Gefährliche Geschosse

Wirft man in den Wintermonaten einen Blick auf Meldungen aus dem Polizeiticker, begegnen einem fast täglich Schlagzeilen wie diese: "Gefährliches Eis auf Lkw-Planen", "Von Lkw herabfallende Eisplatten verursachen Verkehrsunfall", "Autofahrerin von herabfallender Eisplatte getroffen". Oft geht es um Sachschäden, aber längst nicht immer gehen diese Vorfälle für Autofahrer - denn diese sind meist die Leidtragenden - glimpflich aus. Die kiloschweren Brocken können nicht nur die Windschutzscheibe lädieren, sie führen auch immer wieder zu Ausweichmanövern, die dann wiederum mitunter schwere Unfälle auslösen können. Die Polizei Bayern rät Autofahrern denn auch, an kalten Tagen nach Möglichkeit einen ausreichenden Abstand von mindestens drei Fahrzeuglängen hinter Lkw einzuhalten. Fahrer in der Pflicht Das Problem fußt auf einfacher Physik: Auf dem Planendach eines Aufliegers können sich bei Regen und Schnee mehrere Hundert Liter Wasser sammeln. Wenn diese Wassermenge gefriert, verwandelt sie sich in gefährliche Geschosse. Lkw-Fahrer sind daher von Gesetzes wegen verpflichtet, vor der Fahrt Eis und Schnee von ihrem Fahrzeug zu entfernen. Verliert ein Fahrzeug während der Fahrt Eisstücke oder feste Schneereste von seiner Ladefläche oder vom Dach, begeht der Fahrer nach § 23 Abs. 1 StVO (Straßenverkehrsordnung) i. V. m. § 49 StVO - Sonstige Pflichten des Fahrzeugführers - eine Verkehrsordnungswidrigkeit. Es drohen laut ADAC bis zu 120 Euro Bußgeld und ein Punkt in Flensburg, wenn es zu einem Unfall kommt. Werden wegen Nachlässigkeit Menschen verletzt, sind Geldstrafen und Fahrverbote möglich. Umso wichtiger, dass die gefährliche Fracht entfernt wird - oder besser: erst gar nicht entstehen kann. Bei einem leeren Auflieger ist das kein Hexenwerk: Der Fahrer kann die Plane von innen anheben, die Schwerkraft erledigt das Übrige. Auf Dauer dürfte diese "Besenstielmethode" für die Haltbarkeit der Plane allerdings nicht zuträglich sein. Als nicht praxistauglich erweist sich diese zudem bei beladenen Aufliegern. Airbag für das Aufliegerdach Hier helfen technische Vorrichtungen wie eine Dachheizung oder Airbag-Systeme. Der Roof Safety Airbag des Herstellers K & M etwa ist ein Luftschlauch, der durch das bordeigene Druckluftsystem befüllt wird. Er ist zwischen Plane und Spriegeln auf der gesamten Länge des Aufliegers angebracht. Durch das Befüllen bildet sich aus der flachen Dachplane ein Satteldach, und die sich ansammelnden Wassermassen können abfließen. Die Vorrichtung kann bei führenden Trailerherstellern wie Schmitz Cargobull, Krone und Kögel direkt ab Werk mit eingebaut, aber auch nachgerüstet werden. Unternehmensangaben zufolge hat sich der Roof Safety Airbag bereits über 15.000-mal in der Praxis bewährt. Übrigens: Die Ausrüstung von Neu- und Bestandsfahrzeugen mit diesen sogenannten Dachplanenhubvorrichtungen wird durch das De-minimis-Programm gefördert. Nicht jeder kann und will sich solche technischen Vorrichtungen leisten. Alternative Tipps hält unter anderem der ADAC parat. So könne über die Luftfederung der Hinterachse der Auflieger nach dem Abstellen in eine leichte Schräglage gebracht werden, um Wasser abfließen zu lassen. Keine gute Idee sei es hingegen, Eisplatten mit heißem Wasser zu lockern, denn heißes Wasser gefriere bei kalten Temperaturen noch schneller als kaltes. Nur für den Notfall kommt für den ADAC infrage, dass der Fahrer einen Kurvenparcours absolviert, um Eisplatten zu entfernen. Dabei müssten Personen- und Sachschäden sowie Verkehrsbehinderungen ausgeschlossen und das Gelände natürlich wieder vom Eis geräumt werden. Muss der Fahrer die Räumarbeiten "von Hand" erledigen - und dies ist in den wohl meisten Fällen vonnöten -, sollte er das von einer Bühne beziehungsweise Plattform aus tun. Diese finden sich an Tankund Rasthöfen, aber auch bei Speditionen, die ihre eigenen Räumstationen für Dritte zur Verfügung stellen. Ein Beispiel ist die sächsische Spedition Reinert Logistics, die an allen neun Standorten Schneeräumgerüste installiert hat. Bei einigen davon, darunter die Zentrale in Schleife, können auch Gäste räumen. Zu wenig Räumstationen Schaut man sich die Listen mit den Räumstationen an, die der Bundesverband Güterkraftverkehr BGL oder die BG Verkehr online zugänglich machen, wird jedoch schnell klar: Mit rund 50 bundesweit zugänglichen Räumstationen ist das Angebot nicht gerade üppig. Speditionen gehen denn auch dazu über, sich eigene Gerüste zu leisten. "Die schnee-, eis- und niederschlagsreichen Winter sowie lange Kälteperioden haben vielen gezeigt, wie wichtig die Enteisung von Fahrzeugen ist. Die Nachfrage nach unseren Enteisungsanlagen und -gerüsten ist stark gestiegen", berichtet Ferdinand Munk, Geschäftsführer Günzburger Steigtechnik. Das bayerische Unternehmen hat sowohl stationäre Anlagen und Gerüste in Modulbauweise sowie mobile Vorrichtungen im Angebot. Die stationären Anlagen in verschiedenen Plattformlängen bestehen aus robusten Aluminiumprofilen mit einem Plattformbelag aus Stahl-Gitterrost und stabiler Unterkonstruktion. Handläufe an den Treppen, Geländer an den Stirn- und Längsseiten sowie Sicherungstüren sorgen für Sicherheit. Während stationäre Installationen vor allem an Raststätten, Autohöfen oder eben direkt auf dem Gelände von Speditionen zum Einsatz kommen, versprechen die mobilen Gerüste von Günzburger Steigtechnik eine ortsunabhängige "Enteisung to go". Diese Variante ist über vier Lenkrollen beweglich, die Montage erfolgt werkzeuglos über Steckverbindungen und selbstverschließende Verschlussklauen. Die Rollgerüste können in einem Gitterrollwagen verstaut und auf den Lkw geladen werden. Wer weder über Dach-Airbags noch Zugang zu professionellen Gerüsten verfügt, für den bleibt oftmals das Räumen mit der Leiter (siehe auch Kasten unten). Aber auch hier gibt es Equipment, das eigens für die Enteisung von Lkw-Dächern konzipiert wurde. Die patentierte Enteisungsleiter der Firma Mauderer etwa passt in jeden Lkw, ist flexibel höhenverstellbar und auch in Kombination mit einem speziellen Schnee- und Eisschieber mit Planenschutzkante erhältlich. Für die Sicherheit sorgen UltraGrip-Sprossenprofile für einen sicheren Aufstieg, eine Standplattform mit Antirutschbelag sowie Rückenschutzbügel und Sicherungsgurt zur Befestigung am Fahrzeug. Auch diese mobile Lösung zur Schnee- und Eisbefreiung wird im Rahmen der De-minimis-Richtlinie gefördert. Mehr zum Thema im Dossier Verkehrssicherheit www.verkehrsrundschau.de/dossiers Tipp Räumen ohne GerüstDer Fahrer muss, wenn es kein Gerüst gibt, notgedrungen mithilfe einer Leiter das Dach räumen. Ein mitunter gefährliches Unterfangen. Laut BG Verkehr ist eine der häufigsten Unfallursachen hierbei das Wegrutschen der Leiter, vor allem dann, wenn diese zu kurz und der Boden zu glatt ist. Der Unfallversicherer empfiehlt:- Stellen Sie die Leiter im Winkel von 65 bis 75° an.- Besteigen Sie nicht die obersten drei Sprossen zum Erreichen der höchsten Arbeitsposition.- Sichern Sie die Leiter mit einem Leitergurt gegen Wegrutschen beziehungsweise Umkippen.- Benutzen Sie zum Räumen einen geeigneten Schieber oder Besen.- Nutzen Sie mobile Anlegeleitern mit Standpodest und Rückenschutzbügel. mh

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