Reif für die große Tour?

Während Volvo den FH komplett erneuerte, musste beim FM ein Facelift genügen. Die offensichtliche Ähnlichkeit beider Baureihen verleitet Unternehmer, den leichteren und günstigeren FM im Fernverkehr einzusetzen. Im VR-Profitest muss der FM 450 Globetrotter zeigen, ob das gut geht. Der Einstieg ins tief auf dem Rahmen sitzende Fahrerhaus gestaltet sich fahrerfreundlich. Eine geeignete Sitzposition zu finden, ist für Fahrer über 1,85 nicht so einfach. Es fehlt an Längsverstellbarkeit des Sitzes. Die Lenkradverstellung via Fußpedal darf dagegen als vorbildlich gelten. Wegen des hohen Motortunnels kommt im FM kein großzügiges Raumgefühl auf. Echte Stehhöhe gibt es nur vor dem Beifahrersitz. Es müssen keine 13 Liter sein Der Elfliter-Reihensechszylinder läuft akzeptabel leise. Vom geringeren Hubraum merkt der Fahrer - speziell in der 450-PS-Version - wenig. Der D11K hängt gut am Gas, zeigt sich Volvo-typisch schon ab 950 Touren kraftvoll und die automatisierte Schaltung hält ihn stets im grünen Bereich, wo er sparsam und dennoch schwungvoll läuft. Die Welle des Drehmoments (maximal 2150 Nm) ist hoch genug, um schön darauf surfen zu können. Tatsächlich fragt man sich, warum die Schweden den kleinen Kraftprotz nicht im FH anbieten. Dem würde das niedrigere Gewicht gut tun. Wie nicht anders zu erwarten, glänzt die automatisierte I-Shift-Schaltung mit schnellen, komfortablen Schaltwechseln und guter Schaltstrategie. Endlich bieten die Schweden eine manuelle Schaltbeeinflussung ohne den Sitzhebel an, die sich im Armaturenbrett befindet. Allerdings nur, wenn sich der Käufer für die Flottenversion entscheidet. Bei der kann der Fahrer kaum noch Eingriffe vornehmen. Das ist beim sehr gut arbeitenden I-Shift-Getriebe auch kaum nötig. Erst recht nicht, wenn wie beim Test-LKW noch der "sehende" Tempomat I-See die Topografie kennt. Trotzdem gibt es Situationen, in denen der Fahrer es besser weiß, beispielsweise in Autobahnbaustellen. In einer solchen wählte die Software den zehnten Gang, der elfte wäre locker drin gewesen. Als spritsparender Fahrer würde man gerne einen Gang hochschalten. Um den passenden Taster zwischen den anderen Schaltern zu finden, muss der Fahrer zwangsläufig den Blick von der Straße nehmen. In engen Baustellen fast unmöglich. Endlich gefunden, verweigert I-Shift das Hochschalten. Keine gute Lösung! Beim Fahren zeigt sich der FM erdverbunden. Statt obenauf zu thronen, fühlt sich der Fahrer mit seinem LKW verbunden. Ein wenig entrückt wirkt nur die extrem leichtgängige "Dynamic-Steering"-Lenkung im Stile eines amerikanischen Straßenkreuzers. Sie mag im Verteilerverkehr ihre Berechtigung haben. Auf der Autobahn fehlt es ihr an Direktheit. Positiv: Selbst auf schlechtesten Straßen ist keine Erschütterung im Lenkrad spürbar. Der FM ist keine Sänfte Vor allem auf der Teilbeladungsrunde teilt die Hinterachsfederung kräftige Schläge aus. Nur dank der sehr guten Sitzfederung kommt davon wenig im Rücken des Fahrers an. Ausgeladen zeigt der mittelschwere Schwede dagegen einen ausgewogenen Fahrkomfort und eine Auslegung, die man im Fernverkehr erwartet. Bei den Bremsen, seit jeher eine Domäne der Schweden, gibt sich der FM keine Blöße. Nach dem Umsatteln stellt sich das elektronische Bremssystem rasch auf die neue Situation ein. Die Ansprechzeit der Stopper ist extrem kurz, das Pedal lässt sich sehr gut dosieren. Wiederholt müssen wir die Philo sophie von Volvo kritisieren, auf eine starke Motorbremse statt Retarder zu setzen. Auf der mittelschweren VR-Testrunde reicht die starke Ventilbremse zwar aus. Allerdings bringen die häufigen Rückschaltungen auf den zehnten Gang - und die braucht das System, um ordentlich zu verzögern - jede Menge Lärm in die FM-Kabine. Und wenn die Strecke anspruchsvoller wird, ist der Retarder nicht zu überbieten. Absolut fragwürdig ist die Fahrstrategie im höchsten Level "Eco" des vorkonfektionierten I-See-Tempomaten. Im Bestreben nach maximaler Kraftstoffersparnis schießt der LKW bei gesetzten 85 km/h mit deutlich über 90 km/h ins Tal. Das ist unverantwortlich, gefährlich und widerspricht jeglicher Gesetzgebung. Das Bedienkonzept im Volvo FM entspricht weitgehend dem großen FH. Das auf den ersten Blick überfrachtet wirkende Multifunktionslenkrad erschließt sich nach kurzem Studium der Bedienungsanleitung. Damit hat der Fahrer sowohl wichtige Fahrfunktionen wie Tempomat, Eco-Level, Bremsomatfunktion als auch Telefon und Radio im Griff, ohne die Hände vom Volant nehmen zu müssen. Gut gefällt das bereits vom Vorgänger bekannte, individuell einstellbare Zentraldisplay mit drei Anzeigenoptionen. Ein rechts angeordneter LCD-Bildschirm zeigt die Anzeigen der sogenannten sekundären Funktionen wie Navi, Dynafleet oder die Bilder eventuell installierter Kameras. Die Bedienung der Motorbremse hat Volvo ebenfalls optimiert. An oberster Raste findet sich jetzt die Automatik-Funktion, die Eco-Roll aktiviert und die Zusatzbremse(n) zusteuert. Ein zusätzlicher Knopf am Hebelende setzt die maximale Motorbremsleistung frei, indem das System sofort in Stufe drei schaltet und den Gang mit der maximal möglichen Drehzahl einlegt. Das ist ein deutlicher Komfortgewinn gegenüber früher. Prima Klima in der Mittelklasse Im Hinblick auf Sitzkomfort oder Innenraumklimatisierung sind die Abstriche gegenüber dem FH minimal. Allerdings ist der FM nicht so übersichtlich. Was die Fahrerassistenzsysteme betrifft, offeriert der FM optional Notbremsassistent, Spurbindung und Abstandstempomat. Zusätzlich gibt es den aus dem größeren Modell bekannten Spurwechselassistenten. Aktuell ist die sogenannte Streckbremse aus dem FH nicht verfügbar, die speziell im Winter für mehr Sicherheit vor allem bei Anhängerkombinationen sorgen soll. Während der zweitägigen Testfahrten zeigten sich die elektronischen Assistenten von hoher Qualität. Dem Abstandstempomat fehlt noch eine Geschwindigkeitsanzeige des vorausfahrenden Fahrzeugs. ESP regelt spät und bremst sanft ein. Den Spurwechsel-Assistenten weiß sicher jeder Vielfahrer zu schätzen. Für den echten Fernverkehr ist der FM trotz Globetrotter-Kabine zu klein. Wer aber im Verteilerverkehr nur selten im LKW übernachtet, kommt mit dem gebotenen Raum zurecht und lernt vor allem den bequemen, weil niedrigen Einstieg zu schätzen. Dann genügen auch die Staufächer. Optional bietet Volvo ein Staumodul an der Kabinenrückwand an. Einfach und logisch per Drehschalter zu bedienen ist das Innenlicht-Konzept im FM samt Nachtlicht und Dimmer. Und hoffentlich investiert der Chef in das "Sicht+" genannte Lichtpaket. Dann erhellen nämlich dynamische Bi-Xenon-Scheinwerfer die Straße und bei nächtlichen Kurvenfahrten hilft das statische Abbiegelicht. Bleibt am Ende die Frage, ob der FM ein Fernverkehrsauto geworden ist? Nein, das ist er nicht. Das Auto ist prima für den nationalen Einsatz mit ein, zwei Übernachtungen. Für alles andere muss der FH her! Test mit Referenz-Lkw Testen wie die Industrie Jeden VR-Profi-Test begleitet der redaktionseigene New Actros 1845 mit Voll- und Teilausladung (40/24 Tonnen). Mit diesen Kombinationen haben wir unter Normalbedingungen (windstill, trocken, 20°C) Basiswerte für die Verbrauchsmessung erfahren. Ändern sich bei der Testfahrt die äußeren Bedingungen durch Wind, Regen oder Temperatur, ändert sich auch der Verbrauch des Referenz-LKW. Um diese Abweichung können wir die Verbrauchswerte des jeweiligen Test-LKW korrigieren und schaffen eine Basis, alle Werte unserer Einzeltests vergleichbar zu machen. Da die Messwerte je nach Witterung um bis zu zehn Prozent abweichen, halten wir eine vergleichende Darstellung ohne Referenz-LKW für nicht legitim. gg Der Volvo im TÜV-Urteil Serviceintervall (max. 100) 67Abfahrtskontrolle (max. 90) 69Servicearbeiten (max. 80) 63Fahrerfreundlichkeit (max. 90) 64Kleinreparaturen (max. 70) 54Wartung und Service Gesamtpunkte: (max. 430) 317Detaillierte Ergebnisse unter www.verkehrsrundschau.deDer TÜV Süd kommt bei der Beurteilung von Service und Wartung beim neuen Volvo FM zu folgendem Ergebnis: Der Schwede ist ein durchdachtes Fahrzeug mit wartungsfreiem Chassis, umfangreichem Diagnosesystem und einem für den Fahrer hilfreichen Bordcomputer. Negativ fällt der nur optionale Reifenfüllanschluss auf. 100.000 Kilometer Wartungsintervall sind aktuell allenfalls noch durchschnittlich. Dafür genügen Standardöle nach Volvo-Norm. Der Waschwasserbehälter sitzt offen im Spritzbereich des Vorderrads. Ein Tausch der vorderen Leuchtmittel ist ohne Werkzeug möglich. Die Kupplung arbeitet wartungsarm via Pneumatik. Die Mehrzahl aller Füllstände wird vom Bordcomputer überprüft. Rechtzeitig bekommt der Fahrer eine Klartextmeldung aufs Display, falls etwas nicht passt. Die Werkstatt kann gegebenenfalls über Codes dann tiefer in die Fehleranalyse gehen. Schön: ein Ölmessstab plus Teleskop-Einfüllöffnung plus Sensor. Bei den Rückleuchten setzt Volvo auf energieeffiziente und langlebige LED. Die Frontklappe ist unverriegelt. gg