Interview: Springen Ihnen jetzt Kunden ab?

Normalerweise sagen ja die Kunden den Spediteuren, wo es langgeht. Nun dreht DB Schenker den Spieß um und nimmt fallweise keine Sendungen mehr an. Was trieb Schenker zu diesem Schritt? Für einen Spediteur war das schon ein Paradigmenwechsel. Die Entscheidung ist aber richtig. Im Moment läuft der Markt auf Hochtouren und die Lieferketten stehen stärker unter Druck, als wir es jemals gedacht hätten. Wir beobachten dabei unter anderem Zustell-Probleme an bestimmte Empfängerkreise. Mit der Folge, dass alle Stückgut-Systeme und auch wir in marktführender Position an einigen Stellen nicht mehr die hohe Qualität produzieren können, die wir von uns selbst fordern. Deshalb haben wir unser Gesamtvolumen im Netzwerk begrenzt. Das schützt die Systemqualität, unsere Kunden sowie unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wie haben Ihre Kunden auf Ihren „Annahme-Stopp“ reagiert? Viele haben mit Verständnis reagiert. Es ist im Moment in Deutschland vieles knapp – Halbleiter, Holz und eben auch Transportkapazität. Natürlich gab es auch Rückfragen von Kunden, was die Entscheidung für sie bedeutet. Es gab sogar positives Feedback von Kunden, weil sie verstehen, dass unsere Entscheidung am Ende auch die Qualität ihrer eigenen Leistungserbringung schützt. Es gibt aber auch Kunden, mit denen wir sprechen, dass wir ihre Sendungen wegen ihrer spezifischen Anforderungen und Struktur künftig nicht mehr wie vorgesehen abwickeln können. Oder nur zu deutlich veränderten Konditionen, um die erforderlichen Kapazitäten für komplexere Aufwendungen finanzieren zu können Und die orientieren sich dann fallweise um. Das heißt, Ihnen springen jetzt Kunden ab? Ja. Nachdem wir partnerschaftliche Lösungsgespräche herbeigeführt haben, wenn wir selber Probleme mit der Geschäftsfortführung sehen. Das ist aber eine in Kauf genommene Auswirkung, um die Systemqualität zu unterstützen. Ich bin häufig in unseren Umschlagshallen und sehe mir die Gutstruktur an. Es kommen eben auch solche Sendungen an, die unseren Umschlag, die Laderaumkapazität und die Zustellfahrer stark belasten. Wenn wir zu viele von solchen Sendungen abwickeln, verlieren wir in unserem System bei der aktuellen konjunkturellen Auslastung zu viel an Produktivität. Wird Schenker vor diesem Hintergrund künftig Langgut ablehnen? Nein, wir werden weiterhin Langgut akzeptieren – nach bekannten und vereinbarten Systemregeln. Es gibt aber wie gesagt komplizierte oder andere nicht systemfähige Sendungen. Das kann an der Beschaffenheit der Ware liegen, der Verpackung, der Lademittelqualität oder auch daran, dass der Avisierungs- oder Zustellaufwand in bestimmte Empfängerkreise groß ist. Da schauen wir jetzt genauer hin. Und in Zukunft werden wir da noch stärker darauf achten, um unser System besser zu schützen. Dachser akzeptiert bekanntlich ausschließlich palettisierte Ware. Wird das DB Schenker jetzt auch tun? Wir schauen uns wie gesagt generell jede Sendung an hinsichtlich ihrer Beschaffenheit. An welcher Stelle Ihres Netzwerks hakt es denn im Moment besonders – bei der Abholung, in den Hauptläufen zum Zentralhub, in den Umschlagshallen oder in der Zustellung im Nahverkehr? Knackpunkt ist, dass wir zeitweise sehr hohe Auftragsmengen in das System bekommen und gleichzeitig die Zustellung der Sendungen teilweise ins Stocken geraten ist. Das heißt, wir können unsere Sendungen fallweise nicht mehr abliefern und diese belegen dann unsere Umschlagshallen. Die sind aber für den Umschlag und nicht für die Einlagerung konzipiert. Wir haben bei Schenker aufgrund langjähriger Standortplanung glücklicherweise häufig zusätzlich transportnahe Lagerstandorte. Aber auch diese sind teilweise durch diese Rückstaumengen überfüllt. Auch der Laderaummangel ist im Moment massiv, auch weil viele Polen derzeit lieber in Polen als in Deutschland fahren. Wie stark spüren Sie diesen Mangel? Klar ist, Kapazität und Nachfrage sind derzeit absolut in der Disharmonie. Das zeigt jedes Transportbarometer an. Das treibt die Preise und damit unsere Kosten. In unseren Systemverkehren, die wir mit eigenen Fahrzeugen und Fahrern sowie Partnern erbringen, funktioniert es vergleichsweise gut. Herausfordernder ist die Frachtverfügbarkeit im Bereich Road-Brokerage, bei Ad-hoc-Transporten. Da spüren wir in der Tat zunehmend Kapazitätsengpässe. Dank umfangreicher Festcharter und dank unserer Plattform Drive4Schenker, über die wir 35.000 Carrier angebunden haben, können wir aber die Kundennachfrage trotzdem weitestgehend erfüllen. Wird DB Schenker deshalb nun verstärkt in eigene Lkw-Kapazitäten und Fahrer investieren? Nein, das steht im Moment nicht an. Wie wollen Sie Ihre gestiegenen Produktionskosten durch den Mengenboom auffangen? Dazu stimmen wir uns gerade intern ab. Natürlich geht das nicht ohne Preisanpassungen. Die Höhe der jährlichen Preisanpassung steht aufgrund der rasanten Kostenentwicklungen noch nicht final fest. Und mit welchem Sendungs- und Umsatzplus rechnen Sie für Schenker Deutschland im ersten Halbjahr 2021 angesichts der momentanen Entwicklung – verglichen mit den Vergleichszeiträumen in 2019 und 2020? Gegenüber 2019 haben wir in diesem Jahr unser Importvolumen nach Deutschland bislang um über 20 Prozent gesteigert. Treiber war und ist ganz maßgeblich unser europäisches Landverkehrsnetz. Außerdem stellen wir fest, dass durch den Container-Mangel verstärkt Short-Sea-Shipping-Verkehre auf Lkw verlagert wurden. Auch das trieb unser Mengenwachstum im Import im ersten Halbjahr 2021. Sind das alles coronabedingte Nachholeffekte oder Anzeichen eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums in Deutschland? Wir gehen davon aus, dass diese Entwicklung auch in der zweiten Jahreshälfte anhält – und bereiten zusätzliche Netzwerkkapazitäten für den Herbst vor. Wir rechnen auch im Sommer nicht wirklich mit einer größeren Verschnaufpause. Auch weil die Industrieproduktion vielerorts noch Rückstände durch bisherige Lieferengpässe abarbeitet. Bei welchem Sendungs- und Umsatzvolumen wird Schenker Deutschland und Schweiz im Landverkehr also in diesem Jahr landen? Welche Wachstumsziele peilen Sie hier mittelfristig an? Der berühmte Blick in die Glaskugel (lacht). Wir planen weiteres Wachstum mit unseren Geschäftspartnern und setzen dabei auf eine gute Mischung aus geeigneter Gutstruktur und speditionellen Lösungsansätzen. Ein bereits 2019 gestartetes umfangreiches zusätzliches Investitionsprogramm wird das Wachstum zusätzlich unterstützen. Letzte Frage: Sie sind seit Juni neuer Landverkehrschef bei DB Schenker Deutschland und Schweiz. Was sind für Sie die wichtigsten Ziele, die Sie in dieser Position umsetzen wollen? Digitalisierung ist auch bei Schenker ein wichtiges Thema. Dazu führen wir viele spannende Projekte durch, die uns in der operativen Abwicklung und in der Zusammenarbeit mit unseren Kunden künftig noch besser unterstützen werden. Aber nicht nur die technischen Möglichkeiten in unserem Umfeld verändern sich rasant, sondern auch die Formen der Zusammenarbeit. Besonders viel Freude macht mir dabei der intensive Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen in den jeweiligen Fachbereichen. Deren ausgeprägt hohe speditionelle Qualität und Kompetenz möchte ich gerne zusätzlich unterstützen – und in einem ausgewogenen Zusammenspiel zwischen Zentralbereichen und Geschäftsstellen noch besser auf eine agile Zusammenarbeit ausrichten, um unsere gute Geschäftsentwicklung zusätzlich zu unterstützen. (eh) Das Interview führte VerkehrsRundschau-Redakteurin Eva Hassa

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