Fachkräftemangel, ade?

Bernd Albrecht ist Realist: Der Inhaber der Lkw- und Busfahrer-Vermittlung "Con Y Cam" sieht für sein Geschäftsmodell keine langfristige Zukunft mehr. "In 25 bis 30 Jahren könnte es ein Überangebot an Fahrern geben", schätzt der Personalexperte. Doch bis zum Jahr 2025 werde der derzeitige Mangel noch deutlich zunehmen. "Der Peak ist noch nicht erreicht", betont Albrecht, der seine deutsche Kundschaft bis dahin noch zu einem guten Teil mit Fahrern aus Spanien versorgen will. Doch schon jetzt bekomme er von der iberischen Halbinsel deutliche Signale, dass auch dort die Fahrer knapp werden. "Der demografische Wandel ist auch in Südeuropa spürbar und wird den Fahrermangel in den nächsten fünf Jahren noch drastisch verschärfen", ist Albrecht überzeugt. Die Zahl der in Deutschland fehlenden Berufskraftfahrer werde sich bis 2020 von derzeit 30.000 auf bis zu 50.000 erhöhen. Eine umfangreiche Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC) und des Wifor-Instituts zum Fachkräftemangel in der Logistik sieht diese Entwicklung weniger dramatisch. Demnach werden am Ende des laufenden Jahrzehnts nur noch rund 10.000 Fahrer fehlen. Hinzu kommen etwa 9000 Bürokräfte im Finanz- und Rechnungswesen und gut 5000 ingenieurtechnische Experten. Bei vielen dieser anspruchsvollen Tätigkeiten werde sich jedoch "der Mangel in der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre in einen Überschuss verkehren." Automatisierte Lager setzten sich durch Der Grund für diesen Wandel liegt nach Ansicht der Studien-Autoren in der zunehmenden Automatisierung und Digitalisierung. So könnte aus dem für 2015 diagnostizierten demografischen Engpass von 110.000 fehlenden Arbeitskräften bis 2030 sogar ein Überschuss von rund 200.000 Beschäftigten werden, kalkulieren die Wifor-Experten. "Das bedeutet allerdings nicht, dass die Unternehmen auf eine unmittelbare Verbesserung der Lage hoffen sollten", relativiert Dietmar Prümm, Leiter des Bereichs Transport und Logistik bei PwC: "In den kommenden fünf bis zehn Jahren wird das Arbeitskräfteangebot in jedem Fall knapp bleiben", stellt Prümm fest. Erst danach würde sich die Situation allmählich entspannen. "Es gibt bereits heute fast vollständig automatisierte Lager. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich solche Systeme flächendeckend durchsetzen. Hinzu kommt der zunehmende Einsatz von Robotern", sagt Prümm. Die Zahl der in den Warenlagern von Hand ausgeführten Aufgaben dürfte darum in nicht allzu ferner Zukunft merklich sinken. "Menschen werden dann nur vor allem noch für einige sehr spezielle Arbeiten benötigt, etwa für die Ladungssicherung", sagt Till Lohmann, Partner und Experte für Personalthemen bei PwC. Es ist jedoch fraglich, ob die mittelständisch geprägte Logistikbranche ihre Prozesse im erwarteten Maße und Tempo automatisiert und digitalisiert. Automatisierte Prozesse im Lager findet man heute allenfalls bei großen Verladern, die solche Investitionen stemmen und langfristig abschreiben können. Widerspruch aus der Praxis Typische Logistikdienstleister haben in der Regel nur einen dreijährigen Planungshorizont. "Die Laufzeiten unserer Aufträge sind für große Investitionen viel zu kurz", bestätigt Markus Mayr, geschäftsführender Gesellschafter der Münchner Linther Spedition. Es sei nicht zu erwarten, dass die Laufzeiten der Aufträge in Zukunft deutlich zunehmen; von daher werde sich auch der Automatisierungsgrad nicht merklich erhöhen. In seinem Lagerbetrieb setzt der Unternehmer vorwiegend auf Handarbeit, wobei hier die Komplexität der Aufgaben stark zunehme. "Die Qualifikationsanforderungen für das Lagerpersonal werden weiter steigen", so Mayr. Es käme immer mehr darauf an, den vollständigen Prozess zu begreifen und parallel zum Handwerk die Informationstechnologie zu beherrschen. Auch beim Fahrermangel sieht Mayr noch lange keine Entspannung: "Zumindest in Ballungsgebieten wird es bis 2030 noch keinen völlig autonom fahrenden Lkw geben, der keinen Fahrer mehr an Bord haben muss." Bis dahin werde das Fahrpersonal zwar durch noch mehr Technik unterstützt, aber nicht ersetzt. Ähnlich äußert sich Dirk Graszt, Geschäftsführer der Hamburger GDH Transport und Containerlogistik. Hinsichtlich der Automatisierung und der dafür erforderlichen Investitionen erinnert der Hanseat an die restriktive Kreditvergabe vonseiten der Banken: "Basel II ist immer noch aktuell. Viele Spediteure können die strengen Kriterien nicht erfüllen". Vor diesem Hintergrund werde es weit länger als 14 Jahre dauern, bis sich der Fachkräftemangel in der Logistik tatsächlich in einen Überschuss umkehre. Diese Aussage beträfe nicht nur Berufskraftfahrer und Lagerpersonal, sondern auch die Büroangestellten. Neben dem rein zahlenmäßigen Mangel an Arbeitskräften müsse man sich hier als Unternehmer zudem auf die Mentalität der jüngeren Generationen einstellen, gibt er zu bedenken. "Freizeit und feste Arbeitszeiten haben bei den Nachwuchskräften einen weitaus höheren Stellenwert als früher", sagt Graszt. Gerade in der Logistikbranche könne man dieser Erwartung kaum entsprechen. Die im Speditionsbereich geforderte Flexibilität mache die Branche für die sogenannten Generationen Y und Z in weiten Bereichen unattraktiv. Die Personalbeschaffung im gewerblichen und kaufmännischen Bereich sei heute jedenfalls wesentlich aufwendiger und kostspieliger als noch vor fünf Jahren. Mit zwei kürzlich eingestellten Disponenten habe GDH angesichts des leergefegten Arbeitsmarktes "einfach Glück gehabt" und die Fluktuation bei den Fahrern sei gering. Aber wenn doch mal ein neuer Fahrer gesucht werde, müsse man in der Regel tiefer in die Tasche greifen als früher. Die Löhne für deutschsprachige Fahrer seien innerhalb kurzer Zeit um 15 Prozent gestiegen, was den Kostendruck im Gewerbe nochmals erhöht habe. Der selbstfahrende Lkw kommt Dieser Trend dürfte sich kurzfristig weiter verschärfen: Denn während ein großer Teil der Berufskraftfahrer auf das Rentenalter zusteuert, wirken die Ankündigungen rund um das autonome Fahren als wahre Abschreckung für Berufseinsteiger. "Wer will noch Fahrer werden und auf diesem Beruf seine Zukunft aufbauen, wenn der Roboter schon mit den Hufen scharrt", fragt Personalexperte Albrecht. Kurzfristig würden die "vollmundigen Ankündigungen der Hersteller die Fahrerproblematik also noch verschärfen und die Attraktivität des Fahrerberufs erhält einen weiteren Tiefschlag". Dass im Jahr 2030 sämtliche Lkw von Robotern gesteuert werden, halten selbst die Autoren der Studie für fraglich. "Technisch wird der selbstfahrende Lkw in absehbarer Zeit Realität sein. Ob bereits 2030 sämtliche Transportfahrzeuge vollautonom unterwegs sein werden, bleibt jedoch abzuwarten", räumt Prümm ein. Schließlich hänge das nicht nur von der technischen Machbarkeit, sondern auch von regulatorischen und juristischen Fragestellungen ab, so zum Beispiel von der Haftungs- und Versicherungsfrage. Trotzdem hält es Prümm für möglich, dass sich der Fahrermangel schon im Laufe des kommenden Jahrzehnts deutlich reduziert. Schließlich gebe es ja auch teilautonome Lösungsansätze wie das Platooning, bei dem mehrere, vernetzte Lkw von nur einem Fahrer gesteuert werden. Solche Entwicklungen sind bis zum Jahr 2026 sehr wahrscheinlich. In jedem Fall wird die Technisierung in der Logistik weiter voranschreiten und deshalb werden auch mehr Menschen gebraucht, die die entsprechenden Anlagen bedienen können. Diese Entwicklung wird das Berufsbild der Logistik transformieren. Bei einfachen Tätigkeiten wird dies ähnlich verlaufen wie der Wandel vom Kfz-Mechaniker zum Kfz-Mechatroniker, bedingt durch die steigenden elektronischen Anforderungen in modernen Kraftfahrzeugen. Bei den gehobenen Tätigkeiten wird als Folge der digitalen Transformation auch der bislang geringe Akademikeranteil in der Branche deutlich steigen. Die Studie rechnet bis 2030 mit einer Zunahme um mehr als die Hälfte, während umgekehrt der Anteil an Hilfsarbeitern deutlich sinkt. Personalsuche wird zur Chefsache "Die Entwicklung ist zweischneidig. Während Automatisierung und Digitalisierung dazu führen, dass sich der Arbeitskräftemangel insgesamt reduziert, wird die Branche um bestimmte Mitarbeiter künftig sogar noch stärker kämpfen müssen, etwa um Ingenieure und Informatiker. Transport- und Logistikunternehmen stehen dabei im Wettstreit mit Unternehmen anderer Branchen", erklärt Prümm. Für Spediteure und Transporteure leiten sich daraus klare Handlungsempfehlungen ab: Sie müssen sich als attraktive Arbeitgeber positionieren, Entwicklungsund Karrierepfade aufzeigen und die Personalsuche zur Chefsache erklären. Ein Warten auf die Trendumkehr am Arbeitsmarkt wäre leichtfertig und könnte ein Logistikunternehmen schnell in den Abgrund führen. Mehr zum Thema im Dossier Fach- und Führungskräfte www.verkehrsrundschau.de/dossiers 16 Azubis als Berufskraftfahrer bei Borchers "Erfreulicher Zulauf" Die Spedition Borchers Borken hat die Suche nach Berufskraftfahrern bereits 2011 zur Chefsache erklärt. "Für das Rekrutieren von Fahrern treiben wir einen vergleichbaren Aufwand wie in der Kundenakquise", sagt Geschäftsführer Ludger Venne. Zu den wichtigsten Pfeilern seiner Personalstrategie zählt die Ausbildung junger Menschen im eigenen Betrieb. Am 1. August starteten bei Borchers wieder acht neue Azubis, die Berufskraftfahrer werden wollen. Damit steigt die Zahl der bei Borchers heranwachsenden Fahrer auf sechzehn.Bei der Kandidaten-Auswahl gibt Venne auch Menschen mit Lernschwäche eine Chance. "Wenn jemand die richtige Motivation mitbringt, unterstützen wir ihn gerne durch interne und externe Schulungsmaßnahmen, um das Ausbildungsziel zu erreichen", erklärt Venne. Momentan überlege er, zusätzlich einem anerkannten Flüchtling aus Eritrea einen Ausbildungsvertrag zum Berufskraftfahrer anzubieten. "Wir werden gemeinsam mit den eingebundenen Stellen beurteilen, ob es der junge Mann trotz fehlender Sprachkenntnisse schaffen kann und wir die Verantwortung für ihn übernehmen können", so Venne.Ein weiterer Erfolgsfaktor im Personalmarketing ist für Borchers der Umgangston zwischen Disponenten und Fahrern."Wir legen viel Wert auf einen sachlichen Umgangston und gegenseitige Wertschätzung. Das kommt nicht nur bei den jungen Fahrern der Generation Z gut an", berichtet Venne. Der Erfolg gibt ihm Recht: Mittlerweile verzeichne er einen erfreulichen Zulauf an gut ausgebildeten Fahrern, die sich bei Borchers bewerben."Es gibt für uns keine bessere Werbung als zufriedene Fahrer, die ihren Kollegen an der Raststätte von ihren positiven Erfahrungen berichten". mw

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