Frontalangriff gegen Tiefensee

Frontalangriff gegen TiefenseeDie Wirtschaft lehnt den Entwurf zum Masterplan Güterverkehr und Logistik ab und geht auf Distanz zu Bundesverkehrs-minister Tiefensee.Die deutsche Wirtschaft ist erneut auf Distanz zu Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) gegangen. Verärgert über dessen Maut-erhöhungspläne (s. auch Seite 22) und provoziert durch Äußerungen über eine angeblich beabsichtigte Entlastung des Gewerbes ist der Wirtschaft jetzt der Kragen geplatzt. In einer gemeinsamen Erklärung nehmen zehn Spitzenverbände von Industrie, Handel, Handwerk sowie Auto- und Logistikbranchen ausdrücklich Abstand von Tiefensees "Masterplan Güterverkehr und Logistik". So viel geballter Unmut war selten zwischen Verkehrsministerium und Wirtschaft.Die gemeinsame Erklärung ist unterzeichnet vom Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV), Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL), Bundesverband Möbelspedition und Logistik (AMÖ), Verband der Automobilindustrie (VDA), ADAC, von der Verkehrsinitiative Pro Mobilität, vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Später schloss sich auch der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels (BGA) der Position an, der die "absurde Idee einer progressiven Maut" kritisierte.Wirtschaft befürchtet hohe KostenDie Verlagerung von Transporten auf die Schiene, Verkehrsvermeidung und Verteuerung "sind keine zielführenden Antworten auf die Herausforderung einer weiter zunehmenden Transportintensität der Wirtschaft", heißt es in der Erklärung. "Dirigistische Eingriffe und staatliche Interventionen zulasten des Transitverkehrs oder zur einseitigen Verteuerung des Straßenverkehrs sind mit einem hochwertigen Logistikstandort und einer exportorientierten Wirtschaft unvereinbar." Keinen Zweifel lassen die Verbände an ihrer Erwartung zusätzlicher Investitionen. Diese seien "der Schlüssel zur höheren Leistungsfähigkeit des Transport- und Logistiksystems". Die Wirtschaftsverbände stützen in ihrer Erklärung auch die Vorbehalte der Güterkraftverkehrsbranche gegenüber einer Anlastung externer Kosten im Verkehr. "Schon deren Ermittlung wird wissenschaftlich kontrovers diskutiert", geben die Unterzeichner zu bedenken. "Eine einseitige Anlastung nur im Straßengüterverkehr würde erhebliche Wettbewerbsverzerrungen zur Folge haben und zudem dauerhaft und flächendeckend weitere Belastungen für kleine, mittelständische und große Unternehmen außerhalb der Verkehrswirtschaft nach sich ziehen."Keine Abstimmung mit den Verbänden Zurechtgewiesen wird von den Verbänden die von Tiefensee gern betonte Einbeziehung der Wirtschaft bei der Erstellung des Masterplans. 700 Beteiligte hätten daran mitgewirkt, berichtet der Ressortchef häufig vor dem erstaunten Publikum. Dazu heißt es in der Erklärung: "Die Verbände distanzieren sich von dem vorgelegten Entwurf des Masterplans." Zwar seien sie bei den Vorbereitungen des Masterplans regelmäßig konsultiert worden, jedoch sei der Entwurf nicht mit ihnen abgestimmt oder diskutiert worden.Zu der gemeinsamen Erklärung der Verbände gehört ein an Tiefensee adressiertes Schreiben, das von den Präsidenten Jürgen Thumann (BDI), Ludwig Georg Braun (DIHK) und Otto Kenzler (ZDH) unterzeichnet worden ist. "Wir bitten Sie daher nachdrücklich, den Masterplan in dieser Fassung nicht im Bundeskabinett zur Beschlussfassung vorzulegen", denn "in der aktuellen Fassung können wir den Entwurf des Masterplans nicht mittragen". Dieser sei "noch viel zu unverbindlich formuliert" und setze zu stark auf "Verteu-erung und Reduktion von Verkehr".Verkehrsforum unterstützt MasterplanDer Protest der Verbände ist beim Deutschen Verkehrsforum auf ein verhaltenes Echo gestoßen, das die Stimmung in der Wirtschaft offensichtlich falsch eingeschätzt hatte. Schließlich gehören dem Verkehrsforum mit dem ADAC und dem VDA zwei gewichtige Organisationen an, die zu den Unterzeichnern der Verbändeerklärung gehören. So erklärte der Präsidiumsvorsitzende Klaus-Peter Müller zur Distanzierung "einiger" Verbände, die Chance des Masterplans müsse ungeachtet aller Kritik genutzt werden. Deshalb habe sich das Präsidium "eindeutig und einstimmig hinter die Idee des Masterplans gestellt und dafür plädiert, den aktuellen Entwurf zu optimieren".Das Verkehrsministerium hat den Protest zurückgewiesen. "Die Philosophie des Masterplans zielt darauf, jeden Verkehrsträger nach seinen Stärken so effizient wie möglich einzusetzen." Eine in die Zukunft gerichtete nachhaltige Verkehrspolitik müsse Antworten auf die Prognosen geben. Nach Ansicht des Grünen-Verkehrsexperten Winfried Hermann bedeutet das Vorgehen der Wirtschaft "eine herbe Ohrfeige für Tiefensee". "Offensichtlich glaubt auch keiner der Absender, dass die Projekte des Masterplans noch vor der Wahl umgesetzt werden können, sonst würden sie sich nicht komplett davon distanzieren." Hermanns FDP-Kollege Patrick Döring zeigte sich gegenüber der Verkehrs-Rundschau erleichtert, dass sich die Verbände nicht von Tiefensee hätten "einseifen" lassen. Der Masterplan sei ein Rückfall in eine ideologisierte Verkehrspolitik.❙❚■ Jörg Kürschner, Korrespondent in Berlin

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