehmen zahle aber nicht unter dem diskutierten Mindestlohn, so Straube. Die Gefahr, dass Mindestlöhne in der Transportbranche Fuß fassen, scheint also gering zu sein. Das Beispiel Postmindestlohn jedoch zeigt: Eine Kehrtwende ist schneller möglich, als so manchem lieb ist. ❙❚■ Michael Cordes, Kathrin Petersen, Sonja SydowMehr zum Thema Mindestlohn finden Sie unter www.verkehrsrundschau.de.

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