Ein Solo mit ungewissen Konsequenzen

Die Entscheidung der Briten über einen Verbleib in der Europäischen Union (EU) schlägt hohe Wellen. Erst am 23. Juni findet die Befragung statt, aber schon jetzt gibt es zahlreiche Studien zu den Folgen eines Brexits. Aus der Wirtschaft kommen von den meisten Experten warnende Äußerungen: "Für Großbritannien wäre ein Brexit eine Selbstbeschädigung, denn die EU ist der größte Markt", sagt beispielsweise der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest. Und die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, beurteilt einen Ausstieg mit den Worten: "Die Auswirkungen würden ziemlich schlimm bis sehr, sehr schlimm." Der Wirtschaftsmotor in GB brummt Laut der Mehrzahl der Meinungsumfragen votiert eine Mehrheit unter den Briten derzeit für den Verbleib in der EU. Allerdings holen die Brexit-Gegner auf. So befragt die Britische Handelskammer regelmäßig ihre Mitglieder zum Brexit. Im April sprachen sich nur noch 54,1 Prozent der Unternehmen für einen Verbleib in der EU aus, im Februar waren es noch 59,5 Prozent. Die bevorstehende Abstimmung wirkt sich jedoch nicht negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung aus. Das Wirtschaftswachstum auf der Insel betrug im letzten Jahr 2,3 Prozent (Deutschland: 1,4 Prozent). 2016/ 2017 soll es mit 2,0/2,1 Prozent laut der Gemeinschaftsdiagnose der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute weiter bergauf gehen. Doch die wirtschaftliche Abhängigkeit von der EU lässt sich nicht leugnen: So gingen 2014 47,9 Prozent aller britischen Exporte in die EU. An vorderster Stelle (knapp hinter den USA) steht dabei Deutschland, auf das 10,3 Prozent aller Ausfuhren entfallen. Bei den Importen ist Deutschland das Lieferland Nummer eins (14,7 Prozent aller Importe). Aus deutscher Sicht ist der britische Markt ebenfalls als bedeutsam einzustufen, weshalb die hiesige Wirtschaft die Entscheidung über einen Brexit genau verfolgt. "Deutschland wäre der größte Verlierer, weil Großbritannien ein sehr großer Markt für unsere Exportprodukte ist", sagt Ifo-Chef Fuest. Hinter den USA und Frankreich sind die Briten die drittwichtigsten Abnehmer deutscher Produkte. Das liegt vor allem daran, dass Großbritannien viele Autos und Autoteile in Deutschland einkauft: 29,1 Milliarden Euro betrug der wertmäßige Export von Kraftfahrzeugen (Kfz) und Kfz-Teilen 2015 (32,5 Prozent aller deutschen Exporte nach Großbritannien; siehe auch oberer Kasten Seite 17). Danach folgen die Ausfuhren von Maschinen (9,9 Prozent), pharmazeutischen Produkten (8,1 Prozent) und elektronischen Geräten (6,9 Prozent). Umgekehrt verkauft Großbritannien deutlich weniger Waren nach Deutschland: Der Wert der Einfuhren betrug 2015 nur 38,3 Milliarden Euro. Exportiert werden vor allem Kfz und Kfz-Teile (15,5 Prozent aller Ausfuhren nach Deutschland), sonstige Fahrzeuge (11,5 Prozent) und chemische Erzeugnisse (11,0 Prozent). Deutschland und Großbritannien betreiben also einen intensiven Warenaustausch. Doch für die Gesamtheit der deutschen wie auch britischen Speditionen halten sich die Folgen eines Brexits in Grenzen. Denn Lkw mit britischen Kennzeichen haben in Deutschland Seltenheitswert. Im nur nach GB) wurden 2013 gerade mal 67.000 Fahrten mit britischen Lkw registriert. Unter den 28 EU-Mitgliedstaaten ist das Rang 20. Zum Vergleich: 2013 wurden 2,89 Millionen Ausfahrten mit polnischen Lkw registriert - 43 mal mehr als britische Lkw. Auch für deutsche Lkw ist Großbritannien laut den Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamt offenbar kein so ein lukrativer Markt. Denn von den 4,14 Millionen Fahrten deutscher Lkw, die 2013 im grenzüberschreitenden Verkehr registriert wurden, gaben nur 55.000 das Ziel "Vereinigtes Königreich" an: ganze 1,33 Prozent. Allerdings ist das immerhin Rang 10 im Ranking der EU-Empfängerstaaten. Ungewiss ist zudem, ob von den 2,5 Millionen Fahrten, die in die Niederlande, nach Belgien und Frankreich gehen, sich nicht auch Sendungen befinden, die über die Häfen nach Großbritannien verschifft werden. Dennoch, die Zahlen verdeutlichen: Für den gesamten deutschen Transportmarkt spielt Großbritannien keine so wichtige Rolle. Weshalb man auch beim Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) die Entscheidung der Briten gelassen beobachtet. Nur wenn durch einen Brexit viele deutsche Handelsund Industriefirmen Auftragsverluste erleiden würden, könne dies Folgen auf die Produktion hierzulande und damit auf die innerdeutsche Transportnachfrage haben. Überschaubarer Wohlfahrtsverlust Glaubt man den Zahlen, die das Ifo-Institut für die Bertelsmann-Stiftung berechnet hat, sind die mit einem Brexit verbundenen Einbußen für die gesamte deutsche Wirtschaft eher gering. Danach würde das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland je Einwohner im Jahr 2030 je nach Szenario zwischen 0,1 und 0,3 Prozent geringer ausfallen als ohne einen Brexit. Aber: Es gibt Sektoren wie die Kfz-Branche, für die mit einem Minus von zwei Prozent 2030 ein Brexit spürbar wäre. Und es gibt Speditionen in Deutschland, für die Großbritannien ein wichtiger Zielmarkt ist, weshalb wir in Teil drei unserer Serie auf Änderungen im Transportablauf verursacht durch den Brexit eingehen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Großbritannien" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Brexit und die FolgenWas wäre, wenn Großbritannien aus der EU austritt?- Was für Großbritannien als Nicht-EU-Land gilt (VR 17)- Was der Brexit für das Transportgewerbe bedeutet (VR 20)- Das ändert sich in der Unternehmenspraxis (VR 23) Deutsche Lkw sind auf der Insel Verkaufsschlager Briten fahren deutsche Laster Deutsche Lkw sind in Großbritannien gefragt. Laut dem Verband der Automobilindustrie (VDA) konnten die hiesigen Hersteller bei leichten und schweren Lkw jeweils zweistellige Wachstumsraten erzielen. 2015 verkauften sie 375.000 Fahrzeuge (plus 15 Prozent) unter sechs Tonnen und 44.000 Einheiten über sechs Tonnen (plus 27 Prozent). Bei den Leichten ist dies ein Rekord und bei den Schweren ist Großbritannien hinter Deutschland der zweitwichtigste Markt in der EU. Dementsprechend messen die Hersteller dem Markt große Bedeutung bei, heißt es vonseiten des VDA. Der Jahresstart 2016 lief sowohl bei den leichten als auch bei den schweren Nutzfahrzeugen erfreulich, beide Segmente konnten zulegen. Treiber sind der boomende E-Commerce und die robuste britische Volkswirtschaft.Das UK-Management von MAN hat Mitarbeiter und Händler angeschrieben und den Wunsch, in der EU zu bleiben, erklärt. "Mögliche Tendenzen zu Inflation und steigenden Kraftstoffpreisen geben Anlass zur Sorge. Die Schließung von Handelsgrenzen ist ebenfalls bedenklich. Derzeit erleben wir einen Nachfragerückgang, weil viele Unternehmen eine abwartende Haltung haben", sagt MAN-Geschäftsführer UK, Simon Elliott. Der mögliche Brexit führe aktuell zu einer verstärkten Nachfrage nach Miet-Lkw, da Unternehmen derzeit den Kauf von Investitionsgütern scheuen. Dem VDA sind Prognosen zu den Folgen eines Brexit derzeit zu spekulativ. sv

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