Gesundheitsmanagement

GesundheitsmanagementEin unterschätzter TrendGesundheitsvorsorge: Das ist doch nur überflüssiges, esoterisches Zeugs. So denkt so mancher Spediteur und auch Mitarbeiter. Doch Angaben der Krankenkassen zeigen, dass sich ein systematisches Gesundheitsmanagement für den Chef und die Angestellten lohnt.Den Mitarbeitern dabei helfen fit zu bleiben – das gehört bei Dachser dazu. Seit fünf Jahren betreiben die Kemptener ein intensives Programm, das rund 100 Veranstaltungen pro Jahr umfasst. Das Grundprinzip beschreibt Thomas Schulz, Bereichsleiter Corporate Human Resources, so: „Wir setzen nicht auf die Gießkanne, sondern handeln standortbezogen und je nach Bedarf.“ Eine typische Maßnahme sieht bei Dachser so aus: Ein Ergonomie-Coach besucht das Lager und erarbeitet zusammen mit den Angestellten ein Konzept, um Verletzungen beim Heben oder Tragen zu verhindern. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Betreuung von Schichtarbeitern. Azubis und Neueinsteiger können sich über gesundheitsbewusste Ernährung oder Schlafgewohnheiten informieren. Darüber hinaus bietet Dachser Kurse zur Rauchentwöhnung an. Wie hoch die Akzeptanz im Einzelnen ist, wird nicht statistisch erfasst. „Wir zählen nicht die Köpfe“, betont Personalleiter Schulz. Alle Maßnahmen seien freiwillig. „Uns geht es nur darum zu sensibilisieren.“Dachser ist nicht alleine. Alle Großen der Branche packen das Thema Gesundheitsvorsorge derzeit beherzt an – aus gutem Grund: Einerseits stockt der Fachkräftenachschub, andererseits hat kaum eine Branche derart mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen. Bei der Zahl der Arbeitsausfälle liegen die Trucker deutlich über dem Durchschnitt anderer Industrien, hat die AOK Hessen herausgefunden. Weit verbreitet sind Rückenprobleme und Herzerkrankungen, besonders bei Fahrern über 50. Dabei würden viele gerne mehr für ihre Fitness tun: Bei einer Umfrage unter 200 Fernfahrern kam heraus, dass sich 70 Prozent eine regelmäßige Gesundheitskontrolle mit anschließenden, individuell zugeschnittenen Maßnahmen wünschen.Wenn da nicht der Alltag wäre. Wie schwierig es ist, als Berufskraftfahrer gesund zu leben, weiß Reinhard Buchsdrücker aus eigener Erfahrung. Der Kraftverkehrsmeister tourt für die Dekra mit LKW-Fahrsimulatoren durch Deutschland, berät unter anderem in Sachen Sicherheit und Gesundheit. „Bei 35 Grad in der Kabine schlafen, mit Autobahnlärm, dann um halb fünf raus und schnell drei Rühreier mit Speck runterschlingen.“ So beschreibt Buchsdrücker den teilweise belastenden Alltag „auf dem Bock“. Falsche Ernährung und Bewegungsmangel seien weit verbreitet, so der Experte. Außerdem würden viele Fahrer kaum auf Ergonomie achten. „Der Sitz ist oft so eingestellt, dass die Vibrationen direkt auf die Wirbelsäule gehen“, so Buchsdrücker. In der „neuen Ausbildung zum Berufskraftfahrer“ werden den angehenden Truckern mittlerweile solche Themen nahegebracht. Doch das allein reicht nicht, findet Buchsdrücker: „Es wird höchste Zeit, dass die Betriebe das Thema Gesundheit vorantreiben.“ Die AOK schult vor OrtErster Anlaufpunkt für Spediteure und Logistiker, die in Sachen Gesundheit nachlegen wollen, sind die Krankenkassen, zum Beispiel die jeweiligen AOK-Regionaldirektionen. Die beauftragen einen Experten, der zunächst mit dem Chef ein Beratungsgespräch führt und ein maßgeschneidertes Gesundheitsprogramm erarbeitet. Dann kommen je nach Bedarf Psychologen, Suchtberater oder Mediziner in den Betrieb und führen Schulungen durch (auch am Wochenende). Sind viele Angestellte bei der AOK versichert, fallen für die Seminare nur geringe Kosten an. Auf Wunsch errechnet die AOK sogar, wie viel die Maßnahmen nach einiger Zeit gebracht haben (ab einer Betriebsgröße von 50 Mitarbeitern), etwa, ob der Krankenstand gesunken ist. Wobei Praktiker solchen Auswertungen skeptisch gegenüberstehen. „Mit Kennzahlen tun wir uns schwer“, sagt Dachser-Mann Schulz. Simple Ziele wie ‚Fehlzeitenquote um X Prozent reduzieren‘ zu verfolgen, hält er für falsch. „Entscheidend ist vielmehr die Akzeptanz der Mitarbeiter, die unsere Angebote annehmen“, findet Schulz. Seminare und Workshops sind übrigens nur ein Weg, um gewerbliche Mitarbeiter in Sachen Gesundheit weiterzubilden. Elektronische Medien könnten Fitness-Wissen bald direkt in die Fahrerkabine bringen. Wie dieses sogenannte Mobile Learning funktioniert, hat die BG Verkehr in einem Pilotprojekt mit der Spedition Bode aus Reinfeld getestet: Einige Fahrer wurden mit Netbooks (kleinen Laptops) ausgestattet, auf denen sie sich in den Pausen Videos anschauen konnten, zum Beispiel zu Themen wie Stressbewältigung oder Ermüdung. Daneben gab es die Möglichkeit, sich per Chat mit Kollegen auszutauschen oder Audio-Vorträge anzuhören (Podcasts). Interessant: Auf Wunsch der Fahrer wurde ein Test entwickelt, bei dem sie das neue Wissen unter Beweis stellen konnten. Wie ausgefeilt das Gesundheitsmanagement auch aussehen mag – letztendlich jedoch müssen die Mitarbeiter selbst umdenken und das gelernte Wissen umsetzen. Und gerade das ist im Alltag nicht immer einfach, gibt Dekra-Mann Buchsdrücker zu. „Wenn der Truckerteller mit Schweinenacken an der Raststätte 8,90 Euro kostet und der Salat 11,20 Euro – da ist viel Selbstdisziplin gefragt.“ ❙❚■ Constantin Gillies, freier JournalistEgal, ob jung oder alt, ob Fahrer, Lagerarbeiter oder Verwaltungsangestellter: Eine Rückenschulung ist für viele Speditionsmitarbeiter sinnvollGesundheitsmanagementDas können Unternehmen tun, damit ihre Mitarbeiter fit bleibenVR 24: Maßnahmen für gewerbliche MitarbeiterVR 25: Maßnahmen für Fahrer und kaufmännische MitarbeiterGesundheitsmanagementGeförderte Rückenschule Viele Mitarbeiter klagen über Rückenleiden? Hier hilft unter anderem die Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft (BG Verkehr) mit einem Angebot weiter. Betriebe, die ihre Mitarbeiter zu einer Rückenschule schicken wollen, erhalten von der BG Verkehr dafür eine Unterstützung von 30 Euro pro Mitarbeiter und Jahr. Und so geht‘s: Interessierte Firmen müssen die Förderung zunächst bei ihrem technischen Aufsichtsbeamten beantragen. Den eigentlichen Kursanbieter kann der Betrieb selbst auswählen. Die Rückenschule umfasst sechs Übungsstunden und eine Stunde Theorie. Teilnehmen können alle Mitarbeiter, die viel heben/tragen oder in Zwangshaltungen arbeiten. Wichtig: Die Kursgruppe darf nicht mehr als zwölf Teilnehmer haben; fehlt ein Teilnehmer mehr als einmal, verfällt die Förderung. Mehr Infos: Constanze Duismann (BG),E-Mail: constanze.duismann@bg-verkehr.de, Tel.: 040 3980-1967 cgMehr Kreativität ist gefragtJörg Hedtmann, verantwortlich für Prävention bei der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft (BG Verkehr). Ist das Thema Gesundheitsvorsorge für kleine Speditionen überhaupt relevant?Jörg Hedtmann: Natürlich, es ist für alle Unternehmen wichtig. Die demografische Entwicklung und der fehlende Nachwuchs von der Bundeswehr führen dazu, dass es weniger Fahrer gibt. Gleichzeitig werden die vorhandenen Kräfte wegen des späteren Renteneintritts länger im Beruf verbleiben müssen – und das geht nur, wenn die Mitarbeiter gesund bleiben.Wie kann verhindert werden, dass Vorsorgemaßnahmen versanden?Wichtig ist, dass Weiterbildung und Prävention aktiv in die betrieblichen Abläufe eingebunden sind. Wir plädieren dafür, Gesundheitsthemen nicht losgelöst von anderen anzusprechen. Bei einem Sicherheitstraining hat auch das Thema „Gesundes Sitzen“ seinen Platz und wer die Leistungsfähigkeit von Fahrern anspricht, wird auch das Thema „Gesunde Ernährung“ erwähnen, ohne dass es exotisch wirkt. Das klingt nach viel Aufwand. Gibt es nicht einfachere Maßnahmen, um die Gesundheit der gewerblichen Mitarbeiter zu verbessern?Natürlich. Die Arbeitsumgebung zum Beispiel muss dem Erhalt der Gesundheit förderlich sein. Ergonomische Führerhäuser und Sitze, gute Aufstiege, aber auch ganz banale Dinge wie der Verzicht aufs Rauchen in der Kabine sind schon ein Anfang. Außerdem müssen sich die Betriebe stärker an die Bedürfnisse der älteren Mitarbeiter anpassen: Vielleicht brauchen sie längere Erholungszeiten und Pausen, warum nicht? Aber die Disposition muss darauf eingehen und mit Kreativität ist einiges möglich. Hier ist noch viel Umdenken nötig. cgInterviewJörg Hedtmann

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