Hohes Tempo trotz Schlaglöchern

So klingt es, wenn in der polnischen Logistikbranche die Alarmglocken schrillen: Vom einem reihenweisen Sterben gerade der kleinen Speditionen wird da von Politik, Verbänden und Interessensvertretern gewarnt. Vor dem Ende des polnischen Wunders im Straßentransport. Vor einer grob unfairen Beeinflussung des Wettbewerbs innerhalb der EU. Und vor Protektionismus einiger alteingesessener EU-Länder, die auf unzulässige Weise ihre heimische Logistikbranche bevorzugen. Gegenwind für das EU-Mobilitätspaket Gemeint ist natürlich Deutschland - nicht nur, aber vor allem. Und gemeint ist das so harmlos klingende EU-Mobilitätspaket. Dieses habe zur Folge, dass von polnischen Unternehmen in andere Länder der EU entsendete Mitarbeiter den Arbeitsgesetzen des jeweiligen Staates unterliegen würden. Im Klartext: Ein polnischer Spediteur muss dann unter bestimmten Bedingungen seinem nach Deutschland geschickten Mitarbeiter den deutschen Mindestlohn zahlen - teilweise ein Vielfaches des polnischen Salärs. Die deutsche Seite sieht dies als Frage der Gerechtigkeit: Warum soll ein auf deutschem Boden aktiver polnischer Spediteur deutlich niedrigere Personalausgaben haben als ein einheimischer? Polen wiederum erkennt Wettbewerbsverzerrung. Der größte Trumpf aller in Polen ansässigen Transporteure ginge verloren: die niedrigeren Arbeitskosten (siehe auch Kasten Seite 16). Polens Verkehrsminister Andrzej Adamczyk wetterte denn auch vor einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen: "Es kann nicht sein, dass unsere Firmen so mit neuen Vorschriften und Gesetzen traktiert werden, dass ihnen das Fundament wegbröckelt, auf dem sie stehen." Klare Worte, denen Jaroslaw Domin, stellvertretender Ratsvorsitzender der polnischen Kammer für Spedition und Logistik, im Gespräch mit der VerkehrsRundschau zustimmt, auch wenn er etwas vorsichtiger formuliert: "Ich kann nicht endgültig sagen, warum einige Länder diese neuen Gesetze wollen. Aber für viele Beobachter drängt sich schon der Eindruck auf, dass sie ihre Firmen vor der polnischen und anderer Konkurrenz abschirmen wollen." Domin versichert, man werde von polnischer Seite alles in die Waagschale werfen, um die geplanten Regelungen doch noch abzumildern. Aber er gibt auch zu, im Moment ziemlich skeptisch zu sein. Vor den Folgen warnt er aber dennoch unverdrossen: "Ganz sicher ist die Situation auf dem Logistikmarkt derzeit sehr schwierig. Nach dem aktuellen Stand der Verhandlungen würden die Kosten der Branche in Polen mit absoluter Sicherheit steigen - ganz besonders für Firmen mit den Schwerpunkten Kabotage und internationale Transporte". Was der Fachmann ebenfalls einräumt: Der Polen Leid ist der Deutschen Freud. Natürlich würden deutsche Anbieter von Transportleistungen vom abgeschwächten Wettbewerbsvorteil der östlichen Konkurrenz profitieren. Lkw-Fahrer verdient wie ein Professor Aber Dacian Secula, Speditionsleiter beim international tätigen Logistiker BTG aus Augsburg, hat Verständnis für die Sorgen seiner polnischen Kollegen. Natürlich seien die polnischen Subunternehmen von den Regelungen zum Mindestlohn und dem EU-Mobilitätspaket stark betroffen. "Tatsächlich stellt sich aus polnischer Sicht die Frage, ob ein Lkw-Fahrer wirklich so viel verdienen muss wie ein Universitätsprofessor", sagt Secula, der in der BTG-Niederlassung in Olching bei München arbeitet. Tatsächlich erhalten Lkw-Fahrer in Polen bei vielen Unternehmen ein festes Gehalt in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns, der im Augenblick bei 2000 Zloty (knapp 500 Euro) brutto liegt. Der Rest der Löhne setzt sich aus nicht sozialversicherungspflichtigen Pauschalen und Spesen zusammen, sodass insgesamt oft zwischen 5000 und 7000 Zloty (ca. 1200-1700 Euro) erreicht werden - teils deutlich mehr als das Durchschnittsgehalt in der polnischen Privatwirtschaft. Nicht umsonst wird der Kampf derart verbittert ausgefochten: Es gibt viel zu verlieren. Schon seit Jahren sind mehr polnische Lkw auf deutschen Straßen unterwegs als aus jedem anderen Land. Im vergangenen Jahr wurden auf mautpflichtigen Wegen in Deutschland insgesamt 33,6 Milliarden Kilometer zurückgelegt. Deutsche Fahrzeuge erreichen selbstredend mit 57,4 Prozent den höchsten Anteil. Doch Polen kommt auf erstaunliche 16,1 Prozent. Auf europäischer Ebene sind die Zahlen noch gravierender: Der Anteil polnischer Firmen an allen innereuropäischen, grenzüberschreitenden Transporten beträgt etwa 25 Prozent. Nach Zahlen des Statistikamtes GUS in Warschau erhöhte sich der Anteil der Transport- und Logistikbranche am Bruttoinlandsprodukt in den ersten zehn Jahren seit Polens EU-Beitritt um ein Fünftel von 5,4 auf 6,5 Prozent - Tendenz steigend. Dacian Secula berichtet jedenfalls von besten Erfahrungen. Auch wenn BTG keine Niederlassung in Polen betreibe, seien seit der ersten Tour ins östliche Nachbarland vor 13 Jahren die ganze Zeit spürbare Zuwächse generiert worden: "Es ist tatsächlich so, dass wir in fast jedem Jahr unseres Polen-Geschäfts ein Plus verzeichnen konnten." Derzeit gehen aus Olching 20 bis 25 Lkw wöchentlich im Komplettladungsbereich in Richtung Polen - und genauso viele verkehren zur selben Zeit in der Gegenrichtung. Beim Stückgut arbeitet BTG mit einem polnischen Partner zusammen, der ein eigenes Netz betreibt. Auch für die Entwicklung der polnischen Straßen-Infrastruktur in den letzten Jahren ist Secula voll des Lobes. Nicht nur die Fertigstellung der Autobahn A 4 von der deutschen Grenze über Breslau, Kattowitz, Krakau und Rzeszów bis hin zur Ukraine hat vielen Spediteuren das Leben zuletzt deutlich leichter gemacht. Auch die Wartezeiten an den Ostgrenzen gingen - trotz politischer Probleme - deutlich zurück. Das einzige Problem sieht der Experte woanders: "Die Netzwerke für Stückgutsysteme sind wegen des hohen Volumens manchmal überlastet." Dies mache sich besonders rund um polnische Feiertage bemerkbar. Secula ist aber zuversichtlich, dass bald zusätzliche Netzwerke entstehen und das Polen-Geschäft auch in Zukunft immer lauter brummen wird. Schiene verliert in Polen an Bedeutung Bei der gegenwärtigen Dominanz des Straßentransports haben es andere Branchen zwangsläufig schwer. Der Schienentransport hatte traditionell eine starke Präsenz in Polen, doch eine marode Infrastruktur, Durchschnittsgeschwindigkeiten von mickrigen 30 Kilometern pro Stunde und standardmäßige Verspätungen sorgten dafür, dass der Kuchen immer kleiner wurde. Massive Modernisierungsmaßnahmen im polnischen Schienennetz sind in vollem Gange, doch einstweilen müssen Bahn-Transporteure noch gute Nerven und Geduld aufbringen. Die Pünktlichkeit der Güterzüge in Polen hat sich 2017 noch einmal verschlechtert. Nur ein Drittel der Züge kam im vierten Quartal pünktlich an. Bereits für das laufende Jahr verspricht das Verkehrsministerium erste spürbare positive Effekte aufgrund der gewaltigen Investitionen. Trotz der schwierigen Lage beträgt der Anteil der Schiene am gesamten polnischen Transportvolumen immerhin noch gut 20 Prozent. Anfang 2018 gingen die Zahlen erst einmal bergauf. Dem unangefochtenen Marktführer, der staatlichen PKP Cargo mit etwa 48 Prozent Marktanteil an der Transportleistung auf der Schiene, folgt mit immerhin 20 Prozent die DB Cargo Polska. Doch Jakub Majewski, Vorsitzender der Stiftung Pro Kolej, die sich für die Bahnbranche in Polen einsetzt, warnt vor Hurra-Optimismus: "Der Bahn-Gütertransport verharrt immer noch in der Stagnation. Eine weitere Bedrohung für positive Trends ist das gewaltige Investitionsprogramm, das in den nächsten Jahren den Zugverkehr behindern wird", warnt Majewski und fügt hinzu: "Es ist zu erwarten, dass die Situation sich erst im nächsten Jahrzehnt merklich verbessern wird." Immerhin gibt der stets als zukunftsträchtig gepriesene, aber bisher in Polen eher unter "ferner liefen" geführte Intermodaltransport in Polen dieses Jahr deutlich Gas - wenn auch auf niedrigem Niveau. Anfang 2018 hatte er zwar immer noch bloß einen Anteil von 9,4 Prozent, gemessen in Tonnenkilometern. Doch das ist schon doppelt so viel wie vor zwei Jahren. Allerdings ist noch immer sehr viel Luft nach oben: Der aktuelle Anteil liegt nur etwa halb so hoch wie im EU-Durchschnitt. In Deutschland oder auch Holland ist das Gewicht der Intermodalbranche sogar über viermal größer. In diesem Bereich platziert sich DB Cargo (8,6 Prozent Marktanteil) als erstes ausländisches Unternehmen übrigens nur auf Rang vier. Und dann wäre da noch der Wasserweg. Die Binnenschifffahrt spielt derzeit fast gar keine Rolle, während die polnischen Ostseehäfen immer neue Rekorde brechen - allen voran Gdansk, das demnächst zum führenden Container-Port der Ostsee avancieren wird. Größter Unsicherheitsfaktor sind also derzeit die Politik und die Entscheidungen, die in Brüssel getroffen werden. Gut möglich, dass sich bald für Spediteure weniger eine Niederlassung in Polen als vielmehr der intensive Austausch von Deutschland aus lohnen wird. Denn die Wirtschaft und damit auch der Bedarf an deutschen Qualitätsprodukten wachsen bei unseren Nachbarn weiterhin sehr robust. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Polen www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Osteuropa Was kann das Transportgewerbe unserer osteuropäischen Nachbarn, wo gibt es Chancen und Risiken? Unsere Serie im Überblick- Teil 1: Polen (VR 31-32)- Teil 2: Tschechien (VR 33-34)- Teil 3: Ungarn (VR 35)- Teil 4: Bulgarien (VR 36)- Teil 5: Rumänien (VR 37)- Teil 6: Baltikum (VR 38) Chancen und Risiken in Polen - Großer Importbedarf, aber Lkw-Fahrer werden immer knapperChancen:- Die Infrastruktur hat sich sehr deutlich verbessert und bietet für den Straßentransport gute Bedingungen- Gutes Image deutscher Produkte und Dienstleistungen- Kaum Korruption und Schattenwirtschaft- Starke Branche, nach wie vor mit Wachstumspotenzial- Geschwächte Position polnischer Firmen durch EU-Mobilitätspaket (Mindestlohn) könnte Konkurrenten aus anderen Ländern zugutekommen- Importbedarf nach wie vor hoch, wenn die Handelsbilanz auch deutlich ausgeglichener ist als noch vor einigen JahrenRisiken:- Derzeit angespannte politische Lage wegen des EU-Mobilitätspakets: Polnische Firmen fürchten deutlich höhere Kosten und klare Wettbewerbsnachteile, die auch ausländische Unternehmen zu spüren bekommen, die auf polnische Anbieter zurückgreifen- Netzwerke für Stückgut zu Spitzenzeiten teils überlastet wegen Personalmangels- Ausreichend Lkw-Fahrer zu finden, wird derzeit immer schwieriger- Wechselkursverluste und -schwankungen, weil Polen immer noch nicht zur Euro-Zone gehört. Der polnische Zloty verhält sich allerdings gegenüber dem Euro meist sehr stabilmk