Musterknabe unter Schurkenstaaten

Die Länder Zentralasiens haben in der westlichen Welt nicht den besten Ruf. In Weißrussland herrscht der letzte Diktator Europas. In Turkmenistan und Usbekistan sind die Regierungschefs nicht mit weniger Macht ausgestattet. Auch Kasachstan ist politisch nicht unumstritten. Bei seiner letzten Wiederwahl holte Staatspräsident Nursultan Nasarbajew sozialistisch anmutende 95,5 Prozent der Stimmen. Menschenrechte und Demokratie sind in Kasachstan durchaus dehnbare Begriffe. Unabhängige Organisationen prangern die Verfolgung Oppositioneller, Vetternwirtschaft und Korruption an. Dennoch ist Kasachstan so etwas wie der Musterknabe unter den Schurkenstaaten. Immerhin hat es Nasarbajew geschafft, das Land in den vergangenen zwanzig Jahren politisch und wirtschaftlich zu stabilisieren. "Kasachstan ist ein politisch ausgesprochen stabiles Land mit einer geschickten Außenpolitik", hebt Johann Killinger, geschäftsführender Gesellschafter der Hamburger Buss Group, hervor. Als Honorarkonsul Kasachstans in Hamburg hat er die Vorgänge im Blick. Nasarbajew bekomme den Spagat zwischen der Annäherung an den Westen hin, ohne es sich mit dem putinschen Russland zu verscherzen. Doch es gibt noch andere Staaten, mit denen Kasachstan ins Geschäft kommen will. So werden gegenüber dem großen Nachbar China freundschaftliche Beziehungen gepflegt. Und Im Russland-Ukraine-Konflikt kommt Kasachstan sogar so etwas wie eine Vermittlerrolle zu. Außenminister Frank-Walter Steinmeier adelte das Land zuletzt als "politischen Stabilitätsanker der Region". Die politische und wirtschaftliche Stabilität ist bei aller Kritik zweifellos der größte Verdienst Nasarbajews. Das Land hat nicht nur geografisch eine Brückenfunktion zwischen den europäischen Märkten und den Absatzgebieten in Russland und China. "Kasachstan ist für uns nicht nur im Verkehr mit Deutschland wichtig, sondern vor allem als Verbindung zwischen China und unseren Gesellschaften in Russland, der Ukraine und Belarus", erklärt Dieter Müller, Prokurist bei der Emons Spedition in Himmelkron. Die Spedition hat sich vor knapp einem Jahr dazu entschlossen, eine eigene Gesellschaft in Kasachstan zu gründen. Die Zusammenarbeit mit Partnerspeditionen hätten nicht die erhofften Erfolge gebracht, so Müller. "Auch erfüllten bisherige Kooperationen nicht die Emons-Standards und die Qualität, die unsere Kunden gewöhnt sind", begründet er den eigenständigen Schritt in das Land. Großer Bedarf an Waren aus Europa Die meisten Logistikdienstleister sind mit eigenen Niederlassungen zurückhaltender und setzen lieber auf inländische Partner oder auf Transporteure aus Russland und Weißrussland. "Das private Unternehmertum hat in Kasachstan bei Weitem noch nicht den Stellenwert, wie wir es gewohnt sind", muss auch Killinger zugeben. Der Staat beherrscht nach wie vor die Schlüsselindustrien. Auch Vadim Gross, Geschäftsführer der Troisdorfer Spedition STL Logistik, setzt auf Partnerunternehmen. Das Unternehmen ist zwar hauptsächlich im Russland-Verkehr tätig, doch als gebürtiger Kasache beobachtet Gross die Entwicklung sehr genau. "Das Land hat großen Bedarf an Waren aus Westeuropa", sagt Gross. Diese Transporte wickelt er über Partner ab. Die kommen nicht unbedingt nur aus Kasachstan, sondern auch aus den umliegenden Ländern wie Weißrussland oder Russland. Das Transportgeschäft ist mit dem europäischen nicht zu vergleichen. "Es gibt keine Stückgut-Netzwerke, kein ausgebautes Straßennetz. Es muss jeder Transport neu organisiert werden", weiß Müller. Dennoch eröffnet das Land große Möglichkeiten. "Der Ausbau des Transport- und Logistiksektors und die Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen spielen für Kasachstan eine bedeutende Rolle", weiß Müller. Schließlich habe sich die kasachische Regierung zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 zu den 30 am meisten entwickelten Ländern der Welt zu gehören. Schon heute rechnet der Internationale Währungsfonds Kasachstan mit einem Bruttoinlandsprodukt von 224,4 Milliarden US-Dollar und einer Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung von 13.000 US-Dollar zu den wirtschaftlich liberalen Transformationsstaaten. Für Deutschland ist Kasachstan der mit Abstand wichtigste Handelspartner in Zentralasien. Über 200 deutsche Unternehmen sind in Kasachstan vertreten. Das Land exportiert vor allem Erdöl, Eisenund Stahlerzeugnisse sowie chemische Produkte nach Deutschland. Im Gegenzug liefern deutsche Firmen vor allem Maschinen, elektrische Ausrüstung, chemische Produkte, Autos und Autoteile sowie pharmazeutische Erzeugnisse. Christoph Hanke, Zentralasienexperte der Industrie- und Handelskammer Köln, sieht Chancen bei den Zulieferern für die Ölund Gasindustrie. Doch auch der Konsumgütersektor wachse weiter. Mangels eigener Produktionsstätten würden viele Waren aus Europa importiert. Bedarf bestehe zudem an Maschinen und Maschinenteilen, Infrastrukturausrüstung für die Telekommunikation, am Straßenbau und der Eisenbahn. Die Einfuhrquote im Maschinenbausektor beträgt nach Angaben der deutschen Außenwirtschaftsagentur German Trade and Invest (GTAI) 90 Prozent. Künftig dürfte insbesondere die Baustoffindustrie stark wachsen. Die kasachische Regierung will hier zunehmend unabhängig von Importen werden und baut die Industrie im Land massiv aus. So errichtet etwa die deutsche Firma Heidelberg Cement in Shetpe in der Nähe des Kaspischen Meers eine Zementfabrik. Kasachstan sucht die Nähe zur EU Auch der Automarkt boomt. Aufgrund der hohen Einfuhrzölle profitieren hauptsächlich lokale Hersteller. Der russische Autobauer Lada baut derzeit in Öskemen, in der Nähe der russischen Grenze, ein Autowerk. Ab 2016 sollen pro Jahr 120.000 Autos vom Band laufen. Die Hälfte der Produktion ist für den sibirischen Markt bestimmt. Generell stehen die Zeichen im Außenhandel auf Wachstum. Die Regierung rechnet bis 2018 mit einem Anstieg der Importe von 54 Milliarden auf 93 Milliarden US-Dollar. Möglich werden soll das durch den Beitritt Kasachstans zur Welthandelsorganisation WTO. Parallel gründete Kasachstan im Mai zusammen mit Russland und Weißrussland die Eurasische Wirtschaftsunion. Diese Zollunion soll nach dem Vorbild der Europäischen Gemeinschaft den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedsländern vereinfachen. Ursprünglich wollte die Ukraine ebenfalls zu den ersten Mitgliedern gehören. Da sich die neue Regierung nun aber eher für eine Mitgliedschaft in der EU stark macht, dürfte das erst mal kein Thema sein. Dafür wollen Armenien und Kirgisien ab Januar dem Bündnis angehören. Einen Schub könnte die Expo 2017 bringen. Die Weltausstellung wird dann in der kasachischen Hauptstadt Astana stattfinden. Im Strudel der Ukraine-Krise Momentan läuft es für die kasachische Wirtschaft jedoch alles andere als rund. Das Wirtschaftsministerium musste Mitte Oktober für die ersten neun Monate 2014 einen Rückgang des Wachstums um 1,7 Prozent vermelden. Neben der allgemeinen Konjunkturlage leidet das Land vor allem unter den Sanktionen des Westens gegen Russland. Das beobachtet auch Dirk Grüne, Prokurist der Kölner Fachspedition für GUS-Verkehre, Degustra. Das Unternehmen transportiert unter anderem Rohre und Ausrüstungen für die Öl- und Gasindustrie per Bahn nach Kasachstan, außerdem Material für den Bau- und Ausbau von Stahlwerken. Ohne Partner sei das Geschäft in Kasachstan schwierig, meint Grüne. Traditionell eines der wichtigsten Güterverkehrsmittel in Kasachstan ist die Bahn. Das verwundert nicht weiter, wenn man bedenkt, dass das Land flächenmäßig das neungrößte Land der Erde ist. Von West nach Ost erstreckt sich das Land über 2800 Kilometer. Die Nord-Süd-Ausdehnung beträgt 1600 Kilometer. Auf dem Territorium hätten fast alle westeuropäischen Staaten Platz. Gleichzeitig wohnen dort mit 17 Millionen Einwohnern nur so viele Menschen wie in Nordrhein-Westfalen. Durch das Land verläuft daher auch die Eisenbahnverbindung zwischen Europa und China. Der Trans-Eurasia-Express, ein Joint Venture zwischen der Russischen Bahn und der DB AG, verkehrt regelmäßig zwischen dem chinesischen Zhengzhou und Duisburg. Der Zug absolviert die 10.214 Kilometer lange Strecke durch China, Kasachstan, Russland, Weißrussland und Polen nach Deutschland in 15 Tagen. Allein über den Grenzübergang Alashankou/Dostyk werden bereits mehr als 15 Millionen Tonnen Fracht abgewickelt. Der Zug ist Teil einer Route mit dem Namen "Neue Seidenstraße" und soll die stark ausgelastete Transsibirische Eisenbahn entlasten. Neben den bestehenden 14.000 Kilometern Schienenverbindungen sollen künftig China im Osten und Turkmenistan im Süden besser angebunden werden. Damit kann langfristig eine Verbindung von China in den Iran zustande kommen. Aber auch der LKW spielt in Kasachstan eine wichtige Rolle. Auch deshalb sollen bis Ende nächsten Jahres 2400 Kilometer der Magistrale Westeuropa-Westchina erneuert und ausgebaut werden. Insbesondere von Westeuropa aus gehen viele Waren per LKW nach Kasachstan. Trotz aller Anstrengungen entspricht das Straßennetz jedoch bei Weitem nicht den europäischen Ansprüchen. Einzig die Hauptverbindungsstrecke zwischen der Hauptstadt Astana und Almaty (früher Alma-Ata) ist für den schnellen Gütertransport ausgebaut. Almaty im Südosten des Landes ist mit 1,48 Millionen Einwohnern die größte Stadt und wichtigstes wirtschaftliches Zentrum. Von wirtschaftlicher Bedeutung ist zudem noch die Stadt Schymkent im Süden Kasachstans mit 652.500 Einwohnern. Ausbau der Verkehrswege Bis 2020 will die kasachische Regierung weitere 45 Milliarden US-Dollar in den Ausbau der Transportinfrastruktur investieren. Straßen und Eisenbahnstrecken, Bahnhöfe, Flughäfen und Logistikzentren sollen neu gebaut und ausgebaut werden. Diese Investitionsfreude ist ein Grund für den Erfolg des Landes. Anders als in vielen Transformationsländern landet das Geld aus den Ölvorkommen nicht nur in den Taschen einiger weniger Familien, sondern wird in den Ausbau der Infrastruktur und in die Bildung der Bevölkerung gesteckt. Trotz der Chancen bleibt ein Engagement risikoreich. Der Norden des Landes ist mehrheitlich von Russen bewohnt, die mit dem großen Bruderstaat sympathisieren. Sollte Putin mit seiner aggressiven Ukrainepolitik Erfolg haben, könnte sein Blick gen Süden auf die Uranvorkommen sowie auf die Öl- und Gasfelder Kasachstans wandern. Solange Nasarbajew an der Macht ist, dürfte er das Land zusammenhalten. Was danach kommt, ist ungewiss. Die Serie Länder mit Potenzial Wenn es um Staaten geht, die als Wachstumsmärkte gelten, werden häufig Länder wie China, Rumänien oder Bulgarien genannt. Unsere Serie lässt den Blick über den Rand der EU schweifen und stellt Ihnen eher unbekannte Länder vor. Wir gehen auf deren Stärken, Schwächen und Besonderheiten ein und geben Hinweise, worauf zu achten ist, wenn man hier Fuß fassen will. Den Auftakt machte Marokko in der VR 43/2014. Nach Kasachstan folgt in der VR 4/2015 Russland. cd Kasachstan Länderportrait* - Fläche: 2.724.900 Quadratkilometer (Deutschland: 357.168)- Wachstum Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2013/2014/2015 in Prozent 6,0/5,7/6,1- BIP/Kopf in US-Dollar: 12.843 (44.999)- Einwohner in Millionen: 17,17 (80,8)- Arbeitslosenquote 2013 in %: 5,2 (6,9)- Bruttostaatsverschuldung in % des BIP: 13,3- Hauptstadt: Astana- Religion: Sunnitischer Islam- Regierungsform: Republik- Landessprache: Kasachisch- Geschäftssprache: Kasachisch, Russisch, Englisch*in Klammern: Zahl für DeutschlandQuellen: VerkehrsRundschau